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Zürcher Experten rechnen mit einer starken Bewegung im Arbeitsmarkt. Mit Stellenabbau, aber auch mit gekürzten Arbeitspensen und Umstrukturierungen. Symbolbild: Clipdealer

Die Arbeitslosigkeit steigt

In der Stadt Zürich sind aktuell besonders junge Leute von Stellenverlust betroffen. Experten rechnen mit einer noch grösseren Entlassungswelle und Veränderungen bei der Jobsuche. 

Die Folgen der Corona-Krise machen sich auf dem Arbeitsmarkt bemerkbar. Die Arbeitslosigkeit steigt an. Täglich verlieren gemäss Seco schweizweit 1500 Personen ihre Stelle. Im Kanton Zürich waren Ende Mai 27 356 Personen bei den Regionalen Arbeitsvermittlungszentren (RAV) als arbeitslos gemeldet. Das sind 10 000 mehr als letztes Jahr zu dieser Zeit. Betroffen sind praktisch alle Wirtschaftszweige und Berufsgruppen. Deutliche Anstiege verzeichnen die freiberuflichen, technischen und wissenschaftlichen Dienstleistungen, der Detailhandel, Verkehr und Transport sowie das Gastgewerbe. «Was wir heute sehen, ist erst ein kleiner Teil des Ausmasses. In der zweiten Jahreshälfte droht eine noch grössere Entlassungswelle», befürchtet Arbeitsmarkt-Experte Pascal Scheiwiller und Chef der Schweizer Firma Rundstedt mit Filialen auch in Zürich.

Dabei gehe es nicht nur um reinen Stellenabbau, sondern vor allem auch um Umstrukturierungen, Optimierungen und gekürzte Arbeitspensen. Er geht davon aus, dass bis Ende Jahr womöglich bis zu 900 000 Personen in der Schweiz von einer Art Arbeitsmangel betroffen sein werden. Viele grössere Unternehmen haben Kurzarbeit beantragt. Aktuell ist jeder dritte Zürcher Angestellte davon betroffen. Mit der Lockerung der Pandemie-Massnahmen beginnt sich der Arbeitsmarkt langsam wieder zu erholen. «Die Unsicherheit über die Stärke der Erholung und der hohe Bezug von Kurzarbeit erlauben aber noch kein Aufatmen», sagt Irene Tschopp vom Amt für Wirtschaft und Arbeit.

Viele Angestellte stehen unter Strom, weil sie nicht wissen, was die Zukunft in ihrer Branche bringt. «Trotz der schwierigen Zeiten steht der Arbeitsmarkt nicht still, es kommt nach wie vor zu Anstellungen», betont Irene Tschopp. Beratungsgespräche mit den Stellensuchenden fanden aufgrund von Corona seit März nur telefonisch statt. Jetzt sind Gespräche vor Ort wieder möglich. Ab 6. Juli werden auch persönliche Anmeldungen von Stellensuchenden im RAV wieder erlaubt sein.

20- bis 29-Jährige sind derzeit am stärksten von Arbeitslosigkeit betroffen. «Berufseinsteigende haben in der Regel eine noch wenig gefestigte Stellung im Arbeitsmarkt gefunden oder arbeiten in Branchen, die von der Corona-Krise besonders hart getroffen wurden», erklärt Irene Tschopp diese Entwicklung.

Kompetenzen benennen

Seit 8. Juni gilt wieder die Stellenmeldepflicht. «Dennoch gehen immer noch viele Jobs unter der Hand weg. Netzwerken ist wichtig», sagt Irene Tschopp. Sie rät dazu, Kontakte zu aktivieren und Branchenveranstaltungen zu besuchen. RAV bietet ein Mentoring-Programm an, welches Stellensuchende unterstützt und das berufliche Netzwerk erweitert. Experte Pascal Scheiwiller rechnet in den nächsten Monaten mit einer starken Bewegung im Arbeitsmarkt. «Es kommt nicht nur zu Kündigungen, sondern auch zu Neueinstellungen.» Doch wie findet man überhaupt einen Job, wenn es so viele Leute gibt, die einen suchen? «Wichtig ist es, ein Verständnis dafür zu entwickeln, was der Markt braucht, und herauszufinden, was der Nerv einer offenen Position ist», sagt Scheiwiller.

Er empfiehlt, sich mit den Unternehmen auseinanderzusetzen, den Lebenslauf bei jeder Bewerbung spezifisch anzupassen und Kompetenzen zu erläutern. Was hat mich erfolgreich gemacht? Was zeichnet mich aus? Das Funktionsdenken von früher ist gemäss Scheiwiller nicht mehr zeitgemäss. «Was wirklich zählt, sind die Aufgaben dahinter, die Fähigkeiten und Kompetenzen, die man mitbringt.»

Den Lebensjob für immer, den gibts heute immer seltener. Viele Leute arbeiten projektbezogen oder haben temporäre Mandate. Auch Homeoffice werde immer wichtiger, denn dadurch entstehe mehr Flexibilität. Hier sieht Pascal Scheiwiller aber ein anderes Problem. Durch die überraschend guten Erfahrungen mit Homeoffice ist vielen Firmen vor Augen geführt worden, dass manche Funktionen nicht an die Schweiz gebunden sind, sondern von überall sonst in der Welt ausgeübt werden können. «Dadurch bekommt Mobilität eine ganz andere Bedeutung. Für die Arbeitsnachfrage eines Hochlohnlandes wie die Schweiz kann das negative Auswirkungen haben», glaubt der Branchenkenner. Vor allem erfahrene und ältere Arbeitskräfte müssten jetzt umdenken und sich neu positionieren, um bei der Stellensuche mithalten zu können.

Ihre Meinung zum Thema? echo@tagblattzuerich.ch

Fakten und Zahlen:

Im Kanton Zürich beträgt die Arbeitslosigkeit derzeit 3,2 %. Es handelt sich hier um die bei den RAV registrierten Arbeitslosen. Die Arbeitsmangelquote lag 2019 bei 11,7 %. Darin enthalten sind auch Stellensuchende, Ausgesteuerte und Unterbeschäftigte. Durch die Coronakrise droht der Arbeitsmangel auf bis zu 17 bis 18 % anzusteigen. Die meisten Arbeitslosen gibt es aktuell in der Stadt Zürich, gefolgt vom Bezirk Bülach und Winterthur. Quellen: Amt für Wirtschaft und Arbeit / Bundesamt für Statistik

15. Juni 2020

Von: Ginger Hebel

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