mobile Navigation

Gut zu wissen

Das Gift des Nationalsozialismus schwappte auch aufs "Rote Zürich" über. In den 30er Jahren formierte sich die Nationale Front. Im Bild: Aufmarsch der "Deutschen Kolonie" beim Sportfest auf dem Letzigrund, 1941. Bild: PD

Nationalsozialistischer Terror im "Roten Zürich"

Von: Daniel Rickenbacher

03. Dezember 2013

Teil 3 unserer Serie "Zürich, zwischen Krieg, Terror und Revolution"

Die Zeit um 1930 war in Zürich von einer politischen Radikalisierung und Polarisierung geprägt. Es waren die Jahre des "Roten Zürichs": Seit 1928 regierten die Sozialdemokraten die Stadt. Regelmässig kam es zu gewalttätigen Aktionen kommunistischer Gruppen, die der sozialdemokratischen Regierung, die sie als „Sozialfaschisten“ verhöhnten, spinnefeