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Gut zu wissen

Bodmers "Nibelungentreue"

Von: Isabella Seemann

15. Oktober 2014

Wie der Zürcher Literaturpapst Johann Jakob Bodmer «Das Nibel­ungenlied» zum deutschen Nationalepos machte.

In den Fluten des Rheins soll Hagen von Tronje den Hort der Nibelungen versenkt haben, der noch heute die Fantasie von Schatzsuchern beflügelt. Für Johann Jakob Bodmer war das Nibelungenepos selbst der Schatz, den es aus den Tiefen der Geschichte zu bergen galt. Der Zürcher Literaturpapst des 18. Jahrhunderts scharte Literaturfreunde um sich, die nach verschütteten Quellen des deutschen Mittelalters forschten.

Am 29. Juni 1755 entdeckte der junge Mediziner Jacob Hermann Obereit in der Hohenemser Bibliothek «zwei alte eingebundene pergamentene Codices von altschwäbischen Gedichten» und berichtete Bodmer vom sensationellen Fund. Nur zwei Wochen später hielt Bodmer das Nibelungenlied in den Händen. «Ich stund entzüket, die Freude stieg in alle meine Gliedmassen hervor», beschrieb er den Glücksmoment. Aus der Handschrift gab Bodmer 1757 den ersten Teildruck heraus: «Chriemhilden Rache und die Klage». Vorsätzlich oder nicht – Bodmer stahl dem Entdecker des Nibelungenliedes Obereit den Ruhm. Eine weitere Ausgabe folgte zehn Jahre später, wobei einzelne Szenen bereits in den «Zürcher Wöchentlichen Anzeigen» erschienen. Homer-Verehrer Bodmer übertrug die Verse in Hexameter und versuchte sie der Ilias anzugleichen.

Damit avancierte das Nibelungenlied zum gefeierten Nationalepos der Deutschen – und schliesslich zum verhängnisvollsten Werk der deutschen Literatur. Rund 150 Jahre später schlachteten es die Nationalsozia­listen zur Durchsetzung ihrer barbarischen Ideologie aus. Die «Nibelungentreue» wurde zum Kampfbegriff, eingefordert von der SS, der Wehrmacht – der deutschen Nation als Ganzer.        Bodmner

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