Jüdische Studierende in Sorge
Salome Kornfeld, Präsidentin des Vereins jüdischer Studierender Zürich (VJSZ), zeigt sich besorgt über die Zunahme antisemitischer Vorfälle an Hochschulen seit dem Gaza-Krieg. - Von Isabella Seemann
Salome Kornfeld vom Verein jüdischer Studierender Zürich. Bild: PD
Salome Kornfeld, Präsidentin des Vereins jüdischer Studierender Zürich (VJSZ), zeigt sich besorgt über die Zunahme antisemitischer Vorfälle an Hochschulen seit dem Gaza-Krieg. - Von Isabella Seemann
Nach dem Hamas-Angriff auf Israel am 7. Oktober 2023, bei dem 1200 Zivilisten ermordet, Frauen vergewaltigt und Geiseln verschleppt wurden, twitterte ein Dozent am Institut für Nahoststudien der Universität Bern, dies sei das «beste Geschenk zu seinem Geburtstag». Hat Sie der unverhohlene Ausbruch von Antisemitismus an Schweizer Universitäten überrascht?
Salome Kornfeld: Es hat mich nicht überrascht, aber das Ausmass war dennoch schockierend. Die schleichende Politisierung akademischer Institutionen ist schon seit Längerem erkennbar, doch mit der Verherrlichung von Terrorismus hat sie meines Erachtens ihren traurigen Höhepunkt erreicht.
Wie haben Sie die Entwicklung an der Universität Zürich erlebt?
Bereits am 12. Oktober – noch bevor Israel Soldaten in den Gazastreifen entsandte – riefen marxistische Organisationen zu einer Demonstration an der UZH unter dem Motto «Intifada bis zum Sieg» auf. Wir nahmen sofort Kontakt mit der Universitätsleitung auf, die sich umgehend von der Veranstaltung distanzierte und deren Durchführung auf dem Universitätsgelände untersagte. Seitdem sind wir immer wieder mit neuen Herausforderungen konfrontiert – zuletzt etwa der Antrag des Verbands der Studierenden der Universität Zürich VSUZH israelische Universitäten zu boykottieren.
Welche Sorgen begleiten jüdische Studenten heute?
Nicht alle jüdischen Studierenden fühlen sich gleichermassen betroffen, doch immer wieder erfahren wir, dass Studierende sich nicht mehr trauen, sich öffentlich als jüdisch zu erkennen zu geben. Leider mussten wir auch offene Sympathiebekundungen für die Hamas beobachten – eine Organisation, die inzwischen auch in der Schweiz offiziell als Terrororganisation eingestuft wird. In ihren Statuten hält die Hamas unmissverständlich fest, dass eines ihrer Ziele die Ermordung aller Juden ist. Angesichts solcher Vorfälle fragen sich viele jüdische Studierende: «Ist das noch unsere Uni?»
Lässt sich der Antisemitismus an Schweizer Universitäten bestimmten ideologischen Strömungen oder Gruppen zuordnen?
Wir sind sehr zurückhaltend, gesamte Gruppierungen pauschal zu verurteilen. Dennoch nehmen wir an den Universitäten derzeit vermehrt antisemitische Tendenzen aus bestimmten linksextremen Kreisen wahr. Besonders frustrierend für viele jüdische Studierende ist, dass gerade jene, die sich als Verfechter von Minderheitenrechten sehen, eine der ältesten Minderheiten der Schweiz – die jüdische Gemeinschaft – oft ausgrenzen. Dies trifft besonders jüdische Studierende mit linker Haltung.
Warum ist gerade der Hochschulsektor so stark von diesen radikalen Tendenzen betroffen?
Hochschulen verfolgen heute mehr denn je das Ziel, inklusiv zu sein und alle einzubeziehen. Grundsätzlich unterstützen wir das – auch in unseren Kreisen sind wir offen für Menschen mit unterschiedlichsten Hintergründen. Das Problem entsteht jedoch, wenn dieser Inklusionsgedanke so weit getrieben wird, dass selbst extremistische Ansichten unwidersprochen Raum erhalten – auch von Personen, die Terror glorifizieren oder unterstützen. Für uns ist wichtig, dass jeglicher Extremismus konsequent abgelehnt wird. Meinungsfreiheit bedeutet nicht, dass Universitäten verpflichtet sind, Neo-Nazis oder Terrorsympathisanten eine Plattform zu bieten.
Vertreter dieser Bewegungen betonen stets, dass sie «nur» Israel kritisieren und keinerlei antisemitische Motive hätten. Wo wird aus Ihrer Sicht die Grenze überschritten?
Für einen Grossteil der Demonstrierenden trifft diese Behauptung nicht zu. Die Grenze zwischen legitimer Kritik und Antisemitismus wird regelmässig überschritten – sei es aus bewusster Feindseligkeit oder aus Ignoranz. Begriffe wie «Genozid» und «Kolonialisierung» werden falsch verwendet. Ein besonders absurder und geschichtsverfälschender Fall ist die Behauptung, Jesus sei ein Palästinenser gewesen, der heute unter israelischer «Besatzung» leben würde. Jesus war Jude. Diese Art von absichtlicher Verdrehung historischer Fakten zeigt die zynische und skrupellose Vorgehensweise dieser teils antisemitisch motivierten Protestbewegung. Renommierte Wissenschaftler haben solche Narrative als eindeutig antisemitisch eingeordnet. Dasselbe gilt für Parolen wie «From the River to the Sea», die in der Praxis nichts anderes als die Auslöschung des jüdischen Staates fordern.
Halten Sie die Reaktionen der Universitätsleitung auf antisemitische Vorfälle für angemessen?
Grundsätzlich schätzen wir den konstruktiven Austausch mit der UZH und der ETH. Dennoch wäre es essenziell, ein noch deutlicheres Signal zu setzen: «An unserer Universität gibt es keine Toleranz für die Verherrlichung von Terrorismus.» Aktuell fühlen sich pro-palästinensische Aktivisten weiterhin ermutigt, Hamas-Aufkleber zu verteilen. Für viele jüdische Studierende ist das nicht nur eine politische Provokation, sondern eine direkte Bedrohung.
Was müsste auf politischer und gesellschaftlicher Ebene geschehen, um jüdischen Studierenden in Zürich, in der Schweiz wieder ein sicheres Studium zu ermöglichen?
Die Schweiz ist ein Mitgliedstaat der International Holocaust Remembrance Alliance IHRA – nun muss diese Definition von Antisemitismus und die darauffolgenden Massnahmen auch an den Universitäten durchgesetzt werden.
Info-Veranstaltung:
«Im Fokus: Die Universitäten» – Gespräch mit Salome Kornfeld und Hanna Esther Veiler über die Situation jüdischer Studierender in der Schweiz und Deutschland seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel. Moderation: Ronny Siev, 10. Feb.; 19.15 Uhr, Photobastei, 3. OG, Sihlquai 125. Platzreservation obligatorisch: info@babelkultur.ch
Was ist Ihre Meinung zum Thema? echo@tagblattzuerich.ch
Ein gleich grosses Interview im Tagblatt mit den im Artikel Beschuldigten wäre neutraler und ausgewogener Journalismus. Alles hat immer Seiten!
Selma antwortenLade Fotos..