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Gut zu wissen

Vorbild waren die Grands Magasins in Paris: Das Warenhaus Jelmoli an der Ecke Sihlstrasse/Seidengasse sollte 1899 eine Attraktion werden. Es war eines der ersten aus Glas und Stahl erstellten Warenhäuser Europas. Bilder: Baugeschichtliches Archiv/Jelmoli

Kathedrale des Konsums

Von: Isabella Seemann

15. Januar 2019

Als vor 120 Jahren hinter der Bahnhofstrasse Zürichs erstes Warenhaus eröffnet wurde, war dies eine grosse Sensation. Aus dem ganzen Land reisten die Leute an, um es zu bestaunen. Bald nannte der Volksmund das Gebäude bewundernd «Glaspalast». Die Firmengeschichte ist allerdings viel länger.

Die Ecke Sihlstrasse/Seidengasse war vor 120 Jahren keine Top­lage: Weder kam der Neubau unmittelbar an der Bahnhofstrasse zu stehen, noch war diese bereits eine Flaniermeile. Franz Anton Jelmoli wollte deswegen mehr als nur ein Warenhaus erstellen, eine Attraktion musste es werden. 

Das renommierte Zürcher Architekturbüro Stadler & Usteri schuf sie: eines der ersten aus Stahl und Glas konstruierten Warenhäuser Europas. Vorbild waren die Grands Magasins an den Pariser Boulevards. Da das Gebäude lediglich durch eine Lücke von der Bahnhofstrasse aus zu sehen ist, kamen die Architekten auf die Idee, den Bau mit einer gläsernen Fassade zu versehen, damit die Passanten erblicken konnten, dass es hier beinahe alles zu kaufen gab. 

Die mit feinen, eisernen Stützen unterteilten Schaufenster wirkten wie riesige Doppelseiten eines Warenkatalogs. «Kleiderstoffe, Confection, Posamenten und Schneider-Artikel, Sammet- und Seidenband, Luxus-Artikel und Leder-Waren, Versandt-Abtheilung» stand auf den Ge­simsen. Selbst in den oberen ­Geschossen des vierstöckigen Glaspalasts war das Angebot wie in einer riesigen Vitrine einsehbar. Gleichzeitig strömte durch die Scheiben Licht auf sämtliche Etagen, die mit einem Lift – samt schwarzem Liftboy – verbunden waren. 

Der Gegensatz zu den umliegenden Bauten aus Stein mit kleinen, dunklen Verkaufsläden, in denen sich zwischen Kunde und Ware wie eine Barriere die Theke schob, hätte nicht wirkungsvoller ausfallen können. 

Abends gingen noch weitere verführerische Reize vom Gebäude aus. In einer Zeit, in der die Elektrifizierung noch nicht vollendet und die Stadt deutlich dunkler war, verwandelte die elektrische Innenbeleuchtung das Warenhaus in einen imponierenden Leuchtkörper, der Ziel von Spaziergängen wurde. 

Ein gewagter Schritt
«Der Schritt ins 20. Jahrhundert ist gewagt», kommentierte das «Tagblatt der Stadt Zürich» nach der Eröffnung vom 16. September 1899 euphorisch. 600 000 Franken kostete der Bau, eine damals ungeheure Summe. Kritische Stimmen sprachen dem Haus die «architektonische Schönheit» ab. Das tat der Neugier auf Zürichs neuste Sehenswürdigkeit keinen Abbruch. Denn nicht nur das Äussere war neu, auch im Innern setzte Jelmoli auf den «dernier cri» bei den Produkten und ihrer Präsentation. Ein Inserat zur Eröffnung des Jelmoli umschreibt das Angebot so: «Das Beste so billig als möglich zum Verkauf zu bringen. Die Preise sind auf jedem Artikel ersichtlich angebracht.» Dieses Prinzip machte aus der Käuferschaft Flaneure, die nun mit prüfendem Blick zwischen der offen präsentierten Ware wandeln und Kleider und Anzüge von der Stange probieren durften. 

