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Gut zu wissen

Am 17. Februar 1969 griffen palästinensische Terroristen eine Boeing der El-Al an. Das Bild zeigt eine Maschine 1965. Bild: PD

Das Attentat auf die El-Al in Kloten

Von: Daniel Rickenbacher

10. Dezember 2013

Teil 4 unserer Serie "Zürich, zwischen Krieg, Terror und Revolution"

Im Sechstagekrieg im Juni 1967 verloren die Araber den dritten Krieg gegen Israel, den sie seit der Gründung des Staates 1948 geführt hatten. Die vernichtende Niederlage führt auf arabischer Seite zu einer Radikalisierung und dem Bestreben, den Konflikt weiter zu internationalisieren. Nur zwei Jahre später, 1969, gerät auch die Schweiz in den Sog des arabisch-israelischen Konflikts.

Eine zentrale Rolle in dieser neuen Phase der Auseinandersetzung nimmt Waddie Haddad ein, der militärische Leiter der Terrororganisation Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP), die  unter der Schirmherrschaft des ägyptischen Präsidenten Gamal Nasser 1967 gegründet wird. Durch aufsehenerregende Anschläge sucht er die Aufmerksamkeit der Welt auf den arabisch-israelischen Konflikt zu lenken und sie im Sinne der arabischen Seite zu beeinflussen.

Im Juli 1968 entführt die PFLP zum ersten Mal ein Flugzeug. Die Passagiere der Maschine, die der israelischen Fluggesellschaft El-Al gehört, werden nach 39 Tagen gegen Terroristen in israelischen Gefängnissen ausgetauscht. Es ist der Beginn einer beispiellosen Welle von Anschlägen, die das Gesicht des modernen Terrorismus prägen sollte. In kurzem Abstand folgen weitere Anschläge auf El-Al-Flugzeuge, Reisebüros und Israelische Botschaften. In einem Trainingslager der PFLP üben 1969 vier Jordanier arabisch-palästinensischer Herkunft, eine Frau und drei Männer, den Umgang mit Sprengstoff und Schusswaffen. Sie gehören zur "Gruppe 3", die  sich auf eine neue Operation vorbereitet. Das Ziel des nächsten Anschlags: Zürich-Kloten.

Sprengstoff und Kalaschnikows
Am 8. und 9. Februar reisen die Mitglieder der "Gruppe Drei" über unterschiedliche Routen nach Zürich, wo sie sich im Hotel Leoneck niederlassen. Im Gepäck führen sie Sprengstoff und sowjetische Kalaschnikow-Gewehre. In den nächsten Tagen erkundigen sie das Flughafengelände. Sie kommen überein, eine El-Al-Maschine auf Piste 1 von einem Parkplatz aus anzugreifen. Doch die ersten beiden Anschlagsversuche scheitern: Einmal befinden sich in der Nähe des El-Al-Flugzeuges andere Personen, das andere Mal startet statt einer El-Al eine Chartermaschine.

Am 17. Februar 1969 unternimmt die Gruppe den dritten Versuch: Als der El-Al Kurs LY432 auf der Piste auftaucht, zielen zwei Attentäter aus 70 Metern Entfernung mit ihren Kalaschnikows auf das Cockpit und eröffnen das Feuer. Sie verletzen den Ko-Piloten tödlich. Auch fünf der 29 Besatzungsmitglieder und Passagiere sind verwundet. Ein dritter Attentäter rennt zum Flugzeug und bringt es mit Petarden und Granaten zum Stillstand. Bisher läuft der Anschlag nach Plan. Als nächsten Schritt hätten die Terroristen das Flugzeug geräumt und es anschliessend gesprengt. Doch dazu kommt es nicht. Ein israelischer Sicherheitsoffizier, Mordehai Rahamim, befindet sich an Bord der Maschine. Über die Notfallrutsche gelangt er ins Freie, rennt zum Parkplatz und erschiesst einen der Attentäter. Die anderen Attentäter werden von Männern der Flughafenfeuerwehr entwaffnet. Sie alle werden verhaftet.

