Im Körper einer Kämpferin
Die Zürcher Sängerin, Schauspielerin und Ex-Tatort-Kommissarin Delia Mayer verkörpert in gleich zwei Serien die israelische Politikerin Golda Meir. Sie musste dafür sehr viele Zigaretten rauchen. - Von Isabella Seemann
Die Zürcher Sängerin, Schauspielerin und Ex-Tatort-Kommissarin Delia Mayer verkörpert in gleich zwei Serien die israelische Politikerin Golda Meir. Sie musste dafür sehr viele Zigaretten rauchen. - Von Isabella Seemann
Delia Mayer ist eine vielseitige Künstlerin. Als Kommissarin Liz Ritschard im Schweizer «Tatort» ermittelte sie in 17 Fällen über sieben Jahre. Sie tritt international an grossen Theaterhäusern auf, singt Jazz in Clubs und dreht Netflix-Serien («Unorthodox»). Heute Abend ist sie im TV-Doku-Drama «Die Spaltung der Welt» als Golda Meir, Israels «eiserne Lady», zu sehen. Die Dreharbeiten wurden grösstenteils vier Monate vor dem 7. Oktober 2023 abgeschlossen, als Hamas-Terroristen Israel angriffen und über 1200 israelische Zivilistinnen und Zivilisten ermordeten – das schwerste Pogrom gegen Juden seit dem Holocaust. Die Serie verdeutlicht die fortwährende Aktualität der israelischen Gründungsgeschichte.
Welche Bedeutung hat ein Film über Golda Meir, die Israel durch extreme Zeiten führte, gerade jetzt?
Delia Mayer: Über historische Fakten und Zusammenhänge aufzuklären, hat immer Relevanz. Das Projekt lag sieben Jahre bei Looksfilm und Arte in Entwicklung, also lange vor dem Angriffskrieg auf die Ukraine und dem Massaker der Hamas vom 7. Oktober 2023. In der Zwischenzeit hat sich die politische Weltlage leider erheblich verändert, dadurch gewinnt das Projekt noch mehr an Bedeutung. Gerade jetzt, wo Meinungen mehrheitlich auf Emotionen basieren, vereinfacht und polemisiert wird, ist es wichtig, sich an historischen Fakten zu orientieren, um genauer wahrzunehmen und eine differenzierte Diskussion führen zu können.
Was reizte Sie, die Rolle von Golda Meir anzunehmen?
Ich zögerte nicht eine Sekunde. Die Herausforderung, eine historische Figur zu verkörpern, eine überzeugende Mischung aus geschichtlichen Fakten und eigener Authentizität zu entwickeln, der Historie und einer echten Person gerecht zu werden und doch eine Interpretation zu geben, empfinde ich als Verantwortung und war für mich eine grosse künstlerische Reise, an der ich wachsen konnte. Ein Geschenk. Zumal ich als Person ein anderer Typ bin als Golda Meir. Das war eine wirkliche Transformation, ich erkenne mich selbst kaum. Dazu kommt, dass Golda Meir ihrer Zeit voraus war als weltweit erste weibliche Ministerpräsidentin, eine sehr starke, charismatische, selbstbestimmte, eigensinnige, uneitle, humorvolle, mutige und auch aneckende Persönlichkeit. Solche Frauenfiguren sind im Film untervertreten oder kaum sichtbar.
Wie haben Sie sich ihrer Person genähert?
Meine Arbeit an der Rolle begann damit, historisch zu verstehen, wo Golda Meir herkam und was sie geprägt hat. Ich habe Biografien gelesen, Dokumentationen und Archivmaterial studiert, um ein Verständnis zu entwickeln für die komplexen Zusammenhänge genauso wie für das eigensinnige neunjährige Mädchen, das mit der Familie aus ihrer Heimat Kiew durch antisemitische Pogrome vertrieben wurde und als Flüchtlingskind in den USA nie richtig heimisch werden konnte. Ein anderer Teil des Arbeitsprozesses war, mich ihrer körperlichen und mentalen Grundenergie und ihrer Sprechweise anzunähern, ihren Tonus zu erfassen, buchstäblich körperlich in sie reinzuschlüpfen. Ich habe vorgeschlagen, vom Kostüm fülliger, bodenständiger gemacht zu werden, um mich der Körperlichkeit von Golda anzunähern. Dies hatte auch einen Einfluss auf meine Stimme und Sprechweise. Nicht zuletzt hatte ich drei Wochen Zeit, um alle Dialoge in Englisch, Hebräisch und Jiddisch zu erarbeiten. Goldas Muttersprache war Jiddisch, dem Schweizerdeutsch also nicht unähnlich.
Erzählen Sie eine Anekdote von den Dreharbeiten.
Viele gruslige Kräuterzigaretten, wunderschön arrangierte überquellende Aschenbecher am Set, ein hustendes Team und Meerwassernasenspülungen im Hotelzimmer, um den Gestank wieder loszuwerden.
Sie spielen Golda Meir auch in der Serie «Band of Spies». Was sind die Herausforderungen, eine so charismatische historische Figur darzustellen, die bereits von Grössen wie Ingrid Bergman und Helen Mirren verkörpert wurde?
Ich habe mir beide Verfilmungen absichtlich nicht angesehen, um meinen eigenen Zugang zu finden und unbeeinflusst zu bleiben. Die Herausforderung bleibt immer dieselbe, unabhängig davon, wie viele Künstlerinnen sich einer ähnlichen Aufgabe zugewendet haben. Man muss die Arbeit von Schauspielenden immer im Zusammenhang mit Drehbuch, Regie und als Zeitdokument verstehen. Film ist immer Fiktion, ein Blickwinkel, eine Interpretation und dadurch persönlich. Besonders an «Band of Spies» war für mich, dass ich von einer israelischen Casterin für die Rolle vorgeschlagen wurde.
Welche Inspiration nehmen Sie aus Golda Meirs Geschichte für Ihr eigenes Leben mit?
Weniger rauchen?
Auf welche bevorstehenden Projekte freuen Sie sich besonders?
Bis zur Premiere am 16. November probe ich am Theater Basel «Into the Woods» von Steven Sondheim. Für meine Rolle der Hexe bedeutet das, über fünfundzwanzig musikalische Stellen und Songs zu lernen und die Szenen und Songs auf der Bühne entwickeln. Viel Spass und viel Knochenarbeit. Die Rolle der Hexe, eine archaische Figur, umfasst eine grosse emotionale Bandbreite, ist Drahtzieherin und Triebfeder der Geschichte und steht letztlich für die unverstellte Wahrheit in der Gesellschaft, vor der sich alle fürchten. Sie übernimmt die Hässlichkeit, die die Gesellschaft verleugnet. In einigen Punkten ist sie Golda nicht unähnlich.
Delia Mayer als Golda Meir
In der sechsteiligen dokumentarischen Dramaserie «Die Spaltung der Welt: 1939–1962» werden die dramatischsten Momente des Zweiten Weltkriegs und des Kalten Krieges aus Sicht historischer Persönlichkeiten beleuchtet. Delia Mayer verkörpert darin Golda Meir – zu sehen heute, 6. November, 21.05 Uhr auf Arte und am 10.11., 23.05 Uhr auf ORF2. Alle Episoden sind in den Mediatheken abrufbar. In «Band of Spies», einer israelisch-amerikanischen Serienproduktion der Autoren von «Fauda», spielt Delia Mayer ebenfalls Golda Meir. Ein Sendetermin steht derzeit noch aus.
Lade Fotos..