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Kultur

Der Züri-Leu, das Zürcher Wappentier seit 1500, erzählt von Künstler Urs Eggenschwiler, der die Stadt mit so vielen Löwenskulpturen wie kein anderer schmückte. Bild: Stadtarchiv Zürich

Der Zürcher Seele auf der Spur im Landesmuseum

Von: Jan Strobel

29. Januar 2019

Zürich hat endlich sein eigenes Museum. Diesen Samstag eröffnet das Landesmuseum die neue, permanente Ausstellung «Einfach Zürich». Die kleine, aber umso vielschichtigere Schau ermöglicht einen gehaltvollen und spielerischen Rundgang durch die Zürcher Vergangenheit und Gegenwart. Dabei lassen sich auch bisher so noch nie gesehene Blickwinkel auf vermeintlich Bekanntes erleben.

Martin Heller, der wohl bekannteste Schweizer Kulturunternehmer und Kurator, steht an diesem Wintermorgen im Landesmuseum vor dem steinernen Löwen, dem majestätischen Wappentier Zürichs und spricht von «Sondierbohrungen». Es ist klar: In den Räumen der Ausstellung «Einfach Zürich» wird es in die Tiefe gehen, es werden Schichten offengelegt, verborgene Geschichten aufgeblättert, die Seele der Stadt und des Kantons Zürich erkundet, es wird eine Antwort gesucht auf die Frage: Was ist Zürich überhaupt? 

Dass die grösste Stadt der Schweiz bisher kein eigenes Zürich-Museum vorweisen konnte, ist schliesslich erstaunlich genug. Heller, der diese neue Dauerausstellung mit konzipiert hat, sagt: «Als die Stadt Zürich im 19. Jahrhundert zwar nicht Hauptstadt wurde, später jedoch den Zuschlag für das Landesmuseum bekam, wurden darin auch die Zürcher Objekte integriert. Während unserer Arbeit an dieser Ausstellung habe ich aber auch festgestellt, dass sich Zürich als ohnehin bedeutendster Wirtschafts- und Kulturstandort der Schweiz gegenüber anderen Regionen nicht zu sehr in den Vordergrund drängen mag.» Tatsächlich war die Vorgeschichte von «Einfach Zürich» keineswegs einfach. 2015 wurde in der Stadt sogar eine Abstimmung darüber nötig, weil die SVP, die GLP und die AL das Referendum ergriffen. Für sie war das Projekt zu teuer, überflüssig und ohnehin eine «Selbstbeweihräucherung». Die Zürcherinnen und Zürcher freilich sahen das ganz anders. Das Konzept musste in der Folge dennoch neu ausgearbeitet werden.

Kloake und Gummigeschoss
Das Resultat lässt sich nun ab dem 2. Februar begutachten – und es ist ein echter Wurf geworden. Auf den ersten Blick ist «Einfach Zürich» eine kleine Schau, verteilt auf lediglich drei Räume im alten Trakt des Landesmuseums. Wer es eilig hat, könnte sie also in etwa 20 Minuten durchlaufen. Wer sich aber auf Martin Hellers «Sondierbohrungen» richtig einlässt, der verbringt gut und gerne Stunden in diesem neuen Kleinod des Landesmuseums. Denn die Vielschichtigkeit, mit welcher der Identität Zürichs nachgegangen wird, ist tatsächlich verblüffend. 

Den Anfang machen unter anderem filmische Selbstporträts verschiedener Zürcher Gemeinden oder auch von Zürcher Stadtquartieren. Zürich, das ist eben auch der kleine Bahnhof von Pfungen, das Einfamilienhäuschen in Rüschlikon oder das neblige Moor bei Bubikon. Im nächsten Raum werden 60 Vitrinen mit Objekten aus der Zürcher Vergangenheit und Gegenwart bespielt, und jede einzelne von ihnen ist für sich genommen eine Ausstellung in der Ausstellung. Die Objekte sind sozusagen die Türöffner für historische, kulturelle und gesellschaftliche Themen, die anhand kurzer, anschaulicher Clips erzählt werden. Ein alter Koffer des Männerchors Aussersihl erzählt zum Beispiel von der Geschichte der ersten Eingemeindung 1893. Die WC-Ente, eine Zürcher Erfindung, ist Ausgangspunkt für die Geschichte der Zürcher Kloaken und überhaupt des Abwasserwesens. Ein simples Gummigeschoss erzählt dem Besucher über die Umwälzungen während der Jugendunruhen. Die Inhalte der Vitrinen werden regelmässig neu bespielt, «Einfach Zürich» soll schliesslich keine statische Schau bleiben, sondern sich, wie Zürich selbst, ständig organisch weiterentwickeln.

 Der dritte Raum schliesslich erlaubt einen bisher so noch nie ermöglichten Blick auf die Stadt und ihr Umland. Ein Team von ETH-Landschaftsarchitekten entwickelte filmische Fahrten in die Tiefen des Hauptbahnhofs oder in den Zürichsee mittels der sogenannten Punktwolken-Technologie, in der Laserscanner der Landschaftsvermessung sensationelle 3-D-Animationen ermöglichen. Der Besucher steht im Raum und ist mitten im Geschehen. «Einfach Zürich» ist eben auch hochkomplexe Zürcher Wissenschaft. 

Historische Schlittschuhkufen öffnen den Blick auf die Seegfrörni. 26-mal war der See seit 1223 gefroren. Im Bild: Die Seegfrörni 1929.

Die WC-Ente ist eine Zürcher Erfindung und erzählt auch ein Stück Hygienegeschichte. Bis zur «Kloakenreform» 1867 war Zürich alles andere als eine saubere Stadt.  Es kam zu einer Choleraepidemie. Später wurden im «Chübelihüsli» Kübel mit den Fäkalien entleert, die dann von den Bauern als Dünger verwendet wurden.

Eine Originalfahne der «Autonomen Republik Bunker», die im Dezember 1970 im Zug des Globus-Krawalls von linken Zürcher Jugendaktivisten gegründet wurde. Der Lindenhofbunker ist für kurze Zeit das grösste Jugendhaus Europas. Bilder: Stadtarchiv/PD

Weitere Informationen:
«Einfach Zürich» im Landesmuseum Zürich,
ab 2. Februar. Eintritt frei. 
www.einfachzuerich.ch

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