Der Hüter der Werbeflächen
Bernard Liechti prägte als Leiter der Reklamebewilligungen 25 Jahre lang das Zürcher Stadtbild. Nun wird er pensioniert – in einer Zeit, in der seine Stelle politisch umstritten ist. Von Sandra Porchet*
Bernard Liechti prägte als Leiter der Reklamebewilligungen 25 Jahre lang das Zürcher Stadtbild. Nun wird er pensioniert – in einer Zeit, in der seine Stelle politisch umstritten ist. Von Sandra Porchet*
Beinahe wäre dieser Artikel nicht entstanden. Die erste Anfrage für ein Interview mit Bernard Liechti hat die Medienstelle abgelehnt. Anlass für unser Interesse: Der Leiter Fachbereich Reklamebewilligung feiert seine 25 Jahre im Amt und wird diesen Frühling pensioniert. Als «persoenlich.com»* darauf bestand, über das Jubiläum und den Abschied des Reklamebewilligers zu berichten, einigte man sich schliesslich auf schriftliche Fragen für ein Porträt.
Dass das Amt für Städtebau zurückhaltend ist, erstaunt nicht. Aktuell ist das Thema Aussenwerbung in Zürich heikel. Der Gemeinderat hat vergangenen März eine Motion überwiesen, die darauf abzielt, die Werbeflächen zu reduzieren und die digitale Werbung zu verbieten. Die Nervosität in der Stadtverwaltung ist spürbar. Und die Arbeit von Bernard Liechti in den letzten 25 Jahren steht da im Zentrum. Wenn man bedenkt, dass der Fachbereich 1928 gegründet wurde, ist das eine besonders lange Zeit. Der Leiter der Reklamebewilligung hat durch die Entwicklung der Werbeflächen das heutige Stadtbild massgeblich geprägt. Denn eine der Hauptaufgaben des Reklamebewilligers ist es, die Konzepte für die Platzierung von Aussenwerbung in der Stadt zu erarbeiten.
Vor seinem Amtsantritt gab es zum Beispiel noch keine Megaposter in der Stadt. Die Idee war zwar schon vor der Zeit von Bernard Liechti vorhanden. Dieser hat das Konzept aber fertiggestellt und eingeführt. Seine vielleicht grösste Baustelle war die digitale Transformation der Plakatflächen. Eine «Pionierleistung» sei die Arbeit von Herrn Liechti in diesem Bereich, schreibt auf Anfrage Diego Quintarelli, Verkaufs- und Marketingleiter bei Goldbach Neo, einer der wichtigsten Vermarkter von digitaler Aussenwerbung der Schweiz. Unter seiner Aufsicht wurde auch die Ausschreibung der Plakatwerbestellen auf öffentlichem Grund eingeführt. Die Pachtdauer ist jeweils auf fünf Jahre beschränkt. Da das Angebot mit den höchsten Abgaben berücksichtigt wird, erlaubt es dieses System, mehr Einnahmen zu erzielen. Ausserdem hat Liechti das Bewilligungsverfahren als Erstes im Schweizer Bauwesen komplett digitalisiert.
Es ist aber nicht so, dass Liechti Zürich zu einem Times Square umgestalten wollte. Im Gegenteil. Der gelernte Hochbauzeichner und Designer ist sich seiner Verantwortung für das Erscheinungsbild der Stadt bewusst. Seine Vision, schreibt er, sei es gewesen «gestalterische Vorgaben weiterzuentwickeln und neue Gestaltungsstandards zu etablieren». Dadurch sei die Bewilligungspraxis «erstmals transparent» gemacht worden. Und die Mission seines Fachbereichs ist es, diese umzusetzen. «Der Erhalt der Aufenthaltsqualität im öffentlichen Raum war stets Leitmotiv», so Liechti. «Dies mit dem Wissen, dass gut gestaltete und verträglich betriebene Anlagen nicht nur dem Erscheinungsbild der Stadt, sondern auch dem Image der Aussenwerbung dienen.»
Einer, der über Liechtis Pflichtbewusstsein gegenüber dem Stadtbild berichten kann, ist Patrik Denzler. Er ist Regionenleiter Partnermanagment beim Aussenwerber APG|SGA und hat beruflich einen engen Kontakt zum Reklamebewilliger. Zusammen sind sie öfters durch die Stadt gefahren, um neue Werbestandorte zu besichtigen. Bernard Liechti vertrete eine klare, harte, aber auch faire Linie, beschreibt Denzler . «Er setzt das Reklamereglement strikt um.» Das könne manchmal enttäuschend sein, findet Denzler, der sich zum Teil etwas mehr Flexibilität gewünscht hätte.
