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Reportage

NGOs kritisieren, dass es Kindern in Asylunterkünften schlecht geht. Die Behörden meinen, das bestehende Angebot reiche aus. Bild: PD

Leiden Kinder im Asyl?

Von: Clarissa Rohrbach

13. August 2024

Laut NGOs wird in Zürcher Asylunterkünften zu wenig auf das Kindeswohl geachtet. Die Behörden meinen, man mache angesichts der stark gestiegenen Flüchtlingszahlen und der Platzknappheit genug.

Lily (5) war mit den Stichen der Bettwanzen übersät. Das kosovarische Mädchen lebte nach der Flucht aus dem Heimatland mit seinen Eltern und Geschwistern in einer Asylunterkunft in Frauenfeld. Die fünfköpfige Familie musste in einem einzigen Zimmer beengt leben. Die Hausaufgaben machte Lily auf dem Boden. Zum Spielen gab es keinen Platz. Dazu kam, dass in den Aufenthaltsräumen lauter junge Männer waren, vor denen die Fünfjährige Angst hatte. Die traumatisierenden Verhältnisse in der Asylunterkunft führten dazu, dass Lily wegen Albträume, Panikattacken und Verzweiflung zur Psychologin musste.

Warten, Schlafen, Essen

Diese Geschichte schildert die Non-Profit-Organisation humanrights.ch, welche sich für Menschenrechte einsetzt. Laut der NGO ist Lily kein Einzelfall. Während unbegleitete minderjährige Asylsuchende (UMA) eine Betreuungsperson haben, gehen die Bedürfnisse von Kindern in Begleitung von Erwachsenen oft vergessen. Auch Forscherin Clara Bombach, die für ihre Doktorarbeit an der Berner Fachhochschule während eines Jahres Kinder in Asylunterkünften begleitete, hat festgestellt, dass die Situation der Kinder kritisch ist. In den Gesprächen sagten diese deutlich: «Ich hasse das Camp.» Bombach schildert in der Berner Zeitung, dass die Kinder keinen Rückzugsort haben, keinen Platz, keine Aktivitäten. «Warten, Sitzen, Schlafen, Essen», fasst sie ihren Alltag zusammen. Dazu käme, dass die Eltern sich oft als «zerbrochen», «müde», «besorgt» oder «krank» bezeichneten. Das führt laut Bombach dazu, dass die Kinder die Verantwortung übernehmen. Sie dolmetschen, organisieren Dinge, schauen, dass die Eltern nicht noch trauriger werden. «Kinder sollten das nicht aushalten müssen, das wird in der Schweiz leider noch nicht erkannt», sagt Bombach.

Marianne Aeberhard, Geschäftsleiterin von humanrights.ch, kritisiert die mangelnde Berücksichtigung des Kindeswohls. «Der UN-­Kinderrechtsausschuss fordert, dass im Asylverfahren das Wohl der Kinder bei sämtlichen Entscheiden vorrangig berücksichtigt wird», sagt sie. Laut der Kinderrechtsorganisation Save the Children ist das Schweizer Asylwesen primär auf Erwachsene ausgerichtet, es würde den Schutzbedürfnissen der Kinder nicht gerecht. «Im Asylbereich muss nicht weiter gespart werden, die Massnahmen zum Schutz von Kindern müssen verstärkt werden», sagt Nina Hössli, Leiterin der Schweizer Programme, zum Beobachter.

«Es ist unmenschlich»

Auch in Zürich ist die Situation der geflüchteten Kinder prekär. Letzten Dezember wurde an der Turnerstrasse in Unterstrass eine Zivilschutzanlage zu einem Bundesasylzentrum umfunktioniert. Darin leben auch Familien mit Kindern. Die Quartierbewohner waren empört und reichten eine Petition gegen die Unterbringung von Flüchtlingsfamilien in Zivilschutzanlagen ein, die von 8700 Personen unterschrieben wurde. «Eine solche Unterkunft, beengt, ohne Tageslicht und Privatsphäre, ist für verletzliche und oft traumatisierte Kinder und ihre Familien schlicht unmenschlich», sagt Mitinitiantin Regina Strupler, pensionierte Kinder- und Jugendpsychologin.

Der Grund, dass Geflüchtete in Orte wie Zivilschutzanlagen untergebracht werden, ist die Platzknappheit. Wegen des ausgetrockneten Wohnungsmarkts in der Stadt nutzt diese Liegenschaften wie unbenutzte Büro- und Gewerberäume, leer stehende Altersheime oder auch Spitäler um. Letztes Jahr kamen über 30 000 Menschen in die Schweiz, die meisten aus Afghanistan, der Türkei, Eritrea, Algerien und der Ukraine. Der Kanton Zürich muss mit 18 Prozent schweizweit am meisten Geflüchtete aufnehmen. 6900 davon finden in der Stadt Zürich eine Unterbringung. Seit der Krieg in der Ukraine begonnen hat, ist die Quote der Aufnahmen von 0,5 auf 1,6 Prozent gestiegen, das heisst 16 Personen pro 1000 Einwohner. Das sind mehr als doppelt so viele als vor dem Krieg.

Genug Aktivitäten

Die Asylorganisation Zürich (AOZ) begrüsst die Bemühungen der NGOs um das Kindeswohl. «Wir legen grossen Wert auf den Schutz besonders vulnerabler Personen», sagt Sprecher Martin Reichlin. In den Kollektivunterkünften der Stadt gebe es Gemeinschafts-, Spiel- und Lernräume wie auch Spielplätze und Aufenthaltsbereiche im Freien. Wichtiger als die Belegung der Schlafräume sei, dass den Kindern Rückzugsorte zur Verfügung stehen. Man lege grossen Wert darauf, solche bereitzustellen. Zudem biete die AOZ Veranstaltungen an, wie zum Beispiel Ausflüge in Museen oder zu sportlichen Aktivitäten. Speziell für Kinder gebe es Vorlesestunden. «Wir entwickeln und ergänzen das Angebot laufend im Rahmen der Möglichkeiten», meint Reichlin.

Laut dem Staatssekretariat für Migration (SEM), das für die Bundesasylzentren (BAZ) in Zürich zuständig ist, gibt es in jedem BAZ einen kinderfreundlichen Raum mit kindergerechten Möbeln und Spielsachen. Ein Betreuungsteam biete regelmässig Spielaktivitäten an, in welche die Eltern miteinbezogen werden. Dazu würden täglich Freizeitangebote wie Zoo- und Spielplatzbesuch oder Bastelnachmittage bestehen. Aus Sicht des SEM ist die Unterbringung der Familien in einem Zimmer ausreichend. «Wir weisen darauf hin, dass es mit Blick auf die seit 2022 stark gestiegenen Asylgesuchszahlen eine Herausforderung ist, optimale Lösungen zu finden, speziell für Personen mit besonderen Bedürfnissen», sagt SEM-Sprecher Samuel Wyss. Wegen der angespannten Lage der Bundesfinanzen seien zusätzliche Ausgaben für das Kindeswohl wenig realistisch.

Ihre Meinung zum Thema? echo@tagblattzuerich.ch

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