Kleiner Junge mit grossem Willen
Leonard Müller steht mit gerade einmal elf Jahren vor seiner grössten sportlichen Herausforderung: der Teilnahme an der Kimura-Shukokai-Karate-Weltmeisterschaft 2025 in Finnland. - Von Chantal Cosandey
Leonard Müller steht mit gerade einmal elf Jahren vor seiner grössten sportlichen Herausforderung: der Teilnahme an der Kimura-Shukokai-Karate-Weltmeisterschaft 2025 in Finnland. - Von Chantal Cosandey
Schon zweimal hat der 11-jährige Leonard Müller aus Zürich Leimbach an der Kimura-Shukokai-Karate-Schweizer-Meisterschaft einen Pokal abgestaubt. Nun wird der junge Karateka im Juni 2025 bei der Weltmeisterschaft in Finnland in der Alterskategorie 12/13 antreten.
Leonard und seine 10-jährige Schwester Stephanie wurden in Indonesien geboren. Ihr Vater, Daniel Müller, war 1984 dorthin ausgewandert. 2017 kehrte er mit seiner damaligen Ehefrau und den beiden Kindern in die Schweiz zurück, um ihnen eine bessere Zukunft zu ermöglichen. Kurz nach der Rückkehr verliess die Mutter die Familie mit unbekanntem Ziel.
Leonard begann vor fünf Jahren in der Karateschule «Kimura-Shukokai-Karate» in Adliswil mit Karate – inspiriert durch seinen Vater, der ihm die Bedeutung von Selbstverteidigung nahebrachte. Von Anfang an hat ihn der Sport gepackt. Was ihn am meisten faszinierte, ist die Vielfalt des Sports und die Möglichkeit, in verschiedenen Disziplinen wie Kumite (Zweikampf) und Kata (Schattenkämpfe) zu glänzen. «Ich habe durch Karate viel gelernt, vor allem Durchhaltewillen», erklärt Leonard. Dieser Wille half ihm auch durch schwierige Phasen wie damals, als er fast ein Jahr für den nächsten Gurt brauchte und keine Motivation mehr hatte. Doch er biss sich durch und schaffte den braunen Gürtel – eine Leistung, die ihn stolz macht. Der Weg dorthin bescherte ihm ein paar blaue Flecken, die er aber locker nimmt. «Das gehört halt einfach dazu, da muss man durchbeissen können. Richtig verletzt war ich aber noch nie.» Karate sei auch nicht dazu da, andere bewusst zu verletzen. «Karate fördert das Wohlbefinden, die Kraft, die Beweglichkeit, die Konzentration und die Koordination. Es ist eine Art Lebensschule», ergänzt sein langjähriger Trainer aus der Karateschule, Miguel Wettstein.
Leonard muss sich an einen straffen Zeitplan halten: Er trainiert viermal pro Woche, davon einmal im Kader, einer Einheit für fortgeschrittene Sportler. «Das macht mir grossen Spass, weil ich dort viel von den Erwachsenen lerne.» Neben Karate findet er auch noch Zeit für den Turnverein, den Klavierunterricht und die Pfadi. «Es ist oft stressig, aber ich mache alles gerne», erzählt er verschmitzt. Sein sportlicher Einsatz hat sich gelohnt: Bei den Schweizer Meisterschaften 2023 holte er den 1. Platz im Kumite – ein Erfolg, der ihn und seinen Vater besonders stolz machte. Insgesamt sammelte er in den letzten Jahren acht Titel bei nationalen Turnieren. Abseits der Wettkämpfe ist Leonard ein ganz normaler Junge mit vielseitigen Interessen. Wenn er nicht gerade Karate trainiert oder Klavier spielt, verbringt er seine Zeit gerne mit Fussballspielen oder dem Bauen mit Lego. Dieser Balanceakt zwischen Disziplin und Lebensfreude macht ihn zu einem jungen Sportler, der sowohl auf als auch abseits der Matte beeindruckt.
Die Teilnahme an der Weltmeisterschaft in Finnland nächstes Jahr ist für Leonard ein grosser Schritt. «Ich freue mich sehr, bin aber auch nervös», gibt er zu. Sein Ziel: aufs Podest kommen. Ein ehrgeiziger Plan, wenn man bedenkt, dass er sich erstmals mit internationalen Gegnern misst. «Das wird schwierig, weil ich dort fast niemanden kennen werde. Bei den Turnieren in der Schweiz kennt man sich mittlerweile untereinander.» Leonard bleibt jedoch zuversichtlich und bereitet sich gewissenhaft vor. Um seine Ziele zu erreichen, kann er auf familiäre Unterstützung zählen: Seine Schwester und sein Vater Daniel Müller, der die beiden seit fünf Jahren alleine grosszieht. Der 65-Jährige übernimmt nicht nur die Rolle des grössten Fans, sondern will auch die finanzielle Herausforderung der Weltmeisterschaft stemmen. «4700 Franken kosten die Flüge, das Hotel und Verpflegung – das ist viel Geld», sagt Daniel Müller. Als Randsportart erhält Karate kaum Sponsorengelder, was die Teilnahme zusätzlich erschwert. Deshalb hat er ein Crowdfunding-Projekt gestartet.
Leonard ist nicht nur ein erfolgreicher Wettkämpfer, sondern auch ein Vorbild für Durchhaltevermögen und Begeisterung. «Man muss Spass haben, auch wenn man nicht immer gewinnt. Sonst kommt man nicht weit», sagt er. Mit dieser positiven Einstellung und der Unterstützung seiner Trainer Adrian Casserini und Miguel Wettstein freut er sich auf die anstehende Weltmeisterschaft. Für seinen Vater ist er bereits heute ein Gewinner. «Ich bewundere ihn dafür, dass er alles durchzieht, was er sich vornimmt. Er ist ein kleiner Sturkopf. Das hat er vermutlich durch meine Gene», sagt Daniel Müller lächelnd.
Im Dojo, dem Trainingsraum, darf Leonard beim Meditieren und Aufwärmen der tiefer gradierten Karatekas unterstützend mitwirken. Er soll so lernen, Verantwortung zu übernehmen. Ausserdem ist es ein Zeichen des Vertrauens seiner Trainer. «Leonard zeigt, dass man mit Fleiss und Ausdauer viel erreichen kann», sagt Miguel Wettstein. Leonard selbst sieht das eher gelassen: «Ich will einfach mein Bestes geben.»
Ob es in Finnland für einen Platz auf dem Podest reicht, wird sich zeigen. Doch eins ist sicher: Leonard wird weiterhin mit Leidenschaft und Disziplin seinen Weg gehen – ein Leben ohne Karate kann er sich nicht mehr vorstellen.
Weitere Informationen:
www.gofundme.com(dort nach «Mit eurer Hilfe zur Karateweltmeisterschaft 2025» suchen)
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