Bevor er eine Bewilligung erteilt, besichtigt Liechti fast jeden Standort persönlich. Immer dabei hat er einen Doppelmeter und das Smartphone, um Fotos von der Situation zu machen. Vor Ort treffe er nie eine Entscheidung, betont Denzler. Zuerst sammele er Elemente und prüfe sie. Dabei wisse Liechti auch einen besonders guten Platz zu schätzen und sage auch mal «schöner Standort».
Liechtis Verpflichtung, das Reglement streng umzusetzen, zeigen auch verschiedene Zeitungsartikel. Wie 2006 als der Fachbereich Reklamebewilligungen dem Telekomanbieter Sunrise untersagte, seinen Schriftzug auf dem Dach des neuen Hochhauses in Oerlikon anzubringen. Grund: Es würde die «Kraft der Silhouette» des Gebäudes stören. Oder 2020, als Liechtis Dienste die neue unbewilligte digitale Menükarte vor dem Rheinfelder Bierhaus in der Zürcher Altstadt verbieten liess.
Trotz der strikten Umsetzung des Reglements steigt seit einigen Jahren der Druck auf die Aussenwerbung. Viele kritisieren, dass es heute zu viele Werbeflächen in der Stadt gibt. Dass die vielen Werbebildschirme nicht nachhaltig seien. Da kontert Bernard Liechti. Am Anfang der digitalen Transformation hatte die Stadt eine vergleichende Ökobilanz von digitalen und analogen Werbeanlagen erstellt. Berücksichtigt waren darin Herstellung, Bau und Betrieb der Anlagen. Zugunsten der Nachhaltigkeit wurden beim Bau von jeder digitalen Werbeanlage drei Plakatanlagen zurückgebaut, betont Liechti.
«Insgesamt gibt es heute weniger Plakatstellen auf dem Stadtgebiet als 2006. Insbesondere auf Privatgrund. Schätzungen gehen von einer zahlenmässigen Reduktion von 1 Prozent pro Jahr aus», betont Liechti. «Da die digitalen Werbeanlagen auffälliger sind, einen höheren Werbeimpact haben und prominenter stehen, entsteht diesbezüglich ein anderes Bild.»
Sind die politischen Bestrebungen gegen Aussenwerbung dennoch eine Art Referendum gegen Liechtis 25-jährige Arbeit? Er selber sehe das nicht so, schreibt er. Im Gegenteil bestehe für ihn darin ein Argument für die Befürworter der Werbeanlagen. «Dass das Bewilligungswesen seit Jahrzehnten eine eher strenge und konsequente Praxis verfolgt, könnte bei der weiteren Diskussion eine Rolle spielen», so der Reklamebewilliger.
Fragt man ihn nach seiner Bilanz, zeigt sich Liechti, der zuletzt ein Team von sechs Mitarbeitenden leitete, «recht zufrieden über das Erreichte». Etwas würde er anders machen: «Nachträglich würde ich bei den Verantwortlichen jedoch noch nachdrücklicher und lauter für mehr Ressourcen kämpfen, damit die Bewilligungspflicht in gewissen Bereichen noch konsequenter umgesetzt werden könnte.»
Wegen mangelnder Ressourcen kann die Stadt keine systematischen Kontrollen durchführen, wie «persoenlich.com» berichtete. Die Gemeinderäte Michael Schmid (AL) und Anna Graff (SP) vermuten deshalb, dass einige der neuen Reklamebildschirme, insbesondere jene in Schaufenstern, ohne Bewilligungen installiert wurden. Sie wollen mit einer Interpellation Klarheit schaffen.
Die Interpellation wird nicht mehr Bernard Liechti bearbeiten. Er hatte Anfang Mai seinen letzten Arbeitstag bei der Stadt. Sein Nachfolger, dessen Name demnächst kommuniziert wird, wird sich darum kümmern. Ratschläge möchte ihm Liechti nicht geben, dafür aber einen Hinweis: «Er kann sich auf ein spannendes vielfältiges Thema mit vielen interessanten Begegnungen und Fragestellungen freuen.»
*Sandra Porchet schreibt für «persoenlich.com», wo der Artikel zuerst erschien
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