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Interview

Thomas Meyer: «Je deprimierter, desto unpassender.» Bild: Lukas Lienhard

Wenn Beziehungen eine Grabrede verdient haben

Von: Isabella Seemann

22. August 2017

Der Zürcher Schriftsteller Thomas Meyer legt mit seinem Essay «Trennt Euch!» eine Betrachtung über unseren Umgang mit Beziehungen und unsere Angst vor deren Ende vor. Meyer selbst schöpft dabei aus seiner eigenen Erfahrung, die ihm viel Mut und Kraft abverlangt hat.

Mit «Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse» avancierte Thomas Meyer zum Shootingstar der Schweizer Literaturszene. Demnächst beginnt der Dreh der Romanverfilmung. Doch bereits hat er einen neuen Bestseller geschrieben. In einem Essay mit dem provokativen Titel «Trennt Euch!» fordert er Paare auf, zu prüfen, ob sie wirklich zusammenpassen, und rät in unbefriedigenden ­Beziehungen zu einem radikalen Schnitt.

Ihr Essay über inkompatible Beziehungen und deren wohlverdientes Ende dreht sich in der Essenz um die Frage: «Passt es, oder passt es nicht?» Was meinen Sie damit?
Thomas Meyer: Passen heisst für mich, dass man sich ähnlich ist in den wichtigen Aspekten, also Gemütsart, Sexualität, Humor und Lebensumstände, vor allem aber hinsichtlich des Beziehungsmotivs, also der Frage, was für eine Rolle der Partner haben soll. Ich sehe, dass viele Paare sich zwar lieben, aber inkompatibel sind. Daraus entsteht ein völlig sinnloser Machtkampf.

Genügt Liebe als Grund nicht, um zusammenzubleiben?

Auf keinen Fall. Eine funktionierende Partnerschaft erfordert, dass man sich versteht. Das ist wie in einer guten Freundschaft. Die währt auch nur, wenn man geistesverwandt ist.

Kann man inkompatible Beziehungen nicht passend machen?
Inkompatible Paare versuchen ständig, einander so zu verändern, dass der Partner einem ähnelt oder der Rolle entspricht, die man ihm zugedacht hat. Aber beides ist nicht möglich. Wir sind, wer wir sind, und wer daran etwas ändern will, stösst auf natürlichen Widerstand.

Was war Ihr Beweggrund, als Romanautor eine Art Lebenshilfebuch über Beziehungen zu schreiben?
Ich sehe mich nicht als Romanautor. Ich schreibe über das, was mich bewegt und berührt, und die Form des Essays habe ich dafür schon viele Male gewählt. Einfach noch nie so ausführlich.

Sie haben sich von Ihrer Partnerin getrennt, als Ihr gemeinsamer Sohn vier Monate alt war. Welche Erfahrung daraus geben Sie an Ihre Leser weiter?
Das war eine Entscheidung, die mir viel Mut und Kraft abverlangt hat und die ich nie bereut habe. Meine Ex-Partnerin und ich hatten völlig unterschiedliche Vorstellungen unserer Partnerschaft, und es war richtig, diese zu beenden. Was ich weiter­geben kann, ist dies: Wenn es sich nicht richtig anfühlt, ist es auch nicht richtig, und dann soll man nicht hoffen und den Partner drangsalieren, ein anderer Mensch zu werden, sondern weitergehen und, wenn Kinder da sind, sich um eine respektvolle gemeinsame Betreuung bemühen. Das ist uns zum Glück gut gelungen.

Viele Leute sind mit unpassenden Partnern zusammen und kommen doch leidlich miteinander aus. Was verpassen sie?
Wenn zwei Menschen gut miteinander auskommen, würde ich behaupten, dass sie prima zusammenpassen. Nicht passen heisst für mich, dass sie leiden, weil sie eine Beziehung führen, die ihnen nicht guttut.

Wann leuchten bei Ihnen die Warnlampen auf, wenn Sie andere Paare beobachten?
Ich würde sagen: Je deprimierter, desto unpassender. Man sieht und spürt doch, wie es den Leuten geht, und sie beklagen sich ja auch zur Genüge. Wenn jemand unglücklich ist, reicht das als Grund zur Trennung. Und das darf man auch sagen: Ich finde, deine Beziehung tut dir nicht gut.

Was denken Sie zum häufig gehörten Satz: «Man muss täglich an der Beziehung arbeiten»?
Eine passende Beziehung verdient das grösstmögliche Engagement. Eine nicht passende Beziehung aber verdient es, sofort beendet zu werden. Diesen Satz hört man übrigens vor allem von Leuten in nicht passenden Beziehungen.

Haben Sie eigentlich eine Mission, ein Anliegen in Sachen ­Beziehungen?
Mein Anliegen ist, dass die Menschen zu sich selbst und ihren Bedürfnissen stehen. Dass sie sich ernst nehmen und dafür sorgen, dass sie ernst genommen werden. Beziehungen sind natürlich ein zentraler Schauplatz für all das, aber mein Anliegen geht darüber hinaus. Es gibt ja auch nicht passende Freundschaften und nicht passende Jobs.

Thomas Meyer: «Trennt Euch!», Salis-Verlag, Juni 2017, ca. 21.90 Franken.

Zur Person:
Der 43-jährige Thomas Meyer landete gleich mit seinem ersten Roman «Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse» (2012) einen Bestseller und arbeitet seither als freier Schriftsteller. Zuvor war er nach einem abgebrochenen Jurastudium Texter in Werbeagenturen und Reporter auf Redaktionen. In seinem neuesten Buch «Trennt Euch!» schreibt er, er habe schon manche Trennung durchlebt. Und auch wenn er bei einigen geglaubt habe, sterben zu müssen, sei das bisher
nicht geschehen. Meyer lebt in Zürich. Sein Sohn Levi Max (5) ist die Hälfte der Woche bei ihm, die andere Hälfte bei der Mutter.

 

 

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