Feilschen und Kredit waren nicht mehr möglich, womit die Grundlage für Absatzplanung und Lagerbewirtschaftung geschaffen war. Um einen hohen Umschlag zu erreichen, führte Jelmoli regelmässig Ausverkäufe durch – eine Lockmethode, die bis anhin unbekannt war. Die neue «Betriebsmanier» stiess der Konkurrenz sauer auf. Zürcher Einzelhändler bezeichneten die Warenhäuser als «Ausgeburt schmutzigster Gewinnsucht» und beschuldigten vor allem «die liebe Frauenwelt», sie liesse sich durch die glänzende Ausstattung, die Dekoration der Schaufenster und die Lockangebote täuschen und «in den Wahn setzen, dass hier alles viel billiger als anderswo zu haben sei». Ihre Forderung nach einer Sonderbesteuerung von Warenhäusern wurde vom Zürcher Regierungsrat jedoch abgelehnt. 


Wenn Jelmoli dieses Jahr feiert, dann in erster Linie das 120-Jahr-Jubiläum des «Glaspalastes». Die Firma gibt es indes schon viel länger. Am Anfang der Warenhausgeschichte stand der Italiener Giovanni Pietro Guglielmoli mit drei Marktständen am Hirschen­graben, an denen er im Sommer 1833 günstige Pariser Mode feilbot. Das Angebot schlug ein: Bereits im November konnte Johann Peter Jelmoli, wie er sich nannte, an der Schipfe ein Kleidergeschäft eröffnen. Kurz darauf begann er mit dem Versand aufs Land; geliefert wurde per Pferdekutsche. Mehrere Umzüge folgten. Den Spatenstich zu Zürichs erstem modernem Warenhaus auf dem ehemaligen Areal der Seidenhöfe erlebte der Gründer allerdings nicht mehr: Er war 1860 gestorben. Sein Sohn und sein Enkel Franz Anton traten in seine Fussstapfen und führten das Unternehmen weiter. 1896 wurde aus Jelmoli eine Aktiengesellschaft, und seit 1919, als Franz Anton Jelmoli aus der Firma ausschied, gibt es bei Jelmoli keinen Herrn Jelmoli mehr. 

Historisches an Stadtarchiv
Vergangenen September, zum 185-Jahr-Jubiläum, übergab Jelmoli das Firmenarchiv dem Stadt­archiv, dessen Historiker nun die Modemagazine, Geschäftsberichte, Plakate und Umbaupläne sichten, auswerten und öffentlich ­machen. Denn das Warenhaus ­Jelmoli ist ein prägender Teil von Zürichs Wirtschaftsgeschichte.

Gruppenbild mit Damen: Die Belegschaft des Warenhauses Jelmoli um die vorletzte Jahrhundertwende. 

Gut zu wissen

Jelmoli ist heute nicht mehr ein Warenhaus im klassischen Sinn, sondern ein «House of Brands», das sich als «eine Stadt in der Stadt» versteht. Auch das traditionelle Geschäftsfeld hat Jelmoli während der letzten Jahrzehnte erweitert. Neben dem Verkauf von internationalen Marken beschreitet das Unternehmen auch Wege in den Bereichen Unterhaltung und Gastronomie. Jelmoli steht seit 2009 an der Bahnhofstrasse in einem Mietverhältnis zur Swiss Prime Site Immobilien als Eigentümerin der exklusiven Liegenschaft. 2017 erwirtschaftete Jelmoli mit seinem Angebot im Detailhandel und den verschiedenen Dienstleistungen einen Betriebsertrag von 153 Millionen Franken. Insgesamt zählt das Unternehmen Jelmoli, welches unter anderem auch Mitglied der Vereinigung Bahnhofstrasse ist, 623 Mitarbeiter, dazu kommen rund 400 Angestellte, die für die Drittmieter tätig sind. 

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