Die Magie lässt sich nicht kaufen
Heute ist Heiligabend. An Weihnachten geht es nicht um Geschenke oder glitzernde Fassaden, sondern um Momente echter Menschlichkeit. - Von Franco Luzzatto
Franco Luzzatto, Dekan Stadt Zürich.
Heute ist Heiligabend. An Weihnachten geht es nicht um Geschenke oder glitzernde Fassaden, sondern um Momente echter Menschlichkeit. - Von Franco Luzzatto
Weihnachten in Zürich – die Stadt erstrahlt in einem funkelnden Lichtermeer. Die Bahnhofstrasse lockt mit glitzernden Schaufenstern und der süsse Duft von Glühwein und Guetzli liegt in der Luft. Doch hinter der festlichen Fassade zeigt sich eine andere Realität: Für viele Menschen ist diese Zeit emotional belastend. Einsamkeit, psychische Herausforderungen und der Druck, ein perfektes Weihnachtsfest zu inszenieren, werfen Schatten auf die besinnliche Jahreszeit.
Besonders beunruhigend ist der Anstieg psychischer Erkrankungen bei jungen Menschen. Studien belegen, dass Depressionen und Angststörungen in der Altersgruppe der 15- bis 25-Jährigen zunehmen. Gerade an Weihnachten, das eigentlich Freude und Entspannung bringen soll, verstärkt sich der innere Druck. Vergleiche mit dem scheinbar perfekten Leben anderer und das Gefühl, nicht gut genug zu sein, tragen zur Belastung bei. Auch ältere Menschen kennen die Einsamkeit in unserer Stadt, in der viele Menschen nebeneinanderher leben, ohne einander wirklich zu begegnen.
Zürich, bekannt für seine lebendige Kultur und Vielfalt, ist zugleich ein Ort, an dem sich Einsamkeit oft unsichtbar macht. Für Ältere oder Neuzugezogene kann die Weihnachtszeit die schmerzliche Erkenntnis bringen, dass niemand da ist, mit dem sie feiern können. Die vermeintliche Harmonie, die in Werbung und sozialen Medien verbreitet wird, verstärkt dieses Gefühl der Isolation nur noch mehr. Zwar gibt es in Zürich zahlreiche Unterstützungsangebote, von Beratungsstellen bis zu sozialen Projekten, doch bleibt die Schwelle, Hilfe in Anspruch zu nehmen, oft hoch. Scham und die Angst, als schwach zu gelten, hindern viele daran, den ersten Schritt zu wagen. Dabei ist die Sehnsucht nach Nähe und Verständnis etwas zutiefst Menschliches – eine Sehnsucht, die in der Adventszeit besonders spürbar wird.
Die Magie von Weihnachten lässt sich nicht in den elegantesten Boutiquen der Bahnhofstrasse kaufen. Gross der Frust, wenn sich trotz der Einkäufe nichts an wirklicher, echter Freude einstellt. Diese Sehnsucht verbindet uns alle, besonders in einer schnelllebigen und oft anonymen Stadt wie Zürich.
Doch Weihnachten birgt auch Chancen: Es ist eine Gelegenheit, innezuhalten und aufeinander zuzugehen. In unserer Stadt gibt es viele Veranstaltungen, die genau dies fördern – von offenen Weihnachtsessen für Alleinstehende über freiwillige Projekte bis hin zu stimmungsvollen Gottesdiensten in Kirchen. Eventuell können Sie persönlich jemanden einladen, von dem Sie wissen, dass er / sie allein ist. Vielleicht liegt die wahre Magie von Weihnachten gerade in der Einfachheit: ein Gespräch, eine herzliche Umarmung oder ein gemeinsamer Spaziergang. Solche kleinen Gesten können den Geist von Weihnachten wieder lebendig werden lassen. Denn letztlich geht es nicht um Geschenke oder glitzernde Fassaden, sondern um Momente echter Menschlichkeit.
Perfekt wird Weihnachten wohl auch dieses Jahr nicht sein – das war es übrigens noch nie, ausser in der Werbung. Aber es kann zu einem Fest der Menschlichkeit werden, wenn wir aufeinander zugehen. Hier in Zürich und überall sonst.
Franco Luzzatto (62) ist Pfarrer in der Pfarrei St. Felix und Regula (Zürich-Hard) und Dekan der Stadt Zürich. Zu seinen Weihnachtsritualen gehören am 24. Dezember frühmorgens ein Spaziergang mit seinen beiden Hündinnen und ein Fondue-Essen und Bescherung mit seinem Gottenkind und dessen Familie. www.katholisch-zuerich.ch
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