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Kultur

Cecilia Bartoli ist überzeugt, dass Opern eine lange Zukunft haben. (Bilder: Uli Weber)

Zürcher Opernstar zeigt neues Gesicht

28. Januar 2020

Cecilia Bartoli (53) über ihr Album, das dem Kastraten Farinelli gewidmet ist, Glucks «Iphigénie en Tauride», die sie am Zürcher Opernhaus singt, und ihre inzwischen 30 Jahre in der Limmatstadt.  Von Reinhold Hönle

Herzliche Gratulation, nicht nur zum neuen Album – Sie haben sich auch sehr gut rasiert!

Cecilia Bartoli: Ja, perfekt, nicht? (Lacht)

Sie haben für «Farinelli» wieder keinen Aufwand gescheut …

Oh, und wie! Mir für das CD-Cover einen Bart wachsen zu lassen, war eine grosse Arbeit … Noch viel mehr Zeit nahm es jedoch in Anspruch, das Repertoire zu studieren und zusammenzustellen. Die Fotos mit Bart waren ein Spiel, die Verwandlung in die Rolle von Farinelli, denn auch er musste sich einen Bart ankleben lassen, da die Kastraten ja keinen Bartwuchs hatten. Wenn sie Könige oder andere imposante Figuren verkörpern wollten, mussten sie sich ihren Bart deshalb auf die gleiche Art «wachsen lassen» wie ich das gemacht habe. (Lacht)

 

Cecilia Bartoli liess sich für ihr neues Album einen Bart "wachsen".

 

Wie fühlte es sich für Sie beim Fotoshooting an, einen Bart zu tragen?

Wenn ich ehrlich bin, muss ich zugeben, dass dieses Gefühl für mich gar nicht so neu war! (Lacht) In Händels «Ariodante» bin ich bei den Pfingstfestspielen in Salzburg schon einmal mit Bart und einer Perücke im Johnny-Depp-Stil aufgetreten. Das war eine bemerkenswerte Leistung der Maske, in der ich jeweils mehr als zwei Stunden verbrachte, bevor ich auf die Bühne konnte. Der Bart musste in mehreren Stücken angeklebt werden, damit er beim Singen nicht störte oder verrutschte.  

Man erkennt Sie kaum, aber Sie sind auch als Mann attraktiv ...

Ah, bin ich das? (Sie lächelt und ihre Augen leuchten noch etwas mehr) Bei diesem Cover ging es mir vor allem darum, Farinelli auf spielerische, theatralische Art darzustellen, ganz ohne Schild oder Schwert. Darüber hinaus hat das Foto für Gesprächsstoff gesorgt. Was da alles geschrieben wurde, aber ich habe es mit Humor genommen. Der ist immer nützlich.

Welche Partien würden Sie gerne singen, wenn Sie eine Männerstimme hätten?

Ah, sicher Don Giovanni! Das ist eine Rolle, die mich schon immer fasziniert hat. Andere wie Othello würden mich reizen, weil es Opern sind, die mir sehr gut gefallen. Dazu gehören natürlich diverse Wagner-Rollen. Aber an Don Giovanni kommt keine vorbei.

Weshalb kehren Sie zehn Jahre nach dem Album «Sacrificium», das sich mit verschiedenen Kastraten beschäftigte, zu Farinelli zurück?

Er war einer der grössten Sänger seiner Zeit. Er hatte nicht nur eine hervorragende Stimme, sondern besass auch die Fähigkeit, Töne lange zu halten und so lange, schwebende, melodische Linien ohne Atem zu holen auszuhalten. Er war ein Meister bei den melancholischen und sehnsuchtsvollen Arien. Einerseits konnte er es mit Trompeten oder Oboen aufnehmen, wenn er seine starke Stimme einsetzte, anderseits langsame, schwermütige Arien und Klagelieder voller Inbrunst singen. Obwohl das Publikum vor allem bewundert, dass man all die «vielen Noten» und die anderen musikalischen Herausforderungen bewältigt, liegt die grosse Kunst darin, «ein Werk so zu singen, dass es in der Seele ankommt» – wie es Rossini ausdrückte.

