Visualisierung des geplanten Wasserkraftwerks Trift im Berner Oberland. Bild: Kraftwerke Oberhasli
22.10.2024 15:41
Kräftemessen um Kraftwerk
Mit Hilfe von EWZ soll im Trift-Gebiet des Berner Oberlandes ein Wasserkraftwerk entstehen. Laut Aqua Viva würde damit ein Naturjuwel zerstört, weshalb die Gewässerschutzorganisation Beschwerde gegen das Projekt eingereicht hat. Die Stadt Zürich wiederum spricht von einem optimalen Standort. - Von Sacha Beuth
Im Hinblick auf die Sicherstellung des Energiebedarfs der Stadt Zürich beteiligt sich EWZ schon seit vielen Jahren an nationalen und internationalen Stromerzeugungs-Projekten. So auch beim geplanten Bau eines Wasserkraftwerks im Trift-Gebiet des Berner Oberlandes. Hier will Kraftwerke Oberhasli (KWO), an dem die Stadt Zürich zu einem Sechstel beteiligt ist, demnächst eine Anlage bauen, welche einen Stausee von 85 Mio. Kubikmetern Volumen vorsieht und die jährlich 215 GWh Strom aus erneuerbaren Energien liefern soll. Mit einem Ausbau der Trift können dort gegenüber heute laut EWZ sogar 145 GWh zusätzlicher Strom produziert werden. Für EWZ ein wichtiges Standbein, da dieses anteilsmässig bis zu 36 GWh zur Verfügung hätte. Dies entspricht – würde der Strom nur für die Stadt Zürich verwendet – etwa 8 Prozent des Jahresstromverbrauchs. Mit der Menge könnten rund 86 000 Haushalte mit Strom versorgt werden.
Nun aber regt sich Widerstand gegen das Projekt. Die Gewässerschutzorganisation Aqua Viva sieht im Bau der Anlage eine Gefahr für ein «unberührtes Naturjuwel», welches ein Lebensraum bedrohter Arten sei, wie sie in einer Medienmitteilung schreibt. Aqua Viva hat darum beim Verwaltungsgericht des Kantons Bern Beschwerde gegen das Kraftwerksprojekt eingereicht. «Angesichts der existierenden Alternativen müssen wir Naturjuwelen wie das Trift-Gebiet nicht für die Energieerzeugung opfern. Als Vorreiterin in Sachen Umweltschutz sollte die Stadt Zürich mit gutem Beispiel vorangehen und zeigen, wie wir Klima- und Biodiversitätsschutz miteinander in Einklang bringen», sagt Martina Munz, Präsidentin von Aqua Viva und SP-Nationalrätin. Sie schlägt vor, den Strombedarf statt über ein neues Wasserkraftwerk über Wind- und Solarstrom zu decken. «Dieses Jahr werden auf Gebäuden Solaranlagen mit einer Energieerzeugung von insgesamt 1,9 Terawattstunden hinzugebaut. Davon sind 30 Prozent, also etwa 550 GWh, Winterstrom – rund 3-mal die Menge, die das Trift-Wasserwerk an Winterstrom erbringen würde.» Auch neue Windturbinen wären eine Möglichkeit. «In beiden Fällen wäre der ökologische Eingriff viel geringer als bei einem neuen Stausee. Ausserdem ist es sinnvoll, wenn der Strom auch hauptsächlich dort produziert wird, wo er verbraucht wird. Leider sind die Verantwortlichen meist eher bereit, die letzten intakten Gebirgslandschaften zu verbauen, statt vor der eigenen Haustüre zuzubauen.»
Gebiet nicht «unberührt»
Bei der Stadt Zürich hält man das Trift-Projekt dennoch für die beste Lösung. Von zentraler Bedeutung sei der Speicher, um bedarfsgerecht und während der Wintermonate Strom produzieren zu können. «Es gibt keinen besseren Standort für einen Speichersee in der Schweiz. Die topografischen Voraussetzungen sind sehr gut, das Projekt kann in die bestehenden Kraftwerksanlagen integriert werden und der Wasserreichtum ist gross. Das Trift-Projekt ist breit legitimiert und erfüllt sämtliche Anforderungen in Bezug auf die Wirtschaftlichkeit sowie die Klima- und Umweltverträglichkeit», so der zuständige Stadtrat Michael Baumer. Er weist zugleich darauf hin, dass das Trift-Gebiet entgegen den Behauptungen von Aqua Viva keine «unberührte» Natur mehr sei. «Bereits seit den 1960er Jahren wird das Wasser, das in der Trift anfällt, zur Stromproduktion genutzt. Das Gebiet wird zudem touristisch genutzt.» Ausserdem sei kein Schutzgebiet vom Projekt betroffen und der Grund und Boden, auf dem das Trift-Wasserkraftwerk realisiert werden soll, gehöre der KWO.
Munz gibt zu, dass hier der Begriff «unberührt» relativ zu interpretieren ist. «In der Trift hat es zwar zwei SAC-Hütten, aber keine Seilbahn und keine Skipisten. Und ja, weiter unten im Tal ist das Triftwasser bereits gefasst. Jedoch nicht beim für das Projekt vorgesehenen Gletschervorfeld, einem wichtigen Feuchtgebiet. Rund 80 Prozent der Flora und Fauna sind an solche stark bedrohten Lebensräume gebunden.» So seien im Trift-Gebiet beispielsweise Arten der Roten Liste, national prioritäre Arten und mehrere Alpen-Endemiten nachgewiesen worden.
Stadtrat Baumer, der auch Verwaltungsrat der KWO ist, zeigt sich darüber verwundert: «Es gab vor der Einreichung des Konzessionsgesuchs durch die KWO eine Begleitgruppe und einen Arbeitsausschuss mit Vertretern von Umweltverbänden, der Politik, dem Tourismus, der Region und der KWO. Gemeinsam wurden verschiedene umstrittene Punkte und Ersatz- und Ausgleichsmassnahmen diskutiert. Leider nahm Aqua Viva an diesem Dialog nicht teil.»
Bis vier Jahre Aufschub
Wenn im Gegenzug ein anderes, unberührtes Gebiet geschützt werde, dann könne man darüber reden, gibt sich Munz gesprächsbereit. «Das Problem ist, dass es in der Schweiz generell nur noch wenige Gebiete wie die Trift gibt und im Berner Oberland ist mir keines bekannt.» Aqua Viva will nach eigenen Angaben jedenfalls weiter für den Erhalt des Trift-Gebietes kämpfen. Im Kräftemessen zwischen der Gewässerschutzorganisation und der Stadt Zürich hat Erstere durch die Beschwerde eine Verzögerung des Bewilligungsverfahrens erreicht. Baumer sagt dazu: «Wir rechnen mit mindestens drei bis vier Jahren Aufschub. Das ist bedauerlich, denn die Produktion von zusätzlichem Winterstrom in der Schweiz solle eher schneller vorangetrieben als weiter verzögert werden».