Im Abenteuerroman gefangen
Wie lässt sich Jules Vernes Reise «In 80 Tagen um die Welt» heute lesen, sehen und hören? Das Opernhaus macht für die Familie eine richtige «Oper» im Einklang mit der Gegenwart. - Von Herbert Büttiker
Und was dann, wenn auf dem Dampfboot mitten im Atlantik die Kohle ausgeht? Bild: T+T Fotografie / Toni Suter + Tanja Dorendorf
Wie lässt sich Jules Vernes Reise «In 80 Tagen um die Welt» heute lesen, sehen und hören? Das Opernhaus macht für die Familie eine richtige «Oper» im Einklang mit der Gegenwart. - Von Herbert Büttiker
Die Wette, ob eine Reise um die Welt in 80 Tagen zu schaffen sei, wäre heute absurd. Als Jules Vernes Roman 1873 herauskam, war sie aktuell, und vieles, worauf die Welt stolz war, sprach für den Erfolg: Der Suezkanal war eröffnet, Eisenbahnlinien durch die Kontinente waren gebaut, die Schiffslinien waren fahrplanmässig berechenbar. Pünktlichkeit war schon damals in der kolonialen Welt wie heute (fast) alles.
Pünktlichkeit war für den englischen Gentleman Fogg Charaktersache, und er war sich sicher, dass er die Wette gewinnen würde. Dass es schliesslich doch knapp wurde, hatte er Jules Vernes Phantasie zu verdanken, der ihm allerlei haarsträubende Hindernisse in den Weg legte. Zu denen gehörte halbwegs auch sein Diener mit Namen Passepartout. Der liess sich allzu leicht auf Abwege locken. Aber der Tausendsassa holte öfters auch die Kohlen aus dem Feuer und ist somit der eigentliche Held und Sympathieträger der Geschichte.
Mit Passepartout identifizieren sich junge Leser. Und so beginnt die Oper: Max vertieft sich in die Lektüre des Abenteuerromans, und schwups gerät in die risikoreiche Rolle des Passepartout – zum Leidwesen seiner Freundin Josy, die ihn lieber an der Klima-Demo sähe als gefangen im alten Schmöker, der vom Geist des Kolonialismus und der CO₂ ausstossenden Dampflokomotiven und -schiffe geprägt ist.
Kino ist nicht das, was das Opernhaus bietet. Die Bühne (Ulrike Reinhard, Franck Evin, Andreas Ivancsics) basiert im materiellsten Sinn auf dem Roman, seitenweise, buchstabentreu und ob Pyramide oder Schiff, Pferd oder Elefant papierbasiert. Bildschön und raffiniert überblenden sich Projektion und wirklich gebaute Ausstattung. Kunstvoll, aber ganz direkt entströmen den Kaminen die C0₂-Wölkchen. Das hat seinen Witz und theatertechnischen Zauber für Liebhaber der Bühnenkunst, und es hat auch den Reiz des kunstvoll illustrierten Kinderbuchs. Somit ist der Anspruch der «Familienoper» perfekt getroffen. Um ihm zu genügen, das zeigte sich über die Jahre, ist dem Opernhaus kein Einsatz zu gross. Der Intendant Andreas Homoki hat das Werk beim Komponisten Jonathan Dove und dem Autor Peter Lund in Auftrag gegeben und präsentiert damit in seiner letzten Spielzeit eine erfolgreiche Uraufführung.
Das Libretto ist in der sich durch das Geschehen ziehenden doppelten Perspektive raffiniert, zugleich aber auch einfach verständlich durch pointierten sprachlichen Zugriff und köstliche Reimerei. Die Textverständlichkeit ist überdurchschnittlich, wohl auch weil der Autor als Regisseur die Fäden in der Hand gehalten hat und den Dialog szenisch präzis platziert. Mit dem farbig instrumentierten, klanglich suggestiven Orchester und ausgreifenden Gesangspassagen ist «In 80 Tagen um die Welt» für die Ausführenden eine schöne Aufgabe. Unter der Leitung von Michael Richter fügen sich Klang- und Bühnengeschehen fesselnd zusammen, und die vielen Feinheiten, Emotionen und auch kolossalen Effekte der schillernden Partitur sind eine für junge wie erfahrene Ohren fesselnde Hörerfahrung.
Als der Fiesling, der Fogg als Bankräuber verdächtigt und die Reisenden verfolgt, brilliert Ruben Drole. Für den stoischen Briten Phileas Fogg hat Felix Gygli den klangvollen Bariton, wenn er sich salbungsvoll als Vertreter des British Empire zu erkennen gibt. Dramatisch aufgeregt dagegen ist die Partie des Passepartout respektive Max. Andrew Owens gibt ihm mit flexiblem, hellem Tenor die jugendliche Spontaneität, und mit seiner verzweifelten Arie, die er seekrank an der Reling singt, liefert er ein sympathisches Kabinettstück.
Zur Prinzessin Aouda gehört die Harfe, aber die Sopranistin Indyana Schneider hat mehr auszuspielen als zarte Anmut. Die Männer habe ihr das Leben gerettet, aber sie weiss, was sie vom Leben will. Dank ihr taut der korrekte und kühle Fogg auf, sodass es auch zum musikalisch schwelgenden Höhepunkt in Sachen Liebe kommt, wie er eben zur Oper gehört. Die Sopranistin Rebeca Olvera gibt der woken Josy stimmlich souverän und temperamentvoll das Profil als kritische Begleiterin des Geschehens.
Auch sie hat den Roman gelesen, aber erkannt, dass man ihn nicht für voll nehmen kann, und natürlich teilt die Regie ihren Blick: Auch sie nimmt die Erzählung der Reise durch den Orient, durch Asien und Nordamerika nicht für voll, und die Britische Noblesse mit Big Ben und Wett-Spleen ebenso wenig. Die vielen Nebenrollen von Lord Crookneck (Flavia Stricker) und Sir Pumpkin (Irène Friedli) bis zum Indianerhäuptling (Christian Sturm) stecken in aufgeblähten Kostümen und wanken und purzeln surreal herum. Das ist dann auch zum Schmunzeln und Lachen gut.
Weitere Informationen:
Lade Fotos..