Missmut und Unklarheiten
Der öffentliche Raum ist für alle da. Doch dessen Nutzung birgt hohes Konfliktpotenzial. Der Stadtzürcher Ombudsmann Pierre Heusser behandelt derzeit zahlreiche Beschwerden. - Von Ginger Hebel
Der Zürcher Ombudsmann Pierre Heusser vor einem typischen Boulevardcafé am Stadelhoferplatz. Bild: GH
Der öffentliche Raum ist für alle da. Doch dessen Nutzung birgt hohes Konfliktpotenzial. Der Stadtzürcher Ombudsmann Pierre Heusser behandelt derzeit zahlreiche Beschwerden. - Von Ginger Hebel
Wer in der Stadt lebt und sich beschweren will, landet irgendwann bei der Stadtzürcher Ombudsstelle, geleitet von Ombudsmann und Jurist Pierre Heusser. So auch Restaurantbesitzer Roberto Ancelotti, der sich über die Willkür bei der Erteilung von Baubewilligungen aufregt. Der öffentliche Platz vor seinem Lokal im Stadtzentrum wird neugestaltet und die Strasse verkehrsberuhigt. Für die Zeit danach plant er schon seit langem Aussensitzplätze. Bereits im April des Vorjahres hatte er mit den zuständigen Personen der Stadt eine Begehung auf dem Platz unternommen, an der sich alle Beteiligten auf eine akzeptable Lösung einigten. Gartentische und Stühle hatte er bereits gekauft. Dann der Schock: das Amt für Baubewilligungen (AfB) wies sein Baugesuch ab. Für Ancelotti ist dieser Entscheid unbegreiflich. Er schaltete die Ombudsstelle ein, die den Fall prüfte.
«Der öffentliche Raum ist für alle da. Doch dessen Nutzung birgt hohes Konfliktpotenzial», sagt Pierre Heusser. Zahlreiche Beschwerden, die er derzeit behandelt, betreffen Konflikte im öffentlichen Raum in der Stadt Zürich. Häufig beschweren sich Baufirmen und Architekturbüros bei der Ombudsstelle darüber, dass die Baubewilligungsverfahren zu lange dauern, und dass die Behörden Mikromanagement betreiben und zu viele Auflagen machen.
Falsche Signale verhindern
Seit der Pandemie hat sich das Leben gerade im Sommer mehrheitlich nach draussen verlagert. «Die Boulevardgastronomie hat zugenommen und nimmt mehr Platz in Beschlag. Dies führt zu einer Kommerzialisierung des öffentlichen Raums, die bewilligungspflichtig ist. Oft reden viele verschiedene Stellen mit, was zu Missmut und Unklarheiten führen kann», beobachtet Pierre Heusser. Der 56-Jährige leitet die älteste Ombudsstelle der Schweiz und vermittelt zwischen Bürgerinnen und Bürgern und der Stadtverwaltung.
Wer ein Boulevardcafé in der Stadt Zürich führen will, beanspruche eine Sondernutzung und müsse akzeptieren, dass die Stadt auch andere öffentliche Interessen berücksichtigen muss. Pierre Heusser kommt zum Schluss, dass die zuständigen Stellen zu einer gemeinsamen Haltung hätten finden sollen, bevor sie Herrn Ancelotti an die Begehung einluden. «So hätte die Stadt falsche Signale verhindern und mitteilen können, was auf dem Platz baurechtlich erlaubt ist und was auf dem Platz polizeirechtlich möglich sprich erwünscht ist.»
1436 Fälle landeten letztes Jahr bei der Ombudsstelle der Stadt Zürich. Auch wenn die Stadtpolizei auf öffentlichen Plätzen Personen wegweist und fernhält, ohne dass ihnen Straftaten nachgewiesen werden, führt das immer wieder zu Beschwerden. «Wegweisungen haben durchaus einen präventiven Charakter, allerdings muss die drohende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit konkret und unmittelbar sein, wie das Bundesgericht festhält. Nicht immer sind diese Voraussetzungen bei einer Wegweisung erfüllt», sagt Heusser. Als Ombudsmann ist er überzeugt: «Ein friedliches Zusammenleben bedingt, dass allen bekannt ist, was erlaubt ist und was nicht. Nicht alles, was jemanden stört, ist auch verboten.»
Auch auf öffentlichem Grund falsch abgestellte Motorräder seien immer wieder ein Ärgernis. Heusser: «Falsch parkierte Autos und falsch abgestellte Velos werden engmaschig kontrolliert, gebüsst oder abgeschleppt. Bei falsch parkierten Motorrädern ist das nicht der Fall. Diese werden nur auf Anzeige gebüsst oder wenn sie andere Verkehrsteilnehmende behindern.» Die Ombudsstelle sieht hier eine Vollzugslücke. «Eine Sonderbehandlung der Motorräder ist sachlich nicht nachvollziehbar.» Pierre Heusser findet es unerlässlich, dass die Stadtverwaltung ihre Interventionen im öffentlichen Raum auf die geltenden Gesetze abstützen und nachvollziehbar begründen kann. «Bürgerinnen und Bürger müssen sich darauf verlassen können, dass die Regeln wirklich durchgesetzt werden.»
Auch stellt er fest, dass die Beratung der Stadtzürcher Bevölkerung zunehmend komplexer wird. «Viele Menschen informieren sich vorgängig bei Google oder ChatGPT. Ihr Halbwissen führt oft zu falschen Annahmen, was unsere Arbeit und die Aufklärung aufwendiger macht.»
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