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Ein «stichhaltiges» Argument: Spring- und Butterflymesser werden insbesondere bei Teenagern und Twens immer öfter bei Konflikten eingesetzt. Symbolbild: Adobe Stock

Der schnelle Griff zum Messer

Von: Sacha Beuth

23. November 2021

In den letzten Wochen und Monaten mehrten sich Meldungen über Messerstechereien in Zürich. Und die Tendenz der letzten Jahre zeigt, dass es immer häufiger zu tödlichen Vorfällen mit Schneid- und Stichwaffen kommt. Ursachen sind laut ZHAW-Gewaltforscher Dirk Baier oft falsche Leit- und Männlichkeitsbilder, die statt einer verbalen eine physische Konfliktlösung vorsehen.

Noch keine zehn Tage ist es her, seit eine Frau an der Kreuzung Militär-/Langstrasse einen Mann mit einem Messer attackiert und verletzt hatte. Zuvor waren Ende Oktober bei einer Auseinandersetzung von mehreren Personen im Kreis 1 ein 18-Jähriger durch eine Stichwaffe verletzt worden und im Nachgang der Partie FCZ gegen Basel einem 14-Jährigen von Unbekannten in ein Bein gestochen worden. Und in der Nacht vom 16. auf den 17. Oktober endete eine Messerstecherei am Bahnhof Stadelhofen mit zwei verletzten jungen Männern.

Im Schnitt kam es somit allein in der Stadt Zürich innerhalb der letzten zwei Monate alle zwei Wochen zu polizeilich relevanten Konflikten mit Schneid- und Stichwaffen. Womit sich die Frage stellt, ob hier ein Trend vorliegt und falls ja, welche Gründe eine allfällige Zunahme an Messerstechereien hat.

Die Antwort zur ersten Frage ergibt ein etwas widersprüchliches Bild. Laut Angaben der Kantonspolizei Zürich konnte bislang über den ganzen Kanton für 2021 weder bei Gewaltdelikten im Allgemeinen noch bei Gewaltdelikten mit Schneid- und Stichwaffen im Speziellen ein Anstieg festgestellt werden. Demgegenüber sagte Christiane Lentjes Meili, Chefin der Kriminalpolizei bei der Kantonspolizei Zürich, laut «Tages-Anzeiger» im Frühjahr diesen Jahres, dass Jugendliche häufiger Waffen wie Messer mit sich trügen, die sie dann auch einsetzen. Vergleicht man die Tötungsdelikte mit Schneid- und Stichwaffen in der Polizeilichen Kriminalstatistik des Kantons Zürich zwischen 2015 (18 Fälle) und 2020 (26 Fälle), ist eine deutliche Zunahme feststellbar. Dasselbe gilt für die schweizweiten Zahlen. Hier wurden für 2019 105 Todesfälle vermeldet, für 2020 waren es bereits 134.

Reiz des Verbotenen

Auch Dirk Baier, Gewaltforscher an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW, sieht in der Statistik Hinweise für eine Zunahme von Messerstechereien insbesondere unter Teenagern und Twens. Die Frage nach dem Warum bereitet aber auch ihm Kopfzerbrechen. «Ich denke, Gewalt stösst heutzutage im Alltag insgesamt auf eine höhere Akzeptanz. Ein Messer zu besitzen, wenn möglich noch ein Verbotenes, gilt bei Jungen als cool und führt bei denjenigen in der Gruppe, die noch keines haben, zu einem gewissen Druck, sich auch eines zuzulegen.» Hinzu kämen falsche Leit- und Männlichkeitsbilder. «Auffällig ist, dass es sich bei der überwiegenden Mehrheit der Täter um männliche Personen unter 24 Jahren handelt. Die Präsenz von Waffen in sozialen Medien wie Youtube oder in den Videos von Musikstars ist inzwischen etwas ganz Normales und gehört zum Alltag eines jungen Mannes. Dabei wird der Eindruck vermittelt, dass ein Mann immer wehrhaft sein muss und wenn er beleidigt wird oder sich in seiner Ehre verletzt fühlt, Konflikte nicht verbal löst, sondern physische Gewalt anwendet». Dass hierfür als Waffe in erster Linie Messer gewählt werden, hat, so die übereinstimmende Meinung von Kapo und Dirk Baier, mit der im Vergleich zu Schusswaffen leichteren Verfügbarkeit zu tun.

Ein probates Mittel, um das Problem in den Griff zu bekommen, sieht Baier bei frühzeitiger Gewaltprävention in der Schule und bei vermehrten, gezielten Kontrollen durch die Polizei. «Werden Jugendliche immer wieder auf verbotene Messer kontrolliert und werden ihnen diese immer wieder weggenommen, verzichten sie irgendwann darauf.» Zugleich betont Baier, dass in der Schweiz das Gewaltniveau und damit auch die Zahl der Messerstechereien insgesamt niedrig sei. «Von Zuständen wie in einigen deutschen oder amerikanischen Grossstädten sind wir noch weit entfernt.»

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