Album
Das neue Poesiealbum
31. Mai 2016Unser Grosser hat bereits einige Freundschaftsbücher ausgefüllt. Dabei habe ich jedes Mal an meine eigene Primarschulzeit denken müssen. Wie alle Mädchen damals hatte auch ich eins, aber wir nannten es etwas hochfliegender ein Poesiealbum! Alle verfügten sie über besondere Einbände, häufig aus Stoff und vielfach wattiert. Auf die weissen Seiten, die durch knisternde Seidenpapierblätter getrennt wurden, zeichneten wir uns gegenseitig die schönsten Sachen und schrieben uns Versli und Gedichte, deren tiefgründiger Sinn wir nicht immer verstanden. Hauptsache aber: Das Erinnerungsstück kam möglichst sorgfältig gestaltet und bedeutungsvoll daher! Schliesslich sollte das Werk für immer und ewig an die gemeinsame Zeit erinnern. Damals waren Poesiealben Mädchensache. Wurde hin und wieder dennoch ein (Herz-)Bub um einen Eintrag gebeten, so brachte ihn die Anfrage in zweifacher Hinsicht in Verlegenheit: Überforderung mit der Aufgabe und Scham, dass sich daraus eine zum Gespött werdende „Liebesgeschichte“ ableiten liesse. Bezeichnenderweise hat mir ausgerechnet der Bub, in den ich verliebt war, die unglücklichste Zeichnung und die bedeutungsloseste Widmung in meinem ganzen Album gemacht. Was mich nicht nur sehr kränkte, sondern mir die ganze Freude an meinem Album nahm. Auch wenn ich es bedaure, dass Freundebücher heute vielfach als Merchandising-Produkte aus der Film- und Musikwelt daher kommen und man darin nicht mehr wirklich zeichnen oder viel schreiben muss, so freue ich mich doch sehr darüber, dass sie eine zwanglosere Bedeutung haben und unterdessen auch zu einer Bubensache geworden sind!
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