Wie würden Sie es sagen?

Das Schwierigste ist, Gefühle zu vermitteln, sich direkt in die Herzen der Zuhörer zu singen. Farinelli konnte das und das Projekt ist für mich zum richtigen Zeitpunkt gekommen, da ich nicht nur stimmlich und technisch in der Lage war, mich mit ihm auseinanderzusetzen, sondern meine persönliche Erfahrung einbringen konnte. «Sacrificium» war zwar ebenfalls den Kastraten gewidmet, aber vor allem dem Virtuosentum, dem musikalischen Wahnsinn fast. Dieses Album ist jetzt tiefgründiger, reifer. Mir haben die Aufnahmen aber auch sehr viel Spass gemacht.  

In welcher Hinsicht?

Hasse schrieb die Oper «Marc’Antonio e Cleopatra» eigens für Farinelli als Cleopatra. Und Marc’Antonio wurde bei der Premiere 1725 in Neapel von einer Frau mit Altstimme gesungen. Dieser Rollenwechsel muss optisch wie akustisch faszinierend gewesen sein.  

Wie anspruchsvoll wäre es für Sie, zwischen Arien auf «Farinelli» und «Iphigénie en Tauride» hin- und herzuwechseln?

Das ist schwierig, aber selbst, wenn du im Moment, wo du singst und spielst, voll in Farinelli drin bist, kannst du schnell wieder in eine andere Rolle eintauchen, da dich die Musik führt. Das ist das Geheimnis.

Was gefällt Ihnen an Glucks Oper, mit der Sie am 2. Februar am Zürcher Opernhaus Premiere feiern werden?

«Iphigénie en Tauride» ist ein absolutes Meisterwerk. Da befinden wir uns in einer neuen Welt mit einer neuen musikalischen Sprache. Wir haben den Barock verlassen und steigen in die Frühklassik ein, wo Gluck Künstler wie Publikum in seine Dimension entführt. Bei seinen begleiteten Rezitativen lässt er keinen Platz für irgendeine Form von Virtuosentum, wie man sie von den Kastraten kannte. Er zeichnet die konfliktreiche Welt der Familie in ihrer Tragik. Es geht um Verzicht und Verlassen, all die Aspekte der Mythologie. Die Musik von Gluck reflektiert sehr stark die Einsamkeit und Verzweiflung des menschlichen Wesens.

Sie haben gerade Ihr 30-jähriges Bühnenjubiläum am Zürcher Opernhaus gefeiert. Welche Momente sind Ihnen in besonderer Erinnerung?

Nach so langer Zeit ist das schwierig, denn wir haben so viele und so unterschiedliche Sachen gemacht, mit verschiedensten Musikern und Regisseuren … Sehr wichtig war die Begegnung mit dem Dirigenten Nikolaus Harnoncourt. Seine Sicht der Dinge und seine Herangehensweise waren ausserordentlich, zudem seine Liebe zu einem Repertoire, das mir bis dahin fast unbekannt war, und seine historische Aufführungspraxis, der Arbeit mit alten Instrumenten. Seine Art zu dirigieren und zu arbeiten, war ebenfalls sehr speziell. Als Mensch hatte er fast eine hypnotische Wirkung. Als wir «Figaros Hochzeit» gemacht haben, hat mich alles sehr beeindruckt und zunächst auch etwas schockiert. Die andere schockierende Erfahrung habe ich auf der Strasse gemacht.

Auf der Strasse?

