Was summt und krabbelt noch?
Das grosse Sterben der kleinen Tiere: Roman Graf, Biologe, Käfer-Experte und Naturschutzfachmann, über Ursachen, Irrtümer und die Frage, was sich noch retten lässt. - Von Isabella Seemann
Gross-Laufkäfer wie der Goldlaufkäfer verschwinden zusehends. Bild: PD
Das grosse Sterben der kleinen Tiere: Roman Graf, Biologe, Käfer-Experte und Naturschutzfachmann, über Ursachen, Irrtümer und die Frage, was sich noch retten lässt. - Von Isabella Seemann
Jeder kennt den Begriff «Insektensterben». Ist er ein Hype oder wird er uns noch lange begleiten?
Roman Graf: Unter Insektensterben versteht man den massiven Rückgang der Insekten in ihrer Individuen- und Artenzahl. Es gibt viele Anzeichen, dass ein solches Insektensterben zurzeit tatsächlich stattfindet. Da ist etwa die berühmte «Krefelder Studie»: In einem Naturschutzgebiet wurde während Jahrzehnten mit denselben Methoden die Biomasse der Insekten bestimmt – sie nahm um rund 70 Prozent ab. Auch indirekte Hinweise gibt es: Die Bestände insektenfressender Vögel gehen stark zurück, während Körnerfresser und Greifvögel ihre Zahlen mehrheitlich halten.
Welche Gruppen trifft der Rückgang besonders?
Studien zeigen, dass Heuschreckenarten der Wiesen und Gross-Laufkäfer stark abgenommen haben. In Wäldern ist der Rückgang geringer als im Offenland. Auffällig ist auch, dass die Biomasse der Nachtfalter im Mittelland kleiner ist als in der subalpinen Stufe – theoretisch müsste es umgekehrt sein, denn das wärmere Klima der Tieflagen begünstigt die Entwicklung von Insekten. Das «Sterben» betrifft offenbar vor allem Insekten in Lebensräumen mit grossem menschlichem Einfluss. Besonders seltene Arten mit hohen Ansprüchen an ihren Lebensraum nehmen überdurchschnittlich ab.
Für das Insektensterben wird oft die Landwirtschaft verantwortlich gemacht. Ist dieser Zusammenhang so eindeutig?
Landwirte bewirtschaften den grössten Teil der Fläche unseres Landes, entsprechend ist ihr Einfluss gross. Intensive Landnutzungsmethoden und der Einsatz von Insektiziden sind für die Insektenvielfalt nicht förderlich. Die Anreicherung von Umweltgiften und Düngestoffen in der Landschaft sowie Verstädterung und Lichtverschmutzung zählen zu den Hauptursachen. Dennoch mache ich ungern eine Berufsgruppe oder einen Wirtschaftszweig zum Sündenbock. Wer kauft die unter hohem Pestizideinsatz produzierten, billigen Lebensmittel? Das sind wir Konsumenten – also tragen auch wir Verantwortung.
Wenig Probleme haben offenbar jene Insekten, die wir als Plage empfinden – Mücken, Wespen. Ein Widerspruch?
Es ist tatsächlich so, dass nicht alle Arten gleich stark leiden. Invasive Arten wie der Asiatische Marienkäfer oder die Essig-Frucht-fliege haben Vorteile, weil ihreGegenspieler hierzulande fehlen. Aber ob es heute gleich viele Stechmücken gibt wie vor 20 Jahren, weiss ich nicht – mir sind keine Zahlen bekannt.
Manche Arten nehmen in der Schweiz zu, begünstigt durch den Klimawandel wandern sie aus dem Süden ein. Relativiert das nicht den Begriff des «Insektensterbens»?
Dass einzelne Arten zunehmen, stimmt. Mehrere wärmeliebende Tagfalter, etwa der Karst-Weissling, haben das Schweizer Mittelland erst in den letzten Jahrzehnten besiedelt. Doch während es Gewinner gibt, verschwinden andere Arten, die an kühlere Klimata oder an eine extensive Nutzung angepasst sind. So hat sich der kälteliebende Breitrand-Wasserkäfer fast ganz aus Mitteleuropa zurückgezogen.
Wie stellt sich die Situation in Städten wie Zürich dar?
In stark durchgrünten Stadtquartieren oder in Parks und Gärten mit naturnaher Pflege und altem Baumbestand kann die Insektenfauna überdurchschnittlich artenreich sein. Versiegelte Innen-städte dagegen sind oft reine «Insektenwüsten». Viele Städte, auch Zürich, initiierten Biodiversitäts-Förderprojekte. Diese verbessern die Situation, doch wie gross ihr Beitrag an Bestandserholungen oder am Vorkommen bestimmter Insekten ist, lässt sich nur schwer messen.
Vortrag: «Das stille Sterben der Insekten – Ursachen, Folgen, Gegenmassnahmen» von Roman Graf, 13. November, 18 bis 18.45 Uhr, im Naturhistorischen Museum der Universität Zürich, in Zusammenarbeit mit Voliere Zürich. Eintritt frei.
Weitere Infos: www.nmz.uzh.ch
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