17.10.2024 15:51
Meister des poetischen Spektakels
Cirque du Soleil gastiert vom 17. bis 20.10. mit «Corteo» im Hallenstadion. Der Tessiner Daniele Finzi Pasca (60) schuf die Show vor 20 Jahren und wurde so zum international gefragten Autoren und Choreografen. - Von Reinhold Hönle
Was bedeutet es Ihnen, dass die Show, die Sie vor 20 Jahren für den Cirque du Soleil kreiert haben, immer noch auf Tournee ist?
Daniele Finzi Pasca: Mamma mia, unheimlich viel! Ich habe bei der Entwicklung dieser Show viel dazugelernt, sie hat mich inspiriert und mein Leben auf den Kopf gestellt. Seither vergeht meine Zeit wie im Flug.
Wie kam es zur Zusammenarbeit?
Ich war mit meiner eigenen kleinen Compagnia in Mexiko auf Tournee, als mich der Cirque du Soleil zu erreichen versuchte. Ich hatte keine Ahnung weshalb und malte mir aus, dass man mich bei irgendeiner Produktion um Rat fragen wollte. Dann luden sie mich nach Las Vegas ein und eröffneten mir dort, sie wollen, dass ich für sie eine neue Show entwickle und inszeniere. Da ahnte ich, dass dies ein ganz wichtiger Moment in meinem Leben ist.
Welches waren für Sie die grössten Herausforderungen?
Ich musste zuerst einmal herausfinden, wie die grossen und komplexen Shows des Cirque du Soleil funktionieren, und merkte, wie wichtig der Faktor Zeit war. Weil viel mehr Menschen involviert sind und der Materialaufwand grösser ist, kostet jede Verzögerung viel Geld. Du musst schnell die richtigen Entscheidungen treffen, damit die Premiere am festgesetzten Termin in zwei Jahren stattfinden kann.
Wie hat sich «Corteo» im Lauf der Zeit verändert?
Die Mischung aus Akrobaik und Poesie ist zeitlos. Es geht darum, zu helfen, zu bewahren, anzustossen und weiterzuführen, damit die Künstler und Techniker jeden Abend Höchstleistungen erbringen. Nicht nur über ein, zwei Jahre, sondern in über 4000 Shows und trotz personeller Wechsel. Darsteller wie Victorio Lujan, der den Riesen 15 Jahre spielte, sind rar.
Wie lange sind Sie in solche Produktionen involviert?
Anders als bei meiner Compagnia bin ich beim Cirque du Soleil nicht dauernd präsent, sondern primär beim Schreiben und Choreografieren sowie in den ersten drei Monaten, um der Show den Feinschliff zu geben. Danach übernimmt ein Roadmanager die Verantwortung, dass alles rundläuft. Ich schaue nur noch hin und wieder vorbei, wie jetzt in Zürich oder in Paris. Manchmal bekomme ich auch Anfragen, die damit zu tun haben, dass ich «Corteo» ursprünglich fürs Chapiteau konzipierte, ehe Cirque-du-Soleil-Gründer Guy Laliberté wollte, dass es zur Arenashow wird.
Sie sind als Clown aufgetreten und stammen aus dem Tessin – wie Dimitri. Welche Bedeutung hatte er für Sie?
Er war als Künstler und Mensch eine beeindruckende Persönlichkeit und wurde zu einem guten Freund.
Hat er Sie inspiriert, Clown zu werden?
Nein, uns hat vor allem die Liebe zum Zirkus verbunden. Als Clown war er ein Meister, den ich studiert habe, wie er sich bewegt und wie er erzählt. Während er aus der Schule des Pierrot von Deburau und Marcel Marceau kommt, stamme ich aus der italienischen. Mir liegen die Figur der Pulcinella, ein Dario Fo oder Roberto Benigni, deutlich näher.
Nach ersten Erfahrungen als akrobatischer Clown im Circus Nock haben Sie in Indien und im Gefängnis existenzielle Erfahrungen gemacht. Wie kam es dazu?
Ich bin an meinem 18. Geburtstag nach Indien gereist, um als Freiwilliger in einer Institution für unheilbar Kranke von Mutter Teresa zu arbeiten. Ich wollte mich für die Gesellschaft engagieren und Gemeinschaft erleben, um mich selbst zu verstehen und was ich vom Leben will. Um als Pazifist nicht lernen zu müssen, wie man als Krieger kämpft, verweigerte ich nach meiner Rückkehr in die Schweiz den Wehrdienst, obwohl man dafür damals noch ins Gefängnis kam. Ich wollte mit den Mitteln des Theaters für eine bessere und friedlichere Welt kämpfen.
Staunten Sie, als Nichteinheimischer die Aufträge zu bekommen, die Schlussfeier der Olympischen Spiele in Turin und der Paralympics in Sotschi zu inszenieren?
Ich war auch überrascht, insbesondere im Fall von Turin. Aber immerhin spreche und träume ich italienisch… Die Organisatoren, die unter hohem Zeitdruck standen, sagten: «Wir brauchen jemanden, der das alleine stemmen kann. Nachdem wir ‹Corteo› gesehen haben, wissen wir, dass Sie das können.»
Sie waren auch für das Fête des Vignerons 2019 und andere spektakuläre Shows verantwortlich. Was für Steigerungsmöglichkeiten gibt es da noch? Die Super Bowl?
Wer weiss? Vielleicht bekomme ich mal eine Anfrage aus den USA, ob ich für sie etwas Verrücktes machen könnte? Ich warte aber nicht auf diesen Anruf, genauso wenig, wie ich auf die anderen Grossprojekte gewartet hatte. Ich bin schon glücklich, wie in den letzten 40 Jahren mit drei Koffern, einem kleinen 25-Punkt-Licht und meinem Solostück «Icaro» weiter auf Tournee gehen zu können. Wenn ich noch einen Traum habe, dann mit Freuden möglichst viele Projekte voller Menschlichkeit zu realisieren, wie bei «Titizé», das ich zum 400. Jubiläum des Goldoni-Theaters in Venedig schrieb und inszenierte.
Weitere Informationen:Cirque du Soleil spielt «Corteo» vom 17. bis 20. Oktober im Hallenstadion, www.hallenstadion.ch
Das «Tagblatt» verlost 2 × 2 Tickets für die Cirque-du-Soleil-Show «Corteo» vom 17. Oktober um 19.30 Uhr im Zürcher Hallenstadion! Schreiben Sie uns eine E-Mail mit Namen, Adresse, Telefon und dem Betreff Cirque an
gewinn@tagblattzuerich.ch
Zur Person
Daniele Finzi Pasca wurde 1964 in Lugano geboren. Mitte der Achtzigerjahre gründete er die Clown-Truppe Teatro Sunil und tourte mit ihr schon bald rund um die Welt. Der erste grosse Erfolg war das Solostück «Icaro», mit dem Finzi Pasca schon in sechs Sprachen und vor 100 000 Zuschauern auftrat. In andere Dimensionen katapultierte er sich 2005 als Schöpfer und Choreograf von «Corteo» für den Cirque du Soleil, die bis heute 12 Millionen Menschen anlockte. Es folgten weitere Inszenierungen der Superlative wie die Schlussfeiern der Olympischen Spiele in Turin und der Paralympics in Sotschi, das Fête des Vignerons in Vevey und die zweite Cirque-du-Soleil-Show «Luzia». Der Tessiner wurde 2006 mit dem Swiss Award und 2012 mit dem prestigeträchtigen Hans-Reinhart-Ring ausgezeichnet. RHÖ