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Reisen

Passagiere entdecken auf dem Zodiac Lilliehöökbreen, das grösste Gletschergebiet in Spitzbergen. Hinten die robuste L’Austral der französischen Reederei. Ein mehr als gemütliches und edles Schiff, das einem während der Fahrt viel Komfort und ein spannendes Unterhaltungsprogramm bietet. (Bilder: Christian Saggese)

Eine Reise ins ewige Eis

Von: Christian Saggese

07. Juni 2019

Eine unberührte Natur mit schneebedeckten Bergen, Gletschern, Eisschollen und einer fast schon unheimlichen Stille: Das bietet die norwegische arktische Inselgruppe Spitzbergen. Eine Expedition bringt abenteuerlustige Reisende auf die Spuren von Eisbären und Walrössern, fernab von Massentourismus und Zivilisation.

Ungläubig reiben sich die in dicke Winterjacken eingehüllten Passagiere die Augen. Sie stehen auf einem Schiffsdeck, um sie herum eine atemberaubende Naturlandschaft. Schneebedeckte Berge, im Meer herumtreibende Eisschollen sowie blau glänzende Gletscher sind zu sehen. Vom Himmel brennt die Sonne herunter, die Temperatur beträgt etwa 2 Grad. Und das um Mitternacht. Moment, die Sonne scheint, und es ist Mitternacht? Des Rätsels Lösung: Die rund 200 Schiffspassagiere sind zwei Tage zuvor von Tromsø aufgebrochen, einer der nördlichsten Städte Norwegens. Ihr Ziel: die arktische Inselgruppe Spitzbergen. Diese gehört zu den letzten fast unberührten Gebieten der Welt, ist 1.5-mal so gross wie die Schweiz und nur noch 1000 Kilometer vom Nordpol entfernt. Im Winter sind dort die Nordlichter zu sehen – im Sommer scheint 24 Stunden lang die Sonne.

Nur rund 2600 Personen leben in diesem ewigen Eis. Hauptort ist Longyearbyen mit rund 1500 Einwohnern und 2000 Rentieren. Ein Dorf der Selbstversorger, fernab der Zivilisation, auch wenn ein Flughafen vorhanden ist. Die Einwohner greifen sich bei Handwerksarbeiten unter die Arme, errichten ihre eigenen Hütten, brauen ihr eigenes Bier, züchten gemeinsam Schlittenhunde. Und sie schützen sich gegenseitig. Spitzbergen gehört zwar zu Norwegen, doch alle Einwohner wissen, wer der wahre Herrscher dieses Archipels ist: der Eisbär.

Und dieser besucht gerne von Zeit zu Zeit das Dorfzentrum. Dann heisst es: alle rein in die Häuser und abwarten. Denn niemand hat ein Interesse daran, das schöne Tier, von dem es noch etwa 3000 in Spitzbergen gibt, zu erschiessen.

Aufmerksamer Kapitän

Bis die Schiffspassagiere aber Long­yearbyen erreichen, dauert es noch eine Woche. So lange geniessen sie die ruhige Natur in dieser fast immer internetfreien Zone und versuchen, möglichst viele Tiere zu erspähen. Gar nicht so einfach.

Wird es zu kalt, ziehen sich die Reisenden ins Innere ihres Schiffs zurück, der L’Austral der französischen Reederei Ponant. Eine windschnittige, elegante Jacht, 142 Meter lang, 18 Meter breit und für Expeditionen ins Eis gebaut. Die Reisenden leben in modernen Kabinen mit allem notwendigen Komfort, zudem gibt es zwei Bars, zwei Restaurants mit leckeren Delikatessen, oft Fisch, sowie Animationsprogramme (Quiz, Karaoke, Tanzshows) und Vorträge durch die anwesenden Naturforscher. Diese sind äusserst kompetent und geben gern Auskunft. Einer kennt sich beispielsweise mit Vögeln aus, der andere mit Steinen, der Dritte mit Eis. So kann man beim Naturbeobachten etwas lernen.

«Bonjour! Hello!», erklingt es aus den Boxen. Captain Etienne Garcia meldet sich zu Wort. Der charmante und humorvolle Franzose lenkt seinen Eisbrecher nicht nur sicher um alle Eisberge herum, sondern hält auch immer Ausschau nach Tieren. Sieht er eines, meldet er dies den Passagieren sofort. «Un renard arctique, an Artic Fox!», verkündet er in den Bordsprachen Französisch und Englisch. Schnell schnappen alle ihre Kameras und Ferngläser und begeben sich auf Deck, um einen Blick auf den Polarfuchs zu erhaschen. Ferngläser sind sehr empfehlenswert. Das Schiff fährt zwar bestmöglich in Ufernähe, aber nicht so nah, dass es das Tier stressen könnte. Die gesamte Crew ist sehr darauf bedacht, keinem Lebewesen und seinem Lebensraum im Geringsten zu schaden.

Raus in die Natur, aber...

