Autoputzen für die Seele
In der legendären «Stützliwösch» werden Autos von Hand gereinigt – für die Männer ist das ein Wohlfühl-Ritual. Dass die Anlage im Frühling einem Neubau weicht, wissen viele nicht. - Von Clarissa Rohrbach
In der legendären «Stützliwösch» werden Autos von Hand gereinigt – für die Männer ist das ein Wohlfühl-Ritual. Dass die Anlage im Frühling einem Neubau weicht, wissen viele nicht. - Von Clarissa Rohrbach
Die Autos sind blitzblank. In der «Stützliwösch» an der Hohlstrasse in Altstetten schrubben die Männer mit liebevoller Sorgfalt. Nachdem die Seife abgespritzt ist, halten sie einen Moment inne und begutachten ihr Werk andächtig. Jede der zehn Boxen ist besetzt. Die Hälfte der Autos sind BMWs – die Kunden sind alle männlich. Das Waschprogramm ist in sechs einfache Schritte aufgeteilt: Vorwäsche, Hauptwäsche, Feinwäsche, Klarspülen, Heisswachs, Glanzspülen. In Betrieb nimmt man die Hochdrucklanze mit Jetons. Diese lösen die Kunden an einer Maschine ein, die unter dem Logo der «Stützliwösch» steht. Inmitten des Schriftzugs lächelt ein Auto mit grossen, sympathischen Augen die Männer an, als ob es zu wissen scheint, wie sehr diese ihr Fahrzeug lieben. In der «Stützliwösch» legt man selber Hand an, automatische Waschstrassen seien für Frauen, sagen die Männer. Sie nehmen in Kauf, dass ihre Schuhe nass werden, rauchen eine Zigarette und unterhalten sich mit Gleichgesinnten über Autos. Es riecht nach Seife.
Die «Stützliwösch» ist Kult. Seit über 30 Jahren werden hier Jährlich 100 000 Autos geputzt, 300 pro Tag. Ein Jeton kostet 1 Franken, daher der Name der Anlage. Für einen kompletten Waschgang brauchen die Männer sieben bis zehn Franken, das ist deutlich günstiger als eine Waschstrasse, die rund 20 Franken kostet. Die Anlage ist rund um die Uhr geöffnet, die Autoliebhaber kommen auch nachts oder am Wochenende. Das hat dazu geführt, dass die Anlage auch zu einem Treffpunkt für «Autoposer» wurde. Nachdem sie das Auto geputzt haben, cruisen die Männer durch die Hohlstrasse mit ihren Boliden. Das hat bei Anwohnern für Unmut gesorgt. Im August reichten sie eine von 634 Personen unterschriebene Petition ein, um im Quartier mehr polizeiliche Kontrollen und Lärmblitzer zu fordern. Die Stadtpolizei sagte damals zum «Tages- Anzeiger», eine Verzeigung der Autoposer sei schwierig, denn dafür brauche es eine gesetzliche Grundlage, die zurzeit noch fehle.
Doch bald ist Schluss mit der grössten «Stützliwösch» an der Hohlstrasse in Altstetten. Ende Mai 2025 beginnen dort Bauarbeiten für einen siebenstöckigen Neubau der Zürcher Prime-Tower-Architekten Gigon / Guyer. Die SBB, Eigentümerin des Areals, will damit einen Ort der «urbanen Produktion» schaffen. Im nahegelegenen SBB-Werkstatt-Areal sind bereits rund 40 kleine und mittlere Betriebe einquartiert, die Gin, Kaffeemaschinen und Seife herstellen. In den oberen Stockwerken soll ein «Stadtgeschoss» entstehen, also eine Art Quartierzentrum, das die Leute zusammenbringt. Für das Gebäude sollen Materialien wiederverwendet werden, so die Vorgabe der SBB. Deshalb haben die Architekten eingeplant, zwölf Kilometer alte Gleise als Stützen zu benutzen. Fertig werden soll der Bau im Jahr 2026.
Die Männer an diesem Nachmittag haben keine Ahnung, was geplant ist. «Ich komme alle zwei Tage hierher, ich wusste nicht, dass die Anlage schliesst», sagt Daniel Ahmeti in englischer Sprache. Er finde es sehr schade, denn die Reiniger seien stark und das System einfach. «Ich weiss noch nicht, wo ich alternativ hingehen werde», sagt der 24-Jährige – und steigt in seinen BMW. Auch Tobias Murati ist nicht orientiert über die Schliessung. Der Automechaniker liefert als Nebenjob Essen für ein Restaurant am Limmatplatz aus. «Die‹Stützliwösch› ist nahe gelegen, ich komme regelmässig hierher», sagt der 23-Jährige. Auch er fährt einen BMW, ist aber an diesem Nachmittag mit dem VW Up des Geschäfts unterwegs. Laut Murati gehört die «Stützliwösch» zum Quartier, sie sei ein fester Bezugspunkt der Autofahrer in der Stadt. Eine Ausweichoption habe er noch nicht. «Ich muss mir überlegen, wo ich dann hingehe», meint er. Eher selten in Altstetten ist der Adliswiler Nico Marina (38). Er profitiert gerade von der Zeit, in der Frau und Kind im Letzipark shoppen, um sein Auto zu putzen. «Die ‹Stützliwösch› ist eine super Anlage.» Er schätze vor allem, wie zentral sie gelegen sei. Die meisten Autowaschanlagen seien weit weg. «Ich weiss von Leuten, die jeden Tag kommen, es gibt viele Stammkunden», sagt der Nordmazedonier im Hoodie. Auch er fährt einen BMW, «es ist aber ein Occasion-Auto, nicht allzu teuer also», meint er.
Ob die «Stützliwösch» an einen anderen Standort zieht, ist derzeit noch ungewiss. «Wir suchen fieberhaft nach einem Ersatzstandort», erklärt Geschäftsführerin und Mitinhaberin Janine Meyerstein. Die Suche gestalte sich aber schwierig, weil Zürich nicht die Autostadt sein will, die sie einmal war. Sie meint, Altstetten sei eher zum Trendquartier geworden, da sei es klar, dass die SBB mit einem Hochhaus mehr Miete einnehmen wolle. Meyerstein bleibt dran: «Uns blutet das Herz, wir wären gerne mit der ‹Stützliwösch› hier geblieben, aber wir geben nicht auf.» Es bestehe das Bedürfnis nach einer Autowaschanlage an diesem Ort. Ihre Eltern Beat und Ellen Meyerstein gründeten die erste Autowaschanlage 1982. Ihre Firma Autop & Stützliwösch AG betreibt heute, neben der Anlage beim Letzipark, weitere in Schlieren, am Sihlquai, beim Tiefenbrunnen sowie an fünf weiteren Standorte.
Eine halbe Stunde später, an diesem Nachmittag, fahren die Männer mit ihren Wagen aus den Boxen heraus. Sie parkieren auf der Seite der Waschanlage, wo Staubsauger angebracht sind. Mit allen Türen offen, saugen sie hingebungsvoll die Fussmatten, die Sitze und die Ritzen dazwischen. Dann, nach einer guten Stunde, fahren sie davon, selig lächelnd.
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