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Interview

Die Politik beherrscht ihr Leben. Privat mag Corine Mauch handwerkliche Arbeiten. Bilder: Nandor Nagy

"Zürich hört nicht an der Stadtgrenze auf"

Von: Ginger Hebel

03. Januar 2018

Stadtpräsidentin Corine Mauch wird bei den Erneuerungswahlen am 4. März nochmals kandidieren. Im traditionellen «Tagblatt»-Interview spricht sie über ihre Motivation, politische Ziele und ihr liebstes Hobby.

Dieses Jahr wird für Sie ein ­wichtiges. Am 4. März finden die Erneuerungswahlen statt. Wie lautet Ihre Prognose?

Corine Mauch: Ich hoffe fest, dass mir die Bevölkerung erneut das Vertrauen aussprechen wird. Ich würde mich sehr darüber freuen.

Mit Filippo Leutenegger haben Sie einen ernst zu nehmenden Gegenspieler. Haben Sie Angst vor Ihrem Widersacher?

Angst auf keinen Fall. Er ist ja vor vier Jahren bereits gegen mich angetreten, und wir sind seit vier Jahren zusammen im Stadtrat.

Sie sind seit Mai 2009 Stadtpräsidentin. Was hat Sie bewogen, nochmals zu kandidieren?

Das Amt macht mir grosse Freude. Ich sehe es als Privileg, Zürich nach aussen zu repräsentieren und in eine gute Zukunft zu führen. Zürich ist eine grossartige Stadt mit spannenden Menschen.

Die SP betreibt aktiven Wahlkampf. Als Stadtpräsidentin klingeln Sie auch selbst an den Türen der Wählerinnen und Wähler und gehen auf Stimmenfang.

Es ist uns wichtig, von den Bewohnerinnen und Bewohnern direkt zu erfahren, wo sie in der Stadt Probleme sehen und was sie beschäftigt. Der Verkehr und der Lärm stören die von uns Besuchten am meisten. Dagegen müssen wir etwas unternehmen; beim Lärmschutz und bei der Lärmverminderung.

Falls Sie als Stadtpräsidentin wiedergewählt würden, wie wäre Ihre ideale politische Konstellation?

Ich finde es grundsätzlich richtig, dass wir ein gemischtes Gremium sind, und im Stadtrat unterschiedliche Perspektiven und Argumente zusammenkommen. Dies ermöglicht es uns, die besten Lösungen für Zürich zu finden. Entscheiden wird die Stimmbevölkerung.

Aktuell schiessen Kritiker mehr gegen Claudia Nielsen als gegen Sie. Die Lage um Richard Wolff hat sich leicht beruhigt. Ist das die Ruhe vor dem Sturm?

Im Wahlkampf ist die Stimmung immer etwas hysterisch, und vieles wird medial aufgeblasen. Manchmal gerät das Wesentliche dadurch etwas aus dem Blickfeld, und es geht vergessen, wie gut Zürich heute dasteht. Aber das gehört zum Wahlkampf eben dazu.

Die rot-grüne Dominanz ist in ­Zürich übermächtig. Kann hier eine Kehrtwende eintreten?

Es stimmt, dass wir seit mittlerweile 28 Jahren eine rot-grüne Mehrheit haben, aber wir hatten immer auch ein politisches Gegenüber. Diese Entwicklung hat Zürich sehr gutgetan. Es ist unser Grundanliegen, dass Zürich eine starke, dynamische und solidarische Stadt bleibt. Die Wählerinnen und Wähler sehen das offensichtlich auch so.

Vor 125 Jahren fand in Zürich die erste Eingemeindung statt. Wie ­sehen Sie rückblickend diesen enormen Schritt?

Die erste Eingemeindung war etwas Besonderes, denn damals hat sich die Bevölkerungszahl über Nacht vervierfacht, von 30 000 auf 120 000 Menschen. Zur wohlhabenden Innenstadt gehörten plötzlich auch die Arbeiterviertel und die ländlich geprägten Gemeinden wie Wollis­hofen und Fluntern. Auch die Stadtverwaltung musste sich damals ganz neu aufstellen. Die Dienstabteilung Statistik Stadt Zürich, die heute in meinem Departement angesiedelt ist, wurde zum Beispiel vor 125 Jahren gegründet.