Zweimal am Tag verlassen die Passagiere, wenn es das Wetter zulässt, das Schiff und steigen hierfür in ein Zodiac-Boot. Das Meer ist ruhig, zu einem wilden Wellengangabenteuer werden die Ausflüge in diesen motorisierten Schlauchbooten nie. Oft fährt man nur im Eis herum, schaltet den Motor ab und geniesst die dortige Ruhe, die nur durch Vogelgezwitscher unterbrochen wird. Gelegentlich hört man ein Krachen, wenn irgendwo eine kleine Lawine den Berg runterkommt.

Unvergesslich schön ist Lilliehöök­breen, einer der grössten Gletscher Spitzbergens (grosses Bild oben). Heute ist es eigentlich kein einzelner Gletscher mehr, sondern besteht aus mehr als zehn kleineren. Traumhaft in Erinnerung bleiben auch die vielen Fjorde wie Smeerenburg, wo sich einst eine Walfangstation befand.

Ab und an betritt man Land und spaziert kurz durch den Schnee. Dies ausgerüstet mit Gummistiefeln, die einem die Reederei Ponant zur Verfügung stellt sowie mit robusten und bequemen roten Winterjacken, die man sogar als Geschenk erhält. Bei diesen Ausflügen sind wieder die Naturforscher gefragt – unter der Leitung von Chris­tophe Bassous.

 

Die Gefahr, dass spontan ein Eisbär auftaucht, ist unberechenbar. Schlafen die Raubtiere, sehen sie oft aus wie schneebedeckte Steine. Deswegen sichert das Expeditionsteam das Gebiet im Vorfeld gründlich ab und lässt auch keine Einzelspaziergänge zu. Mit scharfer Munition beobachten sie von verschiedenen Hügeln das Geschehen. Doch es wäre für alle von der sympathischen Crew ein Albtraum, einen Eisbären töten zu müssen. Glücklicherweise ist ihnen dies noch nie passiert.

 

Eisbär in Sicht

Die Schifffahrt ist ein ständiges Abenteuer. Selten kann man den Zeitplan oder die anvisierten Ziele einhalten. Und das ist gut so. Die Crew analysiert die Lage stets neu, will den Besuchern die in jenem Moment schönsten Naturkulissen zeigen – und natürlich möglichst viele Tiere. So fährt das 4,5-Sterne-Schiff an Walrössern vorbei, an Seehunden, an Rentieren und an Zehntausenden Vögeln.

Einmal spritzen zwei Blauwale Wasserfontänen in die Höhe. Wunderschön, da liesse sich so manches Gedicht dazu schreiben.

Und ja, am vorletzten Tag geschieht es: Ein Eisbär stampft gemütlich auf einer Eisscholle neben dem Schiff her. Gräbt ein Loch, versucht, einen Fisch oder eine Robbe zu fangen, leider erfolglos. Fast hatten es die Passagiere aufgegeben, den König der Arktis noch zu Gesicht zu kriegen. Doch so ist es mit Abenteuerreisen in die Natur; eine Garantie, Tieren zu begegnen oder gutes Wetter zu haben, gibt es nun einmal nicht.

Das nördlichste Postamt

Nach acht Tagen neigt sich die Reise dem Ende zu. Die Zivilisation kehrt zurück. Erstes Ziel vor dem anfangs erwähnten Longyearbyen ist Ny Alesund, die nördlichste dauerhaft zivil besetzte Forschungsstation der Welt. Hier befindet sich auch das nördlichste Postamt der Welt, was viele nutzen, um noch eine Ansichtskarte zu verschicken.

In Ny Alesund leben im Winter etwa 30, im Sommer 120 Personen, insbesondere Forscher aus aller Welt. Ein kleines Museum zeigt die einstige Geschichte der Firma Kings Bay Kull Company, die hier eine Kohlenmine betrieben. Der Bergbau wurde aber nach mehreren Unfällen und aus weiteren Gründen 1963 endgültig eingestellt.

Am Ende geht es schliesslich nach Longyearbyen, wo es eine Führung durch ein kleines, wunderschön gestaltetes Museum mit einem ausgestopften Eisbären gibt. Dann heisst es: Heimflug antreten. Jeder mit einem anderen Ziel, kommen die Reisenden doch aus allen möglichen Ländern. Doch alle haben etwas gemeinsam: Sie gehen schweren Herzens. Wer weiss, ob man jemals wieder eine solch unberührte, saubere und ruhige Natur erleben wird? Insbesondere, da immer mehr Eis von unserer Weltfläche verschwindet.

Zudem ist es eine Preisfrage – Spitzbergen ist nicht günstig. Wer mit der Jacht L’Austral von der französischen Reederei Ponant raus will, zahlt schnell mal über 12 000 Franken. Dafür ist fast alles inbegriffen – versteckte Kosten gibt es nicht. Und wer glaubt, dass sich nur «reiche Firmenchefs» das leisten, irrt sich. Viele Passagiere haben lange dafür gespart. Und ihr Fazit: Für dieses einmalige Erlebnis habe sich jeder Rappen gelohnt.

Diese Reportage ist in Zusammenarbeit mit Kuoni Cruises entstanden. Sämtliche Angebote für Spitzbergen unter www.kuonicruises.ch

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