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Interview

Erzählen über die Ländlerstadt Zürich: Madlaina Janett (l.) und Dorothe Zimmermann. Bild: Flurin Bertschinger

"Zürich war das Ländlermekka"

Von: Jan Strobel

22. Juli 2014

Ländler - das bringt der Städter ­eigentlich mit Bauerntracht und Dorfidylle in Verbindung. Die Historikerin Dorothe Zimmermann (32) und Madlaina Janett (29), Gestalterin und Musikerin, erzählen in ihrem Buch «Ländlerstadt Züri» eine ganz andere Geschichte.

Tagblatt der Stadt Zürich: Frau ­Janett, Frau Zimmermann, Sie beide gehören zu einer Generation, die man gemeinhin nicht unbedingt mit Ländlermusik in Verbindung bringt. Weshalb dieses Buch?

Madlaina Janett: Unser Buch basiert ja auf einer Stadtführung, die wir 2012 entwickelt und durchgeführt haben. Ich persönlich interessiere mich von Berufs wegen für Volks­musik und Volkskultur, da ich mit verschiedenen Volksmusikformationen in der ganzen Schweiz unterwegs bin und immer wieder mit ­Fragen um «das Ursprüngliche» und «traditionell Schweizerische» konfrontiert bin.

Dorothe Zimmermann: In unserem Buch geht es nämlich nicht nur um die Ländlermusik, sondern um verschiedene schweizerische Traditionen und «Eigenheiten». Seit einigen Jahren erlebt die Besinnung aufs Ländliche wieder einen regelrechten Boom, man denke etwa an den Zuschauerrekord der Schwingerfeste. Daran wollten wir mit unserem Buch anknüpfen und zeigen, dass diese Traditionen oft weniger ursprünglich sind, als es häufig ­dar­gestellt wird. Sie sind nämlich meist eine städtische Erfindung des 19. und 20. Jahrhunderts. Es ­waren städtische Kreise, die sich in eher unsicheren Zeiten auf einen ­ge­meinsamen schweizerischen Ursprung ­besannen und dabei definierten, was typisch und traditionell schweizerisch sei.

Der Ländler hat also seinen Ursprung in der Stadt?

Zimmermann: Ende des 19. Jahrhunderts kamen viele Arbeitskräfte aus den umliegenden Kantonen nach Zürich. Sie brachten den ­neuen Musikstil «Ländler» mit, eine ­Mischform der alten Streich- und Blasmusik mit dem relativ neuen Örgelistil. In der Stadt fanden diese Musikanten ein ungleich grösseres Publikum als in ihren Dörfern. Die Ländlermusik kam also als junger, regional geprägter und lokal be­kannter Musikstil in die Schweizer ­Städte und wurde so zum nationalen ­Phänomen.

Welche Rolle spielt Zürich in der ­Geschichte der Ländlermusik?

Zimmermann: Zürich oder vielmehr das Niederdorf war in den 1920er- und 1930er-Jahren das Ländler­mekka der Schweiz. Wer gute Ländlermusik hören wollte, musste in die Stadt fahren und Lokale wie die Bierhalle Wolf oder auch das ­Konkordia, die Blaue Fahne oder das Hotel Rose besuchen. Es waren die sogenannten Ländlerkönige wie ­Stocker Sepp, Kasi Geisser oder Jost Ribary, die in Zürich den Sound prägten, welcher später als Schweizer Nationalmusik in die Ge­schichte einging.

Welche Orte sind in Zürich für den Ländler bis heute wichtig?

Janett: Einer der wenigen Orte im Nierderdorf, in dem seit der erwähnten Ländlerblüte volkstümliche Musik erklingt, ist noch immer die Bierhalle Wolf, die allerdings heute mehr vom volkstümlichen Schlager geprägt ist. Wichtig für das heutige Zürcher Ländlerpublikum und die Musikanten sind Lokale wie das Restaurant Rietberg in der Enge, das Restaurant Farbhof in Altstetten und die Aelpli-Bar im Niederdorf. Seit 2008 findet ausserdem alle zwei Jahre die «Stubete am See» in der Tonhalle statt. Dieses Jahr am 6. und 7. September.

Hören Sie selber Volksmusik?

Janett: Da ich selber viel Volksmusik mache, höre ich mir zu Hause, wenn schon, ganz andere Musik an. Was Konzerte angeht, bevorzuge ich die Vertreter der sogenannten neuen Volksmusik. Zu erwähnen wären die Helvetic Fiddlers, Pflanzplätz oder die Geschwister  Küng. Zum Tanzen kanns mir dann aber nicht urchig ­genug sein. Meine momen­tanen Tanzlieblinge sind die Innerschweizer Formation Rampass oder die Prättigauer Stelserbuaba.

Zimmermann: Ich höre eigentlich nur sehr selten Ländlermusik, etwa, wenn ich ein Konzert von Madlaina besuche oder kürzlich an einer Hochzeit, als die Gruppe Pflanzplätz zum Tanz aufspielte.

Angenommen, Sie müssten einem Teenager aus der Hip-Hop-Szene den Ländler näherbringen. Was ­würden Sie ihm sagen?

Janett: Ich glaube, wir würden das gar nicht erst versuchen. Wir sind nicht missionarisch unterwegs. Es geht uns auch nicht darum, das Image der Ländlermusik oder an­derer Traditionen zu verändern und einem neuen Publikum zu öffnen. Wir wollen die Hintergründe hinter den als ländlich-konservativ wahr­genommenen Phänomenen beleuchten. Denn: Es ist nicht überall Land drin, wo Ländler draufsteht.  

Madlaina Janett, Dorothe Zimmermann: Ländlerstadt Züri. Alpen, Tracht und Volksmusik in der Limmatstadt. Elster-Verlag 2014. 28 Franken.

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