Am Ende aller Träume
Wolfgang Erich Korngolds frühreife Erfolgsoper «Die tote Stadt» ist im Opernhaus ein etwas nüchtern wirkender Albtraum von A bis Z geworden, aber für alle Beteiligten ein gefeierter Premierenabend. - Von Herbert Büttiker
«Die Beziehung zu seiner Frau war toxisch und für sie erniedrigend» (Tcherniakov.) Bild: Monika Rittershaus
Wolfgang Erich Korngolds frühreife Erfolgsoper «Die tote Stadt» ist im Opernhaus ein etwas nüchtern wirkender Albtraum von A bis Z geworden, aber für alle Beteiligten ein gefeierter Premierenabend. - Von Herbert Büttiker
Er wurde zum Protagonisten des Hollywood-Sounds – das Klanggemälde von ozeanischer Grösse mit dem Glockengeläut der Stadt Brügge, der «toten Stadt», lässt die Zukunft des Komponisten Erich Wolfgang Korngold als wegweisender Filmkomponist durchaus erahnen. Aber als er, 23-jährig und ein Jungstar, seine dritte Oper 1920 in Hamburg und Köln gleichzeitig zur Uraufführung brachte, lebte er in Wien. Als Wunderkind vollgesogen vom Reizklima der Wiener Jahre vor dem «Weltuntergang» und kreativ auf der Höhe der Puccini-Strauss-Epoche, stiess er 1916 auf den Stoff, der ihn zu seinem eruptiven Hauptwerk inspirierte.
In «Bruges-la-morte», dem Roman des belgischen Symbolisten Georges Rodenbach, geht es um Paul, der sich nach dem Tod seiner geliebten Frau mit seinen Erinnerungen im morbiden «Venedig des Nordens» eingräbt. Zufällig macht er die Bekanntschaft der Tänzerin Marietta, die Marie aufs Haar gleicht und von ihm mit der Toten zunächst wahnhaft gleichgesetzt wird. Allerdings ist sie gerade umgekehrt dem Leben sehr zugewandt, und vor allem möchte sie als sie selbst geliebt werden. Der Konflikt ist programmiert und gipfelt im Tod Mariettas durch Pauls Hand. Jetzt erwacht er und erkennt, dass er geträumt hat. Im doppelten Sinn: «Ein Traum hat mir den Traum zerstört», lautet das Fazit, mit dem er sich (vielleicht) dem Leben neu zuwenden kann.
Was Hugo von Hofmannsthal mit Bezug auf «Ariadne auf Naxos» als «das simple und ungeheure Lebensproblem, das der Treue» bezeichnet hat, lässt Dmitri Tcherniakov, der Regisseur der neuen Zürcher Inszenierung, in einem anderen Licht erscheinen. Ein vorangestellter Prolog zeigt Paul, der sich überlegen aufspielt, seine junge Frau erniedrigt und in den Tod treibt. Mit Marietta gerät er dann aber an eine Frau, die ihm die Stirn bietet. Und wenn es gemäss dem Regiekonzept nicht um Liebe, sondern um Macht geht, dann gibt es im Stück genügend Anhaltspunkte, im Kampf vor allem auch ihre provokante Stärke zu zeigen. So sind auf der Bühne auch zwei ebenbürtige Stimmen zu hören, der substanzvolle Tenor von Eric Cutler und der glänzend wehrhafte Sopran von Vida Miknevičiūtė. Beide verkeilen sie sich in exorbitanter Verausgabung in diesen Partien voller dramatischer Höhen und weit gespannter Phrasen. Dem erwarteten musikalischen Höhepunkt, dem liedhaft nostalgische Gesang «Glück, das mir verblieb» bleiben sie nichts schuldig.
Für ihren auch darstellerisch starken Auftritt gibt ihnen die vom Regisseur entworfene Bühne gleichsam Schaufenster. Eine herrschaftliche Fassade vor und über einer Strasse ist der Schauplatz der drei Akte – eine nüchterne Architektur mit Blick in ein Interieur, das seltsam unbewohnt erscheint. Dass hier Paul seine «Kirche des Gewesenen» voller Bilder und Hinterlassenschaften (ihr Haar vor allem) hütet, ist da ebenso wenig präsent wie im zweiten der «öde einsame Kai». Das Tongemälde, das Korngold der Stadt widmet, bleibt ausschliesslich das Dröhnen im Kopf des Mannes, der zwischen Treue und Begehren zerrissen durch die Stadt läuft. Das wird mittels der Drehbühne vor der Hausfassade auf etwas billige Art und Weise suggeriert, und zu wenig ausgefeilt wirken die Auftritte von Mariettas Theaterclique auf Rollerblades. Erst wenn die Party ausartet und Pauls Erinnerungstempel verwüstet wird, kippt fadenscheinige Realistik ins Gespenstische eines Albtraums.
Korngolds analytisches Traumgeschehen verunklärt die Inszenierung dabei vorsätzlich. Marietta erscheint Bild für Bild als eine andere Frau. Haar und Kleider, die heiligen Reliquien, spuken wie beliebig durcheinander. Der melancholisch offene Ausgang – die Melodie zu «sterben trennt uns nicht» kehrt wieder, nun mit Pauls Fazit «Leben trennt vom Tod grausam Machtgebot» – kommentiert hier nicht Pauls Erwachen zur Realität: Der Vorhang senkt sich über das halbwegs surreale Bild, das die Projektion der Polizeinachricht über das Verbrechen konterkariert.
Konsequent für Atmosphäre und Aufladung des Geschehens sorgt Korngolds hypnotisierende und deliriöse Klangchemie des grossen Orchesters. Lorenzo Viotti am Dirigentenpult holt mit Elan alle verführerische Süsse und grobianische Wucht aus der phantastisch instrumentierten Partitur heraus. Die Spannweite zwischen dem Sog in die traumatischen Sphären und zu rhythmisch aufgepeitschter Vitalität lässt sich kaum üppiger und differenzierter ausspielen. Dafür ist auch ein prägnantes Ensemble mit im Spiel, Evelyn Herlitzius als Brigitta, Björn Bürger als Frank und als Pierrot für den sentimentalen Schlager und weitere. Die Chöre sind hörbar in guter Form, ihre Prozession bleibt aber hinter der Bühne stehen. Vom Angebot des Librettos zum «gespenstischen Traumbild» macht die Inszenierung einen anderen bildstarken Gebrauch. Paul kleidet sich als Bischof und baut sich mit dem hochgereckten Bischofstab als mächtige Instanz auf, bevor die Wende ins Brutale folgt.
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