Die monatelangen Ermittlungen und der anschliessende Prozess in Winterthur gegen die drei Terroristen und den israelischen Sicherheitsbeamten, der des Totschlags angeklagt wird, werden von Skandalen erschüttert. Berichterstatter aus der ganzen Welt reisen an. Der algerisch-französische Staranwalt Jacques Vergès berät die Verteidigung: Sein Ziel ist es, den ordentlichen Ablauf der Ermittlungen zu stören und den Prozess in eine Anklagebühne gegen die Schweiz und Israel zu verwandeln. Unterstützt wird er von der Arabischen Liga, die eine Solidaritätskampagne für die Angeklagten organisiert. Auch François Genoud, ein Schweizer Nationalsozialist, der während des zweiten Weltkriegs als Deutscher Agent wirkte und nun die Sache des arabischen Nationalismus fördert, steht ihnen aktiv zur Seite.

Die Verteidigung des Israelis ist ebenfalls prominent besetzt. Als Anwalt amtet Georges Brunschvig, der langjährige Präsident des Schweizerisch Israelitischen Gemeindebundes, der durch den sogenannten "Berner Prozess" weltberühmt wurde. Ihm gelang damals der Nachweis, dass es sich bei der antisemitischen Hetzschrift "Die Protokolle der Weisen von Zion" um eine Fälschung handelt. In den letzten Tagen des Prozesses reist zusätzlich Gabriel Bach, der stellvertretende Ankläger im Eichmann-Prozess, aus Israel an.

Boykott der Schweiz
Die Schweiz ist während der ganzen Dauer der Ermittlungen und des Prozesses arabischen Druckversuchen ausgeliefert. Die PFPL droht mit neuen Terroranschlägen gegen die Schweiz. Ein Tag vor der Eröffnung des Prozesses, am 27. November 1969, wird ein El-Al Büro in Athen angegriffen: Eine unmissverständliche Botschaft. Die arabischen Staaten machen sich laut Gedanken über einen Boykott der Schweiz. Doch die Schweizer Justiz bewahrt einen kühlen Kopf und verurteilt die drei Attentäter am 22. Dezember 1969 zu je 12 Jahren Haft. Der israelische Sicherheitsmann wird dagegen von der Anklage freigesprochen. Aus Furcht vor Mordplänen wird er umgehend an den Flughafen Zürich gefahren und in seine Heimat geflogen, wo er wie ein Volksheld empfangen wird.

Jetzt wird der Ton noch schärfer. In der arabischen Welt erschallt erneut der Ruf nach einem Boykott der Schweiz. Die Syrische Regierungszeitung Al Thawra druckt die Adressen von Jüdischen Organisationen in der Schweiz ab. Die offizielle Schweiz wirkt gegenüber dieser Drohkulisse zunehmend hilflos und bereitet die Freilassung der Terroristen vor.

Am 21. Februar 1970 wird der Swissair-Flug 330 durch einen Sprengsatz der PFLP zum Absturz gebracht. 47 Menschen werden ermordet. Das Paket, das den Sprengsatz enthielt, war eigentlich für die El-Al bestimmt gewesen. Im Herbst desselben Jahres werden fünf Flugzeuge durch Terroristen der PFLP nach Dawson’s Field in Jordanien entführt und 416 Passagiere als Geiseln gehalten. Sie sollen gegen die drei Attentäter von Zürich sowie Terroristen in Grossbritannien und Deutschland ausgetauscht werden. Die Briten geben zuerst nach: Leila Khaled, die zur Ikone des Arabisch-Palästinensischen Nationalismus aufsteigt, wird am 21. September ausgeflogen.

Die Schweizer folgen eineinhalb Wochen später: Am 30. September werden die drei Terroristen der PFLP in der Strafanstalt Regensdorf abgeholt und nach Zürich-Kloten gefahren. Bevor sie das Flugzeug betreten, es ist inzwischen kurz vor Mitternacht, wird ihnen ein Kuvert überreicht. Es enthält eine Spende von François Genoud im Wert von 1000 Schweizer Franken.

Die Führung «Krieg, Terror und Revolution» findet jeweils Sonntags um 14 Uhr auf Deutsch und um 17 Uhr auf Englisch statt. Der Treffpunkt befindet sich am Rennweg vor der Buchhandlung Orell Füssli. Preis: 25 Fr.

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