Wie sich Zürich freitanzte
Techno ist mehr als nur Musik. Es ist ein Lebensgefühl, eine Bewegung, eine kulturelle Revolution. Die Schau «Techno» im Landesmuseum widmet sich diesem Phänomen in all seinen Facetten. - Von Isabella Seemann
1992 zieht der erste Techno-Umzug mit etwa tausend Personen durch die Zürcher Innenstadt. Bild: Thomas Eugster
Techno ist mehr als nur Musik. Es ist ein Lebensgefühl, eine Bewegung, eine kulturelle Revolution. Die Schau «Techno» im Landesmuseum widmet sich diesem Phänomen in all seinen Facetten. - Von Isabella Seemann
Im Club Zukunft ging im Morgengrauen des Montags für immer das Stroboskop aus, der Bass verstummte. Die ikonische Gorilla-Statue, die einst am Eingang thronte, ist bereits ein Museumsexponat. Wenige Tage vor der Schliessung des legendären Clubs eröffnete im Landesmuseum die Ausstellung «Techno». Obwohl die Zürcher Technokultur noch jung ist, wurde sie bereits in die Liste des immateriellen UNESCO-Kulturerbes der Schweiz aufgenommen – und als lebendige Schweizer Tradition anerkannt.
Anhand von Filmen, Skulpturen, Archivobjekten und Fotografien zeigt die Schau, dass Techno nicht nur die Musikgeschichte prägte, sondern bis heute Impulse in Kunst, Popkultur, Mode und Design setzt.
Seinen Ursprung hat Techno im Detroit der 1980er-Jahre. In der postindustriellen Tristesse einer zerfallenden Stadt erschufen afroamerikanische Musiker mit Synthesizern, Drumcomputern und futuristischen Visionen einen pulsierenden Sound, der über den Atlantik nach England und Berlin gelangte und von dort in die Schweiz, wo er auf fruchtbaren Boden fiel.
Zunächst in der Subkultur: Techno vereinte unterschiedlichste Szenen – hedonistische Nachtschwärmer, Hausbesetzer, Soundtüftler, junge Gastronomen, Künstler und die Schwulenszene. Ein Wendepunkt war die erste Zürcher Street Parade 1992.
Techno war nie nur Klang, sondern auch Raum. Die Ausstellung veranschaulicht eindrücklich, wie sich die Szene architektonische Nischen erschloss: Leerstehende Fabriken wurden zu legendären Clubs, spontane Raves fanden in Wäldern und auf Stadtbrachen statt. Illegale Kellerbars verwandelten sich in Orte der Ekstase. Doch der Kampf um Freiräume war stets präsent. Strenge Gastgewerbegesetze, Anwohnerklagen und Polizeirazzien zwangen Veranstalter zu kreativen Lösungen. Mitte der 1990er-Jahre setzte eine allmähliche Legalisierung ein. Clubs wie das Rohstofflager oder das Oxa prägten das Nachtleben. Unter der Decke der Dachkantine – nun im Landesmuseum ausgestellt – haben unzählige Zürcher die besten Clubnächte ihres Lebens verbracht.
Techno ist ein multisensorisches Erlebnis. Das Herzstück der Ausstellung ist ein Plattenladen, in dem Besucher in verschiedene Genres und Subgenres hineinhören können. Doch Techno hat auch eine visuelle Dimension. Flyer, Plattencover und Club-Dekorationen dokumentieren eine avantgardistische Ästhetik, die weit in die Mode- und Designwelt ausstrahlte. Schweizer Grafikdesigner prägten mit innovativer Typografie das Erscheinungsbild der Szene. Auch in der Mode verschwammen die Grenzen zwischen Subkultur und High Fashion: Neonfarben, futuristische Schnitte und technische Materialien fanden den Weg von den Dancefloors auf die Laufstege der Welt.
Die Clubnacht ist ein Raum kollektiver Ekstase, aber auch des individuellen Rauschs. Die Ausstellung thematisiert das Spannungsfeld zwischen Euphorie und Exzess: Drogenkonsum war stets Teil der Szene, nicht wenige landeten mit substanzinduzierten Psychosen in der psychiatrischen Klinik. Die Stadt Zürich, geprägt von ihrer liberalen Haltung gegenüber Drogen, etablierte früh Programme zur Schadensminderung und stellte mobile Drug-Checking-Angebote bereit.
Was als subkulturelle Bewegung begann, wuchs zu einer Massenveranstaltung. In wenigen Monaten wird die 32. Street Parade stattfinden und voraussichtlich wieder mehr als eine Million Menschen anziehen. Die Ausstellung dokumentiert diesen Wandel anhand von Eintrittskarten, Merchandise und Sponsoring-Deals. Techno hat sich in kommerzielle Eventformate verwandelt, doch die Subkultur lebt weiter. Neue Kollektive, experimentelle Clubkonzepte und alternative Festivals sorgen dafür, dass Techno ein Raum für Freiheit und kulturelles Experiment bleibt.
Weitere Informationen:
Die Ausstellung «Techno» ist bis am 17. August im Erweiterungsbau des Landesmuseums zu sehen. Begleitend gibt es Fokus-Veranstaltungen, Führungen mit Experten, Podiumsdiskussionen sowie Club- und Stadtrundgänge. Eine kuratierte Playlist ist verfügbar. Vom 15. bis 17. Mai findet das dreitägige «Castle Open Air» mit internationalen Star-DJs im Museumshof statt. Weitere Infos: www.landesmuseum.ch
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