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Interview

Freut sich auf den französischen Stargast Juliette Binoche: der neue künstlerische Direktor des ZFF, Christian Jungen. Bild: Gabriel Hill/ZFF

«Wir bringen das Kino zurück»

Von: Sacha Beuth

08. September 2020

ZFF: Corona zum Trotz wird vom 24. September bis 4. Oktober – als einziger Grossevent der Schweiz – das 16. Zurich Film Festival ausgetragen. Der neue künstlerische Direktor Christian Jungen (47) setzt heuer neben einheimischem Filmschaffen vorab auf deutsche und französische Produktionen und Stargäste.

Christian Jungen, sind Sie ein Pechvogel?

Christian Jungen: Nein, warum?

Weil das erste Zurich Film Festival unter Ihrer Leitung als künstlerischer Direktor wegen Corona nur im redimensionierten Umfang durchgeführt werden kann.

Bezüglich der Anzahl Filme ist die Reduktion minim. Wir zeigen 162, das sind nur 9 weniger als letztes Jahr. Zudem: Als bislang einziger grosser Schweizer Kulturevent nach der Lockerung können wir unser Festival wenigstens durchführen. Ich bin also eher ein Glückspilz und froh, nicht aufgegeben zu haben, obwohl mir zuvor viele zu einer Absage geraten hatten. Gut, als der Lockdown kam, hatte auch ich Zweifel. Dann habe ich im Juni in Bern bei einem Anlass den ehemaligen Corona-Delegierten des Bundes, Daniel Koch, getroffen und er meinte, dass er kein Problem für das ZFF sehe. Das hat mich gestärkt. Ausserdem habe ich zuletzt bei meinen Kinobesuchen gespürt, dass die Leute wieder hungrig auf Filme sind. Und ich freue mich, dass wir den Leuten das Kino zurückbringen dürfen.

Haben Sie keine Sorgen, dass ohne die grossen Hollywoodstars das ZFF kaum Beachtung finden wird?

Nein. Einerseits werden auch dieses Jahr Schauspieler mit Hollywood- erfahrung nach Zürich kommen, wobei wir die Gästeliste erst morgen Donnerstag bekanntgeben. Andererseits war eine «Gewichtsverlagerung» hin zu mehr europäischen – namentlich deutschen und französischen – Beiträgen und Filmschaffenden ohnehin geplant. Nicht zu vergessen, dass wir auch mit Schweizer Schauspielgrössen mit Zugkraft wie etwa Marthe Keller und Max Hubacher aufwarten.

Fans der Filmstars wollen in der Regel ein Selfie oder zumindest ein Autogramm von ihren Idolen. Ist das auch dieses Jahr möglich?

Leider nein. Das ist zu gefährlich, gerade bei den grossen Namen. Wir werden darum die Fanzonen abschirmen und darin nur wenige, handverlesene Personen zulassen, die auf die vorgeschriebene Distanz achten müssen.

Was sind die wichtigsten Schutzmassnahmen, die Sie wegen Corona getroffen haben?

Sicher die Maskenpflicht, auf die wir schon gesetzt haben, bevor der Regierungsrat diese beschlossen hat. Weiter werden an allen Eingängen Dispenser zur Desinfektion installiert. Die feucht-fröhlichen Afterpartys nach Opening- und Award Nights haben wir gecancelt. Und in den Kinos bleiben jeweils links und rechts von Einzelpersonen oder Paaren die direkten Nachbarsitze frei, obwohl wir wegen der Maskenpflicht diese Massnahme gar nicht machen müssten und sie unsere Einnahmen beträchtlich schmälert. Wir haben uns aber trotzdem dazu entschlossen, um den Festivalbesuchern ein Höchstmass an Sicherheit zu bieten.

Wie hoch schätzen Sie das Loch, das die Auswirkungen rund um die Pandemie in Ihre Kasse reisst?

Das ist gegenwärtig schwer abzuschätzen. Klar ist, dass wir bereits zehn Prozent des Budgets einsparen mussten, weil wir Partner, die selber in Schwierigkeiten stecken, verloren und weil wird weniger Einnahmen mit der Gastronomie generieren können. Ich hoffe aber, dass wir mit einem blauen Auge davonkommen.

Was sind die wichtigsten, nicht Coronabedingten Neuerungen?

Wir haben drei Wettbewerbe: den Spielfilm-Wettbewerb, den Dokumentarfilm-Wettbewerb und den Fokus-Wettbewerb, in dem Filme aus Deutschland, Österreich und der Schweiz laufen. Damit wollen wir den deutschsprachigen Film und indirekt den Schweizer Film international aufwerten. Schliesslich ist das ZFF nach der Berlinale das wichtigste Festival im deutschen Sprachraum. Ausserdem wollen wir die Filmmusik stärker herausheben, arbeiten mit dem Jazzfestival Montreux zusammen und veranstalten einen Markt für Verleiher für Filme, die nächstes Jahr erscheinen sollen.

Am diesjährigen ZFF wird zudem der erste Zürcher Tatort «Züri brännt» uraufgeführt. Wieso setzt ein Festival, das vorab auf Kinofilme ausgerichtet ist, auf einen TV-Film?

Weil wir damit die Bedeutung des Standortes Zürich für die Filmbranchen aufzeigen wollen. Und ein populärer Krimi wie der «Tatort» eignet sich bestens dafür.

Als Gastland haben Sie dieses Jahr Frankreich auserkoren. Warum?

Das hat mit meinen Vorlieben zu tun. Ich bin sehr frankophil und liebe den französischen Film. Abgesehen davon ist Frankreich nach den USA das bedeutendste westliche Filmland und ein Trendsetter.

Was sind Ihre persönlichen Höhepunkte am diesjährigen Festival?

Sicher die Eröffnung selbst. Der Moment, an dem ich auf die Bühne gehen und mit dem Schweizer Beitrag «Wanda, mein Wunder» den ersten Film ansagen darf. Dann natürlich auf die Übergabe des Golden Icon Awards an Juliette Binoche, die ich schon immer bewundert habe, und die Übergabe des Career Achievement Awards an Rolf Lyssy, einen der erfolgreichsten Schweizer Regisseure überhaupt.

Weitere Infos: www.zff.com

Zur Person

Christian Jungen, geboren am 7. Mai 1973 in Winterthur, ist Filmhistoriker, Filmkritiker und Buchautor. Er studierte Italienische Sprach- und Literaturwissenschaft in Italien sowie Geschichte und Filmwissenschaft an der Universität Zürich. Bevor er am 1. Januar 2020 offiziell das Amt des künstlerischen Direktors am ZFF übernahm, war er Kulturchef bei der «NZZ am Sonntag».

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