Gemeinden wie Dietikon, Schlieren oder Zollikon sind heute kaum noch von der Stadt unterscheidbar. Gibt es bereits Gespräche, die in eine solche Richtung zielen? Was wäre der Vorteil für Zürich und die jeweiligen Gemeinden?

Es ist ein grosses Anliegen von mir, mich mit den umliegenden Gemeinden zu vernetzen, denn Zürich hört nicht an der Stadtgrenze auf. Städte funktionieren wie ein Labor, wo Lösungen erarbeitet werden, die später von anderen Gemeinden übernommen werden, ein gutes Beispiel ist die Drogenpolitik. Es ist immer gut, wenn man sich austauscht. Nachbargemeinden können schon heute Leistungen von uns beziehen, zum Beispiel von der SIP Züri (Sicherheit Intervention Prävention).

Kein Stadtquartier hat sich in den letzten Jahren in Bezug auf Neubauwohnungen so stark verändert wie der Kreis 5. Allerdings gibt es wenig Gewerbe und Einkaufsmöglichkeiten. Welche Möglichkeiten gibt es, damit ein gut durchmischtes Quartier entsteht?

Als Stadt wollen wir die Durch­mischung. Gleichzeitig möchten wir den Charakter der Quartiere erhalten. Zürich ist in den letzten Jahren stark gewachsen und wächst weiter. Allerdings sind die Industriebrachen wie im Kreis 5 mittlerweile bebaut, künftig muss daher eine Entwicklung nach innen stattfinden. Qualitätsvolle Verdichtung wird uns stark beschäftigen.

Stichwort bezahlbarer Wohnraum. Haben Sie Visionen?

Seit 2012 haben wir 2400 neue, gemeinnützige Wohnungen gebaut, wir sind sehr aktiv. Bis ins Jahr 2050 soll der Anteil gemeinnütziger Wohnungen in der Stadt ein Drittel der Mietwohnungen betragen. Die gemeinnützigen Kostenmieten sind zwischen 15 und 30 Prozent günstiger als die freien Marktmieten.

Was macht die Stadt für ältere Menschen, die teilweise am Existenzminimum leben?

Sie erhalten Ergänzungsleistungen, damit sie am Leben in der Stadt teilhaben und ihr Alter in Würde verbringen können. Auch Wohnen im Alter ist ein wichtiges Thema. Die städtische Stiftung Alterswohnungen vermietet über 2000 preisgünstige Wohnungen mit Dienstleistungen wie eine eigene Spitex.

Der Vorwurf der SVP, dass auf rote Politik tiefrote Zahlen folgen, ist massiv und wirft der aktuellen Regierung verantwortungsloses Handeln vor. Was sagen Sie als Stadtpräsidentin dazu? 

Was die SVP da betreibt, ist Schwarzmalerei. Man möchte unsere Stadt schlechtreden, das finde ich nicht in Ordnung. Die SVP beschwört seit Jahren den Pleitegeier herauf. Die Realität aber ist eine andere. In den letzten zehn Jahren sind in Zürich über 50 000 Arbeitsplätze und fast 16 000 Wohnungen neu dazugekommen. Aktuell verfügt die Stadt über eine Milliarde Franken Eigenkapital – so viel wie noch nie.

Ist Schuldenabbau für Sie kein Thema?

Doch, natürlich. Letztes Jahr konnten wir beinahe eine Milliarde Franken Schulden zurückzahlen. Das ist nur möglich, weil es der Stadt gut geht.

Mit dem neuen US-Unternehmenssteuergesetz ist zu befürchten, dass amerikanische Firmen aus Zürich abwandern. Wie will man Grossunternehmen wie beispielsweise Google hierbehalten?

