26.11.2024 15:07
Schlafplatz aus der Not
Seit rund 30 Jahren bekommen in der Stadt Zürich gemeldete Obdachlose in der Notschlafstelle an der Rosengartenstrasse ein Dach über dem Kopf. Vielen Nichtbetroffenen dürften die Abläufe in der Institution dennoch unbekannt sein. Das «Tagblatt» hat einen Blick in die «Schliifi» geworfen. - Von Sacha Beuth
Eine dick eingepackte Frau sitzt zwar noch vor dem Eingang zur Notschlafstelle an der Rosengartenstrasse 30. Das Gebäude selbst haben die Übernachtungsgäste an diesem Mittwochvormittag jedoch schon verlassen. «Wir haben jetzt im Winter ab 20.30 Uhr geöffnet und gewähren bis 0.30 Uhr Zugang. Um 10 Uhr müssen alle wieder draussen sein», erklärt Sylvie Jossi, Leiterin Abteilung Obdach bei den Sozialen Einrichtungen und Betrieben der Stadt Zürich, die zusammen mit Andrea Weiss, Geschäftsbereichsleiterin Schutz und Prävention, zu einem Rundgang geladen hat.
Die Notschlafstelle, von den Nutzenden gerne «Schliifi» genannt, ist eines der diversen Angebote des Geschäftsbereichs Wohnen und Obdach. Übernachten dürfen dort alle von Obdachlosigkeit betroffene und mittellose Einzelpersonen, die in der Stadt Zürich gemeldet sind. Es ist eine Institution, die quasi aus der Not heraus entstand. «Die offenen Drogenszene am Platzspitz und später am Letten brachte viel Leid und Elend und im Zuge dessen auch viele Menschen um ihr Obdach», erzählt Jossi. «Doch erst ab 1991 mit der 4-Säulen-Strategie mit den Pfeilern Prävention, Schadensminderung, Repression und Therapie verbesserte sich die Situation. Zur Schadensminderung gehörte in Zürich der Aufbau von fünf städtischen Notschlafstellen, von denen heute nur noch die an der Rosengartenstrasse in Betrieb ist.»
Zwischen 381 bis 634 Personen pro Jahr haben in den letzten Jahren die Notschlafstelle beziehungsweise einen ihrer insgesamt 52 Schlafplätze in 4- und 6-Bett-Zimmern genutzt. 16 davon stehen ausschliesslich Frauen zur Verfügung. «Übrigens ist entgegen der weit verbreiteten Meinung der Winter nicht zwingend die Zeit mit dem grössten Andrang», bemerkt Jossi, wobei in dieser Jahreszeit das verstärkte Engagement von privaten Hilfswerken einen Teil des Bedarfs auffangen kann.
Geschützter Raum
Jossi öffnet die Tür zu einem 4-Bett-Zimmer. Die Ordnung lässt zu wünschen übrig. «Aber dies lässt sich nicht verallgemeinern. Wir haben Gäste, welche ihr Bett so perfekt herrichten, als hätten sie es auf einer Hotelfachschule gelernt. Auch legen viele Wert auf ein gepflegtes Äusseres und entsprechen gar nicht dem klassischen Bild von Randständigen.»
Eine Besonderheit der Notschlafstelle sind die Konsumzimmer, in denen nicht nur Alkohol, sondern auch illegale Drogen konsumiert werden dürfen. «Diese bewusste Entscheidung im Zusammenhang mit dem 4-Säulen-Prinzip bietet den Süchtigen die Möglichkeit, in einem geschützten Rahmen konsumieren zu können.» Vorbei an den Dusch- und WC-Räumen geht es zum Aufenthaltsraum, wo die Übernachtungsgäste TV schauen, sich unterhalten und essen können. «Am Abend gibt es eine Beutelsuppe mit Brot und am Morgen ein Frühstück – beides ist für die Obdachlosen gratis». Jede Nacht sind zudem immer mindestens drei Fachpersonen anwesend, die ein offenes Ohr für die Gäste haben und in Streitfällen deeskalierend einwirken können. Finanziert wird die Notschlafstelle als Ganzes von der Stadt Zürich, wobei pro Nacht und nutzender Person 146 Franken kalkuliert werden.
Angesichts des umfangreichen Angebots der «Schliifi» stellt sich die Frage, warum es trotzdem noch Randständige gibt, die im Freien übernachten. «Dies sind rund drei Dutzend Menschen, die sich auch einfachen Regeln wie unserer Hausordnung nicht unterordnen können oder wollen», erklärt Andrea Weiss. Dennoch kümmere sich die Stadt Zürich auch um diese. Etwa durch Patrouillen der sip züri, die als Sozialambulanz Obdachlose auf der Strasse ansprechen und in Notfällen Hilfe leisten.
Grundsätzliches Ziel sei , dass man den Betroffenen Hilfe zur Selbsthilfe bietet. Dabei scheut sich die Stadt auch nicht, Neues auszuprobieren. Ein Beispiel hierfür ist das Pilotprojekt Housing-First. Dabei wird obdachlosen Menschen mit Suchterkrankungen und/oder anderen psychischen Problemen eine eigene Wohnung vermittelt, und sie erhalten von Fachpersonen individuelle und flexible Unterstützung zu Themen wie Wohnen, Gesundheit und soziale Integration. «Der Aufwand der Stadt Zürich für Obdachlose ist gross. Menschen in Notsituationen erhalten immer ein Dach über dem Kopf bekommt, wenn sie das wollen», betont Jossi.