10.06.2025 17:08
«Gorillas sollen im Grünenleben und nicht nur davor»
Im Zoo Zürich wird fleissig weiter am Entwicklungsplan 2050 gearbeitet. Neben der «Pantanal Voliere» rückt dabei der Lebensraum «Ndoki Wald» in den Fokus. Zoodirektor Severin Dressen erklärt im Quartalsinterview, was das Projekt so besonders macht und wo die Herausforderungen liegen. - Von Sacha Beuth
Wieso ist nach «Panthera», Forschungsstation und «Pantanal Voliere» das nächste Zoo-Bauprojekt, «Ndoki Wald», einem Gebiet in der Republik Kongo gewidmet?
Severin Dressen: Wie die anderen genannten Projekte gehört auch der Lebensraum «Ndoki Wald» zum Entwicklungsplan 2050. Die Idee dahinter ist, den Zoogästen das Eintauchen in Lebensräume zu ermöglichen. Bei jedem neuen Bauprojekt geht es also nicht in erster Linie um einzelne Tierarten, sondern um ganze Ökosysteme, die wir abbilden möchten. Zugleich wollen wir die Haltung der Tiere, aber auch das Besuchererlebnis weiter optimieren. Ersteres hat gerade bei den Gorillas hohe Priorität. Und es gehört zu unserer Philosophie, einen neuen Lebensraum im Zoo mit einem Naturschutzprojekt vor Ort zu verbinden.
Wie kam diese Verbindung zu Stande?
Wir wurden über die Wildlife Conservation Society WCS der New Yorker Zoos auf den Nouabalé-Ndoki-Nationalpark aufmerksam, mit der wir schon in anderen Projekten zusammenarbeiten. Uns war wichtig, dass wir vor Ort einen verlässlichen Partner mit einer langfristigen Ausrichtung haben. Das ist im Nouabalé-Ndoki-Nationalpark sichergestellt.
In welcher Phase befindet sich das Projekt und was steht dabei als Nächstes an?
Vor Kurzem wurde das rund zweijährige Verfahren des Ideenwettbewerbs beendet und der Vorschlag des Architekturbüros Zooplanung Schneider Klein zum Sieger erkoren. Nun sind wir an der konkreten Ausführungsplanung, damit wir mit Fertigstellung der «Pantanal Voliere» direkt anfangen können, den «Ndoki Wald» zu bauen. Bedeutet nach jetzigem Wissensstand: Baueingabe bis 2027, Baustart 2028 und Eröffnung 2031. Bei Baubeginn werden dann auch das Zoolino mit Ziegen, Schafen, Schweinen und Kaninchen sowie der Spielplatz, die sich beide auf dem vorgesehenen Gelände für den «Ndoki Wald» befinden, aufgelöst.
2,9 Hektar, teils in Hanglage, sind für den «Ndoki Wald» im Zoo Zürich vorgesehen. Welche besonderen Herausforderungen bringt die Umsetzung mit sich?
2,9 Hektar klingt erst mal nach viel, bei unseren Ansprüchen für das Wohl der Tiere und Gäste muss man aber trotzdem genau schauen, wie man den Platz nutzt. Einerseits schränkt die Hanglage ein, andererseits bietet sie aber auch Vorteile, etwa für visuelle Effekte wie einen Wasserfall. Die grösste Herausforderung wird sein, den Lebensraum «Wald» kontinuierlich umzusetzen und zu erhalten.
Warum?
Die Gorillas – und auch die anderen Ndoki-Bewohner – sollen im Grünen leben und nicht nur davor. Das heisst, sie werden sich nicht nur in den Aussen-, sondern auch in den Innenbereichen zwischen und auf lebenden Bäumen, Sträuchern und anderen Pflanzen bewegen. Gerade die Bäume müssen aber erst eine gewisse Grösse und Robustheit erreichen, um dem «Druck», sprich Frass und sonstige Beeinträchtigungen, der künftigen tierischen Bewohner standzuhalten. Darum haben wir schon jetzt von Baumschulen in Belgien und Frankreich bis zu 20 Meter hohe und 70 Zentimeter dicke Bäume gekauft, die per Schiff und Lkw zu uns transportiert und hier bis zur definitiven Einpflanzung eingetopft werden. Einen Teil davon stellen wir im Freien auf, derweil die wärmebedürftigen Arten ein geschütztes Provisorium erhalten.
Womit wir zu den Tierarten kommen, die im «Ndoki Wald» leben sollen. Nach welchen Kriterien wurden diese ausgewählt?
Es werden Arten sein, die einerseits im zentralafrikanischen Regenwald vorkommen und bedroht sind. Die andererseits aber auch – zumindest zeitweise – miteinander vergesellschaftet werden können. Vorgesehen ist, dass unsere Flaggschiffarten Gorilla, Okapi und Drill im «Ndoki Wald» die jeweils drei Aussen- und Innenbereiche wie im bereits beim Lebensraum «Panthera» angewandten Rotationsprinzip nutzen können. Gleiches gilt für die Zwergflusspferde. Sie alle werden im Wechsel mit kleineren Primaten wie Bärenstummelaffen, Roloway-Meerkatzen und Nördlichen Talapoins sowie einer Paarhufer-Art, dem Gelbrückenducker, vergesellschaftet. Hinzu kommen ein paar Amphibien-, Reptilien- und Kleinvogelarten, die sich im ganzen Innenbereich frei bewegen können.
Die Tierarten-Auswahl hinterlässt dennoch bei Zookennern ein paar Fragezeichen. Okapis, Drills oder Zwergflusspferde kommen im Nouabalé-Ndoki-Nationalpark der Republik Kongo gar nicht vor, sondern leben in Gebieten, die 1000 und mehr Kilometern davon entfernt sind. Auch zeigen mit Basel, Stuttgart und Mulhouse bereits drei Grosszoos in der näheren Umgebung Okapis, was denen Vorschub leistet die behaupten, man sehe in Zoos immer die gleichen Tiere.
Zum ersten Teil der Bemerkung weise ich darauf hin, dass der Name für einen Lebensraum im Zoo Zürich schon immer symbolisch und nie tiergeografisch korrekt war. Sowohl im Lebensraum «Masoala Regenwald» wie in der «Lewa Savanne» gibt es Tiere, die im patenstehenden Schutzgebiet nicht vorkommen. Eine möglichst optimale Haltung ist hier wichtiger als tiergeografische Genauigkeit. Zum zweiten Teil lässt sich sagen, dass die meisten Gäste nicht zu uns kommen, um Tierarten zu sehen, die sie woanders noch nicht gesehen haben, sondern wegen des Gesamterlebnisses. Und uns ist es wichtiger, die Philosophie eines modernen Zoos mit den Grundpfeilern Naturschutz, Artenschutz, Forschung und Bildung auszuführen und zu vermitteln, als unterschiedliche Arten zu sammeln. So besteht beispielsweise ein Bedarf nach mehr Okapi-Haltern in europäischen Zoos. Hier aufzustocken ist also in Sachen Artenschutz sinnvoller als neue Arten zu etablieren, die dafür dann aber tatsächlich im Nouabalé-Ndoki-Nationalpark vorkommen. Das erklärt auch, warum es aus unserer Sicht keinen Sinn macht, bislang nicht in Zoos gehaltene Arten aus der Republik Kongo zu importieren, nur damit sie zum Namen unseres Lebensraumes passen – selbst wenn sie gefährdet sind.