In den Neunzigerjahren haben wir zu wenig in die Infrastruktur und ins Bildungswesen investiert, daraus haben wir unsere Lehren gezogen. Zürich gehört zu den attraktivsten Städten der Welt, wir sind stolz auf unsere Hochschulen und Universitäten. Das schätzen auch Gross­firmen wie Google, die in Zürich den grössten Forschungsstandort ausserhalb der USA betreiben. In Bezug auf die Steuervorlage 17 ist es uns jetzt gelungen, mit den Städten und den Gemeinden eine gemeinsame Haltung mit dem Kanton Zürich zu finden, um die gute Position im Standort- und Steuerwettbewerb zu erhalten. Der Steuerfuss ist ein wichtiger Faktor, aber nicht der allein ausschlaggebende.

Der Terror ist allgegenwärtig. Wie ist Zürich als Grossstadt mit vielen Events gewappnet vor Anschlägen?

Wir sind wachsam, überprüfen laufend unsere Sicherheitskonzepte und Strategien und passen diese wenn nötig an. Im Dezember standen die Weihnachtsmärkte im Fokus. Wir müssen jedoch bei jeder Massnahme abwägen, wie weit wir Überwachung und Kontrolle ausbauen wollen. Das ist ein sensibles Thema.

Ihre politischen Ziele für 2018?

Die Erweiterung und der Umbau des Kongresshauses, der Tonhalle und des Kunsthauses sollen erfolgreich weiterlaufen. Im Juni kommt die Volksabstimmung zum Modell Tagesschule 2025, geplant sind 24 weitere Tagesschulen. Auch das Koch-Areal möchte ich vorantreiben, dort sollen preisgünstige Mietwohnungen entstehen. Wichtig sind mir auch die Projekte für das Eis­hockey- und Fussballstadion. Wenn alles gut läuft, können sie 2021 respektive 2022 eröffnet werden. Und dann wird das 125-Jahr-Jubiläum zur Eingemeindung eine wichtige Rolle spielen. Am 6. Juli werden städtische Dienstabteilungen ihre Türen und Tore öffnen. Auf dem Münsterhof wird es am Abend eine Feier geben. Der Stadtrat wird am Grill stehen und für die Bevölkerung Würste ­braten.

Ihr Brief an die ausländischen Mitbewohner Zürichs, vor Ende Jahr ein Einbürgerungsgesuch zu stellen, hat vielerorts für rote Köpfe gesorgt. Stehen Sie nach wie vor zu diesem Vorgehen?

Absolut. Ich möchte aber betonen: Niemand wird eingebürgert, wenn er die Voraussetzungen zur Wohnsitzfrist und zur Integration nicht erfüllt. Mit meinem Brief habe ich die betroffenen Personen dazu ermuntert, zu prüfen, ob sie diese Kriterien erfüllen. Diese Leute arbeiten und leben hier, und sie zahlen Steuern. Dann freut es mich auch, wenn sie den letzten Schritt zur vollständigen Integration machen und das Bürgerrecht beantragen.

Mögen Sie als kulturinteressierte Person die grosse Bühne, oder schätzen Sie das Kleintheater für sich selbst?

Ich bin privat keine Person, die sich ständig auf der Bühne produzieren muss. In kultureller Hinsicht liebe ich aber alle Bühnen. Kürzlich war ich an der Premiere von Christoph Marthaler im Schauspielhaus – ein grossartiger Abend. Ich bin aber auch gern im Sogar-Theater, im Neumarkt oder im Moods.

Wie sieht das Leben der Corine Mauch neben der Politik aus?

Ich mag handwerkliche Arbeiten, ich nähe, schreinere und gärtnere gern. Privat treffe ich mich auch mit meiner Lesegruppe, wobei wir aktuell eher wenig lesen, dafür umso mehr essen (lacht).

Hypothetisch: Würde Corine Mauch als Stadtpräsidentin nicht mehr gewählt, wie sähe deren Leben danach aus?

Das beschäftigt mich jetzt nicht. Ich hoffe, dass ich dieses spannende Amt noch weiter ausführen darf.

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