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Album

Rita Angelone (47) hat zwei Kinder (9 und 7) und schreibt jede Woche über den ganz normalen Wahnsinn ihres Familienalltags.

Von undenkbar zu selbstverständlich

Von: Rita Angelone

08. September 2015

Nein, liebe Leser und Leserinnen, ich werde nicht auch noch über Aylan schreiben, sondern von drei Bauarbeitern berichten: ein Italiener, ein Portugiese und ein – ich nenne ihn genau so wie er sich selbst – ein Muselmann! Diese drei Bauarbeiter werken an einem Haus vis-à-vis von unserem und üben nicht nur auf unsere Buben eine starke Faszination aus, sondern ganz speziell auf mich. Nicht, weil sie über tolle, braun gebrannte Oberkörper verfügten, sondern weil diese drei Männer für mich Symbol für ein erfolgreiches Miteinander verschiedener Kulturen sind. Frühmorgens betreten sie pfeifend die Baustelle und starten laut palavernd in den Tag. Sie reden über ihren Sonntag im Schrebergarten, über ihre Kinder und ihre Frauen. Sie diskutieren, wie früh sie abends ins Bett gehen, um tags darauf fit für die Arbeit zu sein. Sie raten einander, viel Wasser zu trinken, um gesund zu bleiben, und werweissen, wie viele Male pro Tag ein richtiger Mann Sex haben sollte, um glücklich zu sein. Sie reden ohne Berührungsängste auch über die Bibel und den Koran und stimmen einander zu, dass Gott für alle derselbe sei und dass es letztlich nur darauf ankomme, niemandem etwas Böses zu tun. Sie reden Italienisch, fachsimpeln auf Züritüütsch, singen spanische Lieder und arbeiten motiviert an einem Schweizer Haus. Und alles ist einfach nur selbstverständlich. Weshalb erzähle ich Ihnen das, und was hat das Ganze eben doch auch mit Aylan zu tun? Vor 50, 60 Jahren – zur Immigrationszeit meiner Eltern – wäre diese Selbstverständlichkeit undenkbar gewesen. Persönlich hoffe ich, dass auch in der Flüchtlingsfrage vieles heute noch Undenkbares schon bald zur Selbstverständlichkeit werden wird.

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