Publikum als Teil der Schau
Das Museum für Gestaltung Zürich feiert sein 150-Jahr-Jubiläum und eröffnet die Swiss Design Collection. Direktor Christian Brändle über Tradition, Transformation und die Zukunft des Hauses. - Von Isabella Seemann
Christian Brändle, Direktor Museum für Gestaltung. Bild: Jenny Bargetzi
Das Museum für Gestaltung Zürich feiert sein 150-Jahr-Jubiläum und eröffnet die Swiss Design Collection. Direktor Christian Brändle über Tradition, Transformation und die Zukunft des Hauses. - Von Isabella Seemann
Was verbindet das heutige Museum für Gestaltung noch mit dem 1875 gegründeten Gewerbemuseum?
Christian Brändle: Eine wichtige Frage. Das Gewerbemuseum entstand aus einer Notlage: Es war die Zeit des Historismus, in Architektur, Gestaltung und Design herrschte Orientierungslosigkeit. Gegenstände waren mit Ornamenten überladen. Das Gewerbe erkannte, dass es Vorlagen brauchte, um jungen Gestaltern und Gestalterinnen zu vermitteln, was gutes Design ist. So entstanden die Sammlungen für Kunstgewerbe und Grafik und im Anschluss auch die Kunstgewerbeschule. Bis heute sammeln wir herausragende Beispiele aus Design und Grafik – als Anschauungsmaterial für Studierende und Designer, aber auch, um der breiten Öffentlichkeit die Bedeutung dieser Disziplinen zu vermitteln. Wir verstehen uns als Brücke zwischen Expertise und Gesellschaft. Insofern hat sich unser Auftrag in 150 Jahren kaum verändert.
Das Haus musste sich mehrfach neu erfinden. Welche Entscheidungen prägten in Ihrer nun 22-jährigen Amtszeit das Museum am nachhaltigsten?
In dieser Zeit konnten mein Team und ich viele wegweisende Infrastrukturprojekte realisieren. Unsere Designsammlung mit 580 000 Objekten lag früher unter teils prekären Bedingungen in Kellern. Heute ist sie in den hervorragend ausgestatteten Räumen der Zürcher Hochschule der Künste im Toni-Areal vereint. 2018 sanierten wir unser Hauptgebäude an der Ausstellungsstrasse – das Bauhaus der Schweiz. 2019 erhielten wir von der Stadt Zürich den Pavillon Le Corbusier im Seefeld in unsere Obhut. Nun, im Jubiläumsjahr, eröffnen wir die Swiss Design Collection im Toni-Areal – ein weiterer Meilenstein. All dies war nur durch breite Unterstützung möglich.
Worin liegt aktuell Ihre grösste Herausforderung?
Unser «Baby», die Swiss Design Collection, zum Laufen zu bringen. Mehr als 200 Menschen haben in einem komplexen Zusammenspiel einen Beitrag geleistet zum Aufbau dieses Projekts. Es umfasst eine grosse Ausstellung mit Highlights aus den Sammlungsbeständen. Im Studio stellen wir Materialien und die Herstellung von Objekten in den Fokus, aktuell steht eine Papierwerkstatt für alle bereit. Zudem kann das Publikum erstmals frei durch Teile des Archivs gehen – ein spektakuläres Erlebnis!
Gibt es darin ein Objekt, das Ihnen besonders am Herzen liegt?
Mich fasziniert der Lifecycle eines Produkts: Von der ersten Bleistiftskizze über Modell und Prototyp bis hin zum fertigen Produkt und dessen Bewerbung – wenn wir diesen gesamten Entstehungsprozess dokumentieren können, erzählt das mehr als ein einzelnes Objekt.
Welche Ambitionen haben Sie für die Zukunft des Museums?
Die Digitalisierung ist unsere grösste Herausforderung. Sie betrifft nicht nur unsere Datenbank, sondern auch die Sammlung digitaler Objekte. Eine Frage ist: Wie können wir sicherstellen, dass ein digital produzierter Werbeclip auch in 150 Jahren noch abspielbar ist? Darauf haben wir noch keine abschliessende Antwort. Gleichzeitig erforschen wir, wie digitale Technologien Objekte erlebbar machen können, die sich nicht für Ausstellungen eignen, etwa weil sie zu filigran sind. Mit der Schau «Museum of the Future – 17 digitale Experimente», welche Ende August eröffnet, wagen wir einen Blick in die Zukunft und verwandeln unser Haus in ein Zukunftslabor.
Zürich ist reich an Museen. Wie behauptet sich das Museum für Gestaltung in diesem Umfeld?
Unsere Besucherzahlen sind so hoch wie nie. 2023 war unser Rekordjahr, 2024 das zweitbeste seit 1960 – konstant über 130'000 Eintritte jährlich. Ein Schlüssel unseres Erfolgs: Wir nehmen das Publikum ernst. Früher waren Museen Tempel des Wissens, heute sind sie Orte der Interaktion. Das ist eine tektonische Verschiebung. Die Leute kommen nicht, weil sie sich weiterbilden, sondern etwas erleben und ihre eigenen Spuren hinterlassen möchten. Wir bieten Edutainment mit Workshops und Hands-on-Ausstellungen. Bei unserer Oliviero-Toscani-Ausstellung konnten sich die Besuchenden in einem Fotostudio im Stil des Fotografen portraitieren lassen – 60 000 machten mit. Ihre Portraits wurden Teil der Schau.
Eine Ausstellung muss heute «instagrammable» sein. Damit erreichen wir auch ein jüngeres Publikum. Das ist wichtig, denn sie sind die Zukunft und es ist nachhaltig. Deshalb haben wir neu die Gratiseintritte bis 20 Jahre erhöht. Zudem gehen wir hinaus in die Stadt, wie etwa im Juni mit einer Ausstellung von 150 Plakaten am See.
Hat Zürich eine kreative Anziehungskraft?
Eindeutig. Mit der ETH, ZHdK und F+F Schule für Kunst und Design verfügt Zürich über eine enorme Bildungspower. Zudem ist die Stadt der grösste Wirtschaftsstandort der Schweiz. Firmen siedeln sich hier an, benötigen Design und Grafik. Ihre Kundschaft fordert gute Gestaltung. Das ergibt ein sich selbst erhaltendes System – und bringt letztlich eine dynamische, kreative Stadt hervor.
Ist Zürich auch innovativ?
In der Grafik ist sie unbestritten führend. Beim Industriedesign ist die geringe Marktgrösse der Schweiz ein Nachteil. Doch die Ausbildung ist exzellent, viele Absolventen arbeiten international. Auch einige lokale Leuchttürme setzen sich global durch: Etwa die Schuhmarke On mit ihrer Designabteilung im Kreis 5.
Stimmt es, dass Sie täglich die Koi-Fische im Museumsteich füttern?
Ja, das macht mich glücklich. Mein Sohn und ich haben uns für Koi interessiert und festgestellt, dass das Bassin vor dem Museum ideale Bedingungen bietet. Wir übernehmen Fische von aufgelösten Teichen – jetzt haben wir hier das entspannteste Altersheim der Stadt.
Weitere Informationen:
Das Museum für Gestaltung feiert sein 150-jähriges Bestehen mit der Eröffnung der Swiss Design Collection im Toni-Areal am 10. April, begleitet von einem Jubiläumswochenende am 12. und 13. April. Kostenloser Eintritt. Mehr Infos unter www.museum-gestaltung.ch
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