Als das Glück aufleuchtete
Die Automaten blinkten, Münzen klackerten, das Glück lag in der Luft – bis Zürich dem Spieltrieb ein jähes Ende setzte. Eine Zeitreise in die verlorene Welt der Spielsalons. - Von Isabella Seemann
Die Automaten blinkten, Münzen klackerten, das Glück lag in der Luft – bis Zürich dem Spieltrieb ein jähes Ende setzte. Eine Zeitreise in die verlorene Welt der Spielsalons. - Von Isabella Seemann
Neonlicht flackerte auf abgenutzten Teppichen, Zigarettenrauch hing schwer in der Luft, und über allem dröhnte eine Kakophonie beepender, Aufmerksamkeits-haschender Soundeffekte. Vor den blinkenden Geldspielautomaten versammelten sich Zocker und versuchten mit Geschick oder blosser Hoffnung, das nächste Rattern von Münzen auszulösen.
An den Flipperkästen übten junge Männer und wenige Frauen unter vollem Körpereinsatz, die Stahlkugel mittels zweier Hebel über Rampen, in Höhlen und gegen Hindernisse zu katapultieren – und den Score in immer neue Höhen zu treiben. Könner wussten: Ohne Rütteln geht gar nichts! Aber dosiert, damit der Kasten nicht mit «Tilt» und «Game Over» die Zusammenarbeit aufkündigt.
Nirgendwo auf der Welt standen bis in die 1990er-Jahre so viele Flipper wie im Kanton Zürich, nirgendwo in Europa hingen so viele Geldspielautomaten. Es gab sie in jeder Bar, in jeder Beiz. Während in weiten Teilen der Schweiz Geldspielautomaten verboten waren, entwickelte sich die Stadt Zürich zu einer Hochburg des Automatenspiels – zuletzt gab es allein auf Stadtgebiet 68 Spielsalons, die Flipper, Arcade-Spiele und einarmige Banditen in Hülle und Fülle anboten.
Das erste Lokal, das sich offiziell «Spielsalon» nannte, eröffnete 1940 am Rüdenplatz 4 oberhalb einer Wursterei. Anfangs spielte man dort Billard, Pingpong und Tischfussball. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg setzte der Automaten-Boom ein: Die in Deutschland stationierten GIs brachten Flipper und Musikboxen mit, die bald auch in Zürich Einzug hielten. Schon 1953 zählte man 14 Spielsalons in der Stadt, in der Presse war von einer «unkrautartigen Vermehrung» die Rede. Der 1954 an der Froschaugasse 5 eröffnete «Spielsalon Frosch» war jahrzehntelang ein Treffpunkt der Jugendszene und wurde im Kurt-Früh-Film «Polizist Wäckerli» verewigt.
Doch die Spielsalons gerieten immer wieder ins Visier von Moralhütern und Politikern, die um die Verwahrlosung der Jugend fürchteten. In den 1980er-Jahren nahm der Druck auf die Geldspielautomaten zu. Die Kombination aus hoher Spielsuchtgefahr und zwielichtigen Gestalten, die sich in den Salons tummelten, führte zu einer Reihe von kantonalen Volksabstimmungen.
1995 hiess es schliesslich «Game over»: Zürich verbot als einer der letzten Kantone der Schweiz die Geldspielautomaten. Quasi über Nacht mussten tausende Geräte abgebaut werden. Doch das Verbot hatte einen unerwarteten Nebeneffekt: Mit ihnen verschwanden auch die Flipper – die Unterhaltungsautomaten hatten oft nur dank der lukrativen Slotmaschinen überlebt. Heute gibt es in der Stadt keinen einzigen Spielsalon mehr.
Ivo Vasella, Architekt und leidenschaftlicher Sammler von Spielautomaten, rollt diese Geschichte in seinem Buch «Flipper und einarmige Banditen – Eine Kulturgeschichte der Zürcher Spielsalons» erstmals umfassend auf. Mit akribischer Recherche und persönlicher Leidenschaft zeichnet er nicht nur den Aufstieg und Fall einer Industrie nach, sondern beschreibt auch seine eigene Verbindung dazu. Als junger Mann steckte er selbst Unsummen in die Schlitze von Flipperautomaten. Heute sammelt und restauriert er Flipper und unterhält in Zürich-Altstetten ein privates Museum.
Eine Renaissance der Flipperszene scheint unrealistisch. Und doch: Die Faszination bleibt. Denn Flipper sind mehr als nur Spielgeräte – sie sind gleichzeitig Kultur- und Zeitgeschichte, wie die zahlreichen magischen Fotografien im Buch bezeugen. In den Spielsalons herrschte eine eigene Atmosphäre, in der sich die Menschen für einen Moment von ihren vielen Pflichten befreit fühlten.
Denn Flippern ist mehr als ein Zeitvertreib. Man zahlt seinen Einsatz, kämpft und verliert. Selbst das Freispiel, ein Moment des Triumphs, schiebt die Niederlage nur auf. Ein wahrhaftes Gleichnis auf die menschliche Existenz.
Weitere Informationen: Ivo Vasella: «Flipper und einarmige Banditen – Eine Kulturgeschichte der Zürcher Spielsalons», Hier + Jetzt Verlag, 2024, ISBN 978-3-03919-624-1
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