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Kultur

Dichter Adolf Frey (François Chappuis) schreibt mit seinen Musen das Zürcher Festspiel. Bild: PD

Premiere nach 120 Jahren

Von: Jan Strobel

27. August 2019

Das vergessene «Zürcher Festspiel 1901» hätte ein monumentales Werk werden sollen. Die Theatermacherin Esther Huss hat den Stoff wiederentdeckt und bringt ihn ab dem 11. September auf die Bühne.

Grosses – oder wie in diesem Fall – Monumentales entsteht zuerst durch Träume, die im Kleinen heranreifen, genährt aus Idealen und Sehnsüchten. Allzu häufig allerdings kommen sie nicht aus dem Projektstadium heraus und verschwinden bestenfalls wieder in den Archiven. So geschehen ist das mit dem «Zürcher Festspiel 1901», einem geradezu gigantischen Werk, das Episoden aus der Zürcher Geschichte erzählt. In seinen Ausmassen hätte es alles Bisherige in den Schatten stellen und zugleich dem Zürcher Sechseläuten einen neuen Sinn verleihen sollen.

Dass es jetzt wieder aus der Vergessenheit geholt wurde, ist der freien Theatermacherin Esther Huss zu verdanken. Es war reiner Zufall, dass sie bei der Recherche zu einem ganz anderen historischen Thema auf diesen Stoff stiess. «Die Geschichte der Stadt Zürich», sagt Esther Huss, «hat mich schon immer fasziniert. Und irgendwie fliegen mir vergessene Geschichten einfach zu. Für mich war schnell klar, dass ich das ‹Zürcher Festspiel 1901› auf die Bühne bringen wollte. Denn dazu war es nie gekommen. Dabei ist es heute ein Zeitdokument.» Das wiederauferstandene Stück feiert am 11. September im Zürcher Theater Weisser Wind Premiere – 120 Jahre nach seiner Entstehung.

Prächtig patriotisch

Ganz einfach allerdings gestaltete sich das nicht. Denn immerhin sah das Zürcher Monumentalwerk bis zu 2000 Schauspieler und Statisten und dazu einen riesigen Chor vor, die Szenen aus der Zürcher Geschichte nachstellen sollten. Die Idee zu diesem Festspiel entstand in den 1890er-Jahren. Damals  herrschte bei Gerold Vogel, dem Zürcher Ur-Zünfter schlechthin und gleichzeitig Präsidenten des Sechseläuten-Zentralkomitees, Unmut über den Zustand des Traditionsanlasses, dem er seine ganze Hingabe widmete. Das Sechseläuten verkam für ihn in künstlerischer Hinsicht immer mehr zu einer reinen Fasnachtsbööggerei, wie er selbst lamentierte. Vogel wünschte sich den alten Glanz zurück. Seine Bedenken teilten auch einige Hottinger Zünfter. An die Stelle der sinnentleerten Umzüge, so die Idee, sollte ein prächtiges Festspiel ­treten, später sogar ein eigenes Festspielhaus. Um die vorletzte Jahrhundertwende waren solche Festspiele sowieso in Mode, Vogel und seine Hottinger Mitstreiter ­ritten also auf der Welle des Zeitgeists. 

Als Gerold Vogel starb, blieb sein Festspiel-Traum lebendig. Die Hottinger Zünfter entwickelten den Plan weiter. Der sah vor, das Werk am Sechseläuten 1901 aufzuführen, zum 550-Jahr-Jubiläum des Beitritts Zürichs in die Eidgenossenschaft. Im Zürcher Literaturhistoriker und Dichter Adolf Frey fanden sie auch einen Autor, der sich mit Verve an den Stoff machte. Das Zürcher Festspiel hatte dabei wenig mit echter Poesie zu tun. Es sollte vielmehr beeindrucken, ein prächtiges Abbild der Zürcher Geschichte präsentieren und vor allem eines sein – patriotisch.

Adolf Frey konzipierte zehn Szenen. Den Auftakt macht die Gründung der Fraumünsterabtei im Jahr 853. Die letzte Szene behandelt den Einmarsch der Franzosen 1798. Und weil Frey ein Bewunderer Gottfried Kellers war, bildete dessen Huldigung «O mein Schweizerland» den Abschluss. Das gesamte Festspiel hätte sagenhafte fünf Stunden gedauert. Das alles klingt heute geschwängert mit ernstem Pathos. Das weiss auch Theatermacherin Esther Huss. «Ich versuchte das Stück so zu adaptieren, dass es nicht zu einer ernsthaften Geschichtslektion wird. Geschichte muss keine verstaubte Angelegenheit sein.» Esther Huss und ihr Hottinger Kulturverein Applaus kürzten das Monumentalwerk auf sechs Szenen zusammen, die jeweils etwa sieben Minuten dauern. Das Ensemble umfasst 35 Darsteller. Die Gesangsnummern werden von den beiden Berufsschauspielern Claudia Dieterle und Pascal Illi übernommen.

Esther Huss und ihr Ensemble interpretieren den historischen Stoff immer auch mit einem Augenzwinkern und einem Bezug auf die heutige Zeit. «Neben der Hauptbühne wird es auch Nebenbühnen geben», sagt die Theatermacherin. «Es geht uns auch um die Kreativität, die Adolf Frey antrieb, dieses Festspiel zu schreiben. Deshalb sitzt zu Beginn der Aufführung Adolf Frey auf seinem hohen Stuhl, vertieft in das Schreiben des Werks, bezirzt von seinen Musen.» Der Dichter, gespielt von François Chappuis, liefert dabei seine fertigen Szenen an das Zünfterkomitee ab, das aus dem Hintergrund den Prozess diskutiert. Auf der anderen Seite nimmt ein theaterverrücktes OK aus der Gegenwart Platz, das die Szenen humoristisch kommentiert, kritisiert und gleichzeitig das Publikum durch die  komplexe historische Materie führt.

Dass das Zürcher Festspiel damals im Archiv verschwand, hatte die Mehrheit des Sechseläutenkomitees zu verantworten. Ihr waren, so steht zu vermuten, die Ausmasse dieses Werks etwas unheimlich. Jedenfalls verweigerte sie die Finanzierung. Nur 5 der 18 Mitglieder entschieden sich für eine Durchführung.

Weitere Infos:
«Zürcher Festspiel 1901»
Theater Weisser Wind
Oberdorfstrasse 20, 8001 Zürich
Premiere: Mi, 11.9., 20.15 Uhr
Weitere Vorstellungen und Tickets:

www.zuercherfestspiel1901.ch

Tickets zu gewinnen!

Das «Tagblatt der Stadt Zürich» verlost 2 x 2 Karten für die Premiere des «Zürcher Festspiels 1901». Mi, 11.9., 20.15 Uhr im Theater Weisser Wind.
Schreiben Sie uns eine E-Mail mit Namen, Adresse, Telefon, E-Mail-Adresse und Betreff Festspiel an:
gewinn@tagblattzuerich.ch

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