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Interview

Lou Spichtig (ganz rechts) ist der Zürcher Shootingstar des Balletts. Bild: Carlos Quezada, Sir Robin Photography

«Wenn ich tanze, vergesse ich den Schmerz»

Von: Clarissa Rohrbach

19. April 2016

Die 18-jährige Lou Spichtig ist eine der besten Schweizer Tänzerinnen. Im Interview spricht die Zürcherin über Hühneraugen und eiserne Disziplin. So tickt eine Ballerina.

Lou Spichtig, was denken Sie, wenn Sie sich im Spiegel tanzen sehen?
Ich bin eine Perfektionistin. Ich verbessere meine Arbeit so lange, bis sie meinen Erwartungen an mich selbst gerecht wird. Ich bin mein grösster Kritiker, und das ist auch gut so. Denn ich will weiterkommen.

Sie haben am letztjährigen Prix de Lausanne – einer der wohl wichtigsten Tanzwettbewerbe der Welt – den Preis als beste Schweizer Tänzerin gewonnen. Unter anderem zeigten Sie eine moderne Variation, obwohl man Ihnen davon abriet. Sind Sie stur?
Wahrscheinlich schon. Wenn ich mir ein Ziel gesetzt habe, dann investiere ich Unmengen an Arbeit und Zeit, um es zu erreichen.  Ausserdem bewege ich mich gerne ausserhalb meiner Komfortzone. Denn so wächst man als Person. Das gilt für jeden, nicht nur für Tänzer.

Haben Sie auch blutige Füsse, wie man das in Filmen sieht?
Ich stehe über sechs Stunden am Tag mit meinem gesamten Körpergewicht auf zwei Zehenspitzen, das hinterlässt natürlich Spuren. Blasen und Hühneraugen behandle ich selber. Natürlich ist das nicht angenehm, aber es gefährdet die Karriere nicht. Andere Verletzungen sind deutlich schlimmer. Ausserdem bin ich so glücklich, wenn ich tanze, dass ich den Schmerz vergesse.

Und trotz Anstrengung strahlen Sie auf der Bühne.
Wir Tänzer sind Darsteller, die mit ihrem Körper und ihrer Mimik Geschichten ohne Worte erzählen. So entstehen bei den Zuschauern Gefühle. Es gibt für mich nichts Schöneres, als mich nach einer anstrengenden Vorstellung vor einem berührten Publikum zu verbeugen.

Ballettdirektor Christian Spuck hat Ihnen einen Vertrag im ­Junior Ballett Zürich angeboten. Nun tanzen Sie im Opernhaus den «Schwanensee».
Dafür bin ich ihm sehr dankbar. Im Junior Ballett haben wir während zwei Jahren die Chance, unser Repertoire zu erweitern und Erfahrungen mit verschiedensten Choreografen zu sammeln. Leider sind die Plätze in der Hauptkompanie begrenzt. Es kann sein, dass ich nach der nächsten Spielzeit an einem anderen Theater eine Anstellung suchen muss. Es ist mir aber wichtiger, was ich tanze als wo ich tanze.

Gibt es Konkurrenz im Ensemble?
Natürlich bemühen sich alle Tänzer, ihre Fähigkeiten zu beweisen.  Wir haben aber keinen direkten Einfluss auf die Rollenverteilung. Diese Entscheidung fällen jeweils der Ballettdirektor sowie die Choreografen. Das Konkurrenzdenken fällt also weg.

Wie sieht Ihr Tag aus?
Unser Arbeitstag beginnt um 10  Uhr. Ich stehe aber bereits um 6.30 Uhr auf, um mich anderthalb Stunden vorher im Ballettsaal aufzuwärmen. Wir beginnen mit einem täglichen Balletttraining, darauf folgen um 11.30 Uhr zwei Stunden Proben. Nach einer Stunde Mittagspause proben wir bis 18 Uhr. Sind wir am Abend auf der Bühne, haben wir am Nachmittag Zeit, uns zu erholen. Etwa zwei Stunden vor Vorstellungsbeginn müssen wir zurück im Theater sein. Der Vorhang fällt meistens gegen 22.30 Uhr.

Machen Sie keine Party wie andere Jugendliche?
Ich mag es nicht, meine Füsse in High Heels zu zwängen. Lieber sitze ich in einem ruhigen Café, bei einem guten Gespräch mit Freunden.

Sie sind mit zehn Jahren in die Tanzakademie eingetreten. Wurde die Tanzakademie zur Ersatzfamilie?
Ich habe die prägendsten Jahre meines Lebens dort verbracht. Mit manchen meiner Klassenkameraden bin ich erwachsen geworden. Das schweisst natürlich zusammen. Ich habe so viele Stunden mit ihnen im Ballettsaal verbracht, da kam der Kontakt zur Aussenwelt manchmal zu kurz.

Haben Sie einen Freund?
Ich lebe für meinen Beruf. Meine gesamte Zeit und Energie gehen im Moment darin auf.

Wollte Ihre Mutter, dass Sie Tänzerin werden?
Das war nicht ihre Absicht. Ich war ein zappeliges Kind, ein Äffchen. Sie dachte, Sport würde mir guttun. Als ich vier Jahre alt war, hat sie im Telefonbuch nach dem A das B von Ballett gefunden und mich angemeldet. Ich war vom Tanzen so angefressen, dass aus einer Stunde in der Woche rasch sechs wurden.

Welche Schritte fallen Ihnen besonders leicht? Welche nicht?
Am liebsten drehe ich Pirouetten. Sprünge hingegen musste ich lange üben. Ich hoffe heute noch, dass sie genug graziös aussehen. 

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