Ich kam aus Rom, wo man damals 50 oder 60 Minuten auf den Bus wartete, im besten Fall kam er bereits nach einer halben Stunde. Wenn ich zur Schule fuhr, musste ich immer ewig warten. Kaum war ich in Zürich angekommen, rief ich meine Mama an: «Hör mal, hier gibt es etwas Aussergewöhnliches, Unglaubliches – am Opernhaus fährt alle drei Minuten ein Tram!» Sie sagte: «Ach was!» «Doch Mama, ich schwöre es dir!» Ich weiss, es klingt unglaublich, aber wenn man aus dem Verkehrschaos von Rom kommt, ist die Realität hier wie ein Schock. Die Erkenntnis, dass es Pünktlichkeit gibt, hat mich sehr beeindruckt! (Lacht)

Was haben Sie denn als junge Frau in Zürich in der Freizeit unternommen?

Gut, man muss bedenken, dass ich damals nach Zürich gekommen bin, weil man mich zum Arbeiten eingeladen hatte. Neben den vielen Proben hatte ich kaum Freizeit, aber bis heute gefällt mir die Nähe zur Natur. Du bist in einer Stadt, kannst aber schon in wenigen Minuten im Wald oder auf dem See sein. Ganz aussergewöhnlich war, dass der Zürichsee im ersten Winter zugefroren ist, zwar nicht komplett, aber doch weite Teile. Zuvor hatte ich in Rom erst ein einziges Mal ein paar Flocken gesehen. Ich war damals elf und der Verkehr ist vollständig zum Erliegen gekommen. Hier geht das Leben bei Schnee und Eis ganz normal weiter.

Kürzlich wurde bekannt, dass Sie 2023 Intendantin der Oper von Monte-Carlo werden. Was bedeutet Ihnen diese Berufung?

Als ich dieses Angebot erhielt, und das ist schon ein paar Jahre her, wollte ich es mir genau überlegen. Mit bereits acht Jahren als Intendantin der Salzburger Pfingstfestspiele habe ich inzwischen jedoch schon viel Erfahrung in Sachen Organisation, Technik, Programmgestaltung und Umgang mit den Künstlern gesammelt und hoffe, diese dann in meine neue Tätigkeit einfliessen lassen zu können. Das Opernhaus in Monte-Carlo ist zwar nicht gross, aber ein Schmuckstück. Die Saison dauert von Mitte November bis Ende April und umfasst nur fünf Produktionen. Das ist sehr speziell.

Welche Vision haben Sie ganz generell von der Oper in zehn oder zwanzig Jahren?

Momentan herrscht viel Pessimismus. Es heisst, es gäbe keine guten Sänger, keine guten Dirigenten und keine guten Regisseure mehr. Ich sage: Die Oper überlebt seit über 400 Jahren. Von Monteverdi bis heute. Ich bin sicher, dass die Menschen weiterhin Mozart, Händel, Puccini, Verdi und andere hören wollen. Der Wunsch, die Musik grossartiger Komponisten zu hören, wird anhalten.

Kann man sie noch neu interpretieren?

Ihre Werke sind so grossartig, dass es immer neue Wege geben wird, diese weiterzuentwickeln. Ich sehe das bei der Renaissance der Barockmusik: Es ist eine sehr alte Musik, aber letztendlich spricht auch sie vom Menschen und seinen Gefühlen: Von der Leidenschaft, der Einsamkeit, den Schwächen und den Intrigen. Wir werden weiterhin das Bedürfnis haben, diese Aspekte kennen zu lernen und getröstet zu werden. Denn das kann die Musik ja auch: Trost spenden.

Hören Sie auch Popmusik?

Nun ja, nicht viel, ehrlich gesagt. Ich finde, es fehlt heute an charismatischen Sängern. Es gibt in der jungen Generation, im Hiphop, aber auch in anderen Bereichen, so viele Gruppen und Solokünstler, die sich alle gleichen.

Weitere Informationen:
Cecilia Bartolis neues Album «Farinelli» (Universal Music) ist dem legendären italienischen Kastraten gewidmet. Vom 2. bis 11. Februar singt sie am Zürcher Opernhaus in Glucks «Iphigénie en Tauride» die Titelrolle.
www.ceciliabartoli.com
www.opernhaus.ch

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