Eine Schlange – keine Bange
ZOO INTERN Alle zwei Wochen berichtet das «Tagblatt» über Neues und Wissenswertes aus dem Tiergarten. Heute geht es um einen heimlichen Zoobesucher, eine junge Ringelnatter. - Von Severin Dressen
ZOO INTERN Alle zwei Wochen berichtet das «Tagblatt» über Neues und Wissenswertes aus dem Tiergarten. Heute geht es um einen heimlichen Zoobesucher, eine junge Ringelnatter. - Von Severin Dressen
Eine der Privilegien, die ich als Zoodirektor habe, ist, dass ich bereits vor der offiziellen Türöffnung um 9 Uhr im Zoo unterwegs sein kann. Das passiert nicht oft, aber wenn, dann geniesse ich die kleinen Spaziergänge am frühen Morgen – die Ruhe, die besondere Stimmung, die dann oftmals herrscht.
Vor Kurzem ergab sich eine solche Gelegenheit – und fast hätte ich dabei eine Ringelnatter zertreten. Nun fragen Sie sich vielleicht, wie kann man denn eine Schlange übersehen. Das ist tatsächlich gar nicht so schwierig, denn es handelte sich um ein Jungtier. Ausgestreckt hätte sie vermutlich nicht mehr als 15 Zentimeter von Kopf bis Schwanzspitze gemessen und ungefähr die Breite eines kleinen Zweiges gehabt. Nun lag die kleine Schlange aber zusammengerollt auf dem asphaltierten Weg und war durch ihre schwarz-braun gemusterte Färbung auf dem dunklen Boden bestens getarnt. Sie wirkte im ersten Moment eher wie ein Stückchen schwarze Schnur oder ein Häufchen Dreck.
Da «Fötzele» jedoch das erste ist, was jeder neue Zoo-Angestellte lernt, hielt ich dann doch inne und wollte den scheinbaren Müll vom Gehweg entfernen. Bei näherer Betrachtung war schnell klar, was ich tatsächlich vor mir hatte.
Jetzt im Oktober stehen die Chancen gut, einer jungen Ringelnatter zu begegnen. Der Nachwuchs der Ringelnattern schlüpft im Frühherbst. Den Jungtieren bleiben dann nur wenige Wochen, um etwas Energie aufzunehmen und zu wachsen. Sie fressen beispiels-weise Kaulquappen oder Wasser-insekten. Bereits im Oktober begeben sie sich dann auf die Suche nach einem trockenen und geschützten Winterquartier. Ausgewachsene Ringelnattern haben sich zu diesem Zeitpunkt meist schon zurückgezogen. Die Jungtiere nutzen oft noch die letzten warmen Herbsttage.
In der Schweiz steht die Ringelnatter, sowohl die Nördliche wie auch die Barren-Ringelnatter, auf der Roten Liste. Beide Arten gelten als stark gefährdet, es existieren nur noch wenige grossflächige Gebiete mit bedeutenden Populationen. Bei uns im Zoo finden sich beide Arten. Immer wieder erhalten wir daher vor allem in den Sommermonaten Meldungen von besorgten Zoogästen, dass eine Schlange entwichen sei. Auch Anrufe von Privatpersonen, die eine Schlange im eigenen Garten gesichtet haben, kommen vor. Ringelnattern sind jedoch völlig harmlos und ungiftig. Wer eine Schlange entdeckt, sollte sie einfach in Ruhe lassen, sie wird ihren Weg in der Regel finden.
Das Jungtier, welches ich im Zoo entdeckt hatte, habe ich mithilfe eines Blattes an einen sonnigen Ort abseits des Gästewegs gelegt. Das wäre zwar nicht nötig gewesen, mir war jedoch das Risiko zu gross, dass sie als wechselwarmes Tier auf dem schwarzen warmen Asphaltboden noch länger verweilt hätte. Statt mir wäre dann eventuell ein Zoogast auf sie draufgetreten. Im Zoo engagieren wir uns nicht nur für den Schutz exotischer Arten, sondern natürlich fördern und schützen wir auch die einheimische Biodiversität.
Weitere Informationen:
www.zoo.ch
Lade Fotos..