mobile Navigation

Album

Denkverbote

Von: Jan Strobel, Redaktor

11. Oktober 2016

Wir sassen in einer schicken Altbauwohnung im Kreis 4, um uns herum Akademiker, Künstler, Pädagogen. Zum Dessert hatten unsere Gastgeber gerade den Biokäse serviert, die Gespräche plätscherten dahin, als plötzlich die Stimmung kippte. Ich sah meinen Freund reden, engagiert, während die Gäste immer gehässiger den Käse vernichteten. Es war klar: Mein Freund redete sich gerade um Kopf und Kragen. Die Ouvertüre bildete seine Hommage an die britische Premierministerin Theresa May, dieses «tough cookie» mit Stil, die der morschen EU endlich mal die Stirn biete. Beim Stichwort Brexit, ich sah es, bekamen schon die ersten Gäste Schnappatmung vor Empörung. Noch heftiger fiel die Reaktion beim Thema Islam aus. Als mein Freund rundheraus behauptete, der buchstabengetreue Islam habe ein Gewalt- und Antisemitismus-Problem, betrachteten ihn die Gäste wie ein exotisches Tier. Einer machte seinem Ärger offen Luft: «Da haben wir einen SVPler am Tisch.» Die Beteuerung meines Freundes, er sei liberal, nützte nicht viel. Mit Toleranz hatte die Reaktion der Runde nichts zu tun. Im Gegenteil: Es offenbarte sich hier eine elitäre Kultur der Denkverbote. Der Freund wird seither jedenfalls nicht mehr eingeladen.

Sind Sie bei Facebook? Werden Sie Fan vom Tagblatt der Stadt Zürich

zurück zu Album

Artikel bewerten

Gefällt mir 5 ·  
5.0 von 5

Leserkommentare

Reinhold Neuhaus - Das kredo von Voltaire soll im etwa gewesen sein, »es ist mir zuwider, was du sagst, aber ich werde mein leben dafür einsetzen, dass du das sagen darfst«.

Vor 7 Jahren 4 Monaten  · 
Noch nicht bewertet.