Zivilisation und Zerstörung
Missionare und Indigene in Südamerika sind das Personal von Beat Furrers neuer Urwald-Oper «Das grosse Feuer». Die Uraufführung im Opernhaus ist ein mutiger und etwas undankbarer Kraftakt. - Von Herbert Büttiker
Dem Träumer und Trauernden Eisejuaz erscheint die verstorbene Frau. Bild: Herwig Prammer
Missionare und Indigene in Südamerika sind das Personal von Beat Furrers neuer Urwald-Oper «Das grosse Feuer». Die Uraufführung im Opernhaus ist ein mutiger und etwas undankbarer Kraftakt. - Von Herbert Büttiker
Der Schaffhauser Komponist Beat Furrer (*1954) ist früh nach Wien ausgewandert und ist dort zu einer Hauptfigur der zeitgenössischen Musik und zur international gefeierten Kapazität geworden. In seinem umfangreichen Schaffen nimmt das Musiktheater eine zentrale Rolle ein. «Das grosse Feuer» ist seine neunte Arbeit für die Bühne. Der Zürcher Opernhaus-Intendant Andreas Homoki hat sie zum besonderen Glanz seiner letzte Saison in Zürich in Auftrag gegeben und dem Komponisten dafür alle Kräfte des Hauses zur Verfügung gestellt. Zumal die grosse Orchesterbesetzung samt Zuzügern für Schlagzeug, Saxophon, Akkordeon und Klavier für die stark ziselierte, minutiös geschichtete und rhythmisierte Klangarbeit unter der Leitung des Komponisten. Es verdiente zusammen mit allen Beteiligten nach den zwei Stunden pausenloser Konzentration den langen, respektvollen Applaus des Publikums.
Angesichts des Themas, das Beat Furrer mit seinem Librettisten Thomas Stangl auf die Bühne gebracht haben, hätte man wohl auch stärkere Betroffenheit erwarten können. Es trifft den Nerv unserer Zeit, in der die Vergangenheit und Zukunft der westlichen Zivilisation so fragwürdig geworden sind. Kolonialismuskritik und Klimakatastrophe, die entfremdete Beziehung zur Natur und spirituelles Vakuum – es gibt viele Stichworte zur Geschichte, die in den zwei Akten und insgesamt 41 Szenen verhandelt wird. Grundlage ist der 1971 erschienene Roman «Eisejuaz» der argentinischen Schriftstellerin Sara Gallardo (1931 – 1988). Er spielt im Norden Argentiniens im letzten Jahrhundert, wo der Regenwald abgeholzt wird und die indigenen Völker, ihrer Grundlage beraubt, durch Missionare aus Nordeuropa «zivilisiert» und «evangelisiert» werden.
Eisejuaz heisst die Hauptfigur, ein schamanischer Führer des Vichí-Stammes, der aber schon nicht mehr in der eigenen Welt, sondern in der Missionsstation gross geworden ist. Vom Impuls der Nächstenliebe, die er ausgerechnet dem grauslichen Rassisten und Halunken Paqui zuteil werden lässt, bleibt er auch nach seiner Flucht geprägt und von seinen Wurzeln abgeschnitten. Der Rückzug in den sterbenden Wald wird zum Desaster. Die Sprache des Waldes und die Traumreise mit dem Schamanen Ayó (Ruben Drole) sind illusionär, real ist die Zerstörung. Als Licht bleibt die barmherzige Muchacha (Sarah Aristidou). Sie allerdings reicht Paqui und Eisejuaz unwissend ein Giftmahl – Kröteneier einer alten Chahuanca, einer Seherin (!), die das Ende vorausgesehen hat.
Wie dem Programmheft zu entnehmen ist, konnten Anthropologen der Hauptfigur des Romans noch 2011 in Embarcación besuchen. Die verstörende Symbiose von Eisejuaz und Paqui gehört in ihrer abgründigen Konstellation zur Fiktion des Romans. Damit stehen der Bariton Leigh Melrose als herausragende Titelfigur und der Bass-Bariton Andrew Moore als zweiter gewichtiger Protagonist mit enormen Herausforderungen an musikalisch-szenischer Präsenz im Zentrum des Abends. Zahlreiche weitere Rollen wie Reverendo, der Missionar, Selim ein Aktivist, Lucia, Eisejuaz' verstorbene Frau, die Seherinnen und weitere werden von Mitgliedern des auf zeitgenössische Musik spezialisierten Chor-Ensembles Cantando Admont gespielt. Sie alle sind in den komplexen Strukturen der Partitur mit grösseren und kleineren solistischen Einsätzen herausgefordert.
Furrers Umgang mit dem Text macht es ihnen (und dem Hörer) nicht einfach. Seine Tonsprache setzt nicht auf melodische Rhetorik, sondern auf eine kunstvolle Tongebung, mit der die Sprech- und Opernstimme auf klangliche und harmonische Valeurs hin ausgelotet werden und der Text vordergründig mehr zerbrochen als interpretiert wird. «Die Stimme selbst erzählt. Ob ich die Augen schliess oder nicht, ob ich das Libretto kenn oder nicht, es fesselt und beseelt mich weit über das diskursive Verstehen hinaus», sagt der Klangpurist zur Hörererfahrung, die er sucht und erfindet.
Wie weit dieses Hören an diesem Abend Erfahrung wurde, mag individuell beantwortet sein. Ein Problem für das Publikum mochte aber sein, dass es schwer war, sich auf das rein klangliche Geschehen einzulassen. Zu sehr beschäftigte das Entschlüsseln der Vorgänge auf der Bühne oder sogar der Blick auf die Projektion des Textes, wobei man sogar froh war, neben dem Dialog auch kurze Inhaltsangaben zur Szene zu bekommen. Mit anderen Worten, eine sinnfällig schlichter erzählende Bühne und Regie könnte dem Hören entgegenkommen. Die Bühne von Henrik Ahr mit ihrem zum blossen Gestänge abstrahierten Wald hat wohl suggestive Kraft, aber Wald und Sägewerk, Wirtshaus und Dorfplatz, Naturszenerie und ihre Zerstörung müssen da hineingedacht werden. Das Tiermassaker (Szene 13 im zweiten Akt) ist ein unscheinbares Maskenspiel. Sprechend sind die Kostüme (Silke Willrett), aber auch Tatjana Gürbacas expressive Personenführung lässt einen das Geschehen eher distanziert als aufgewühlt verfolgen und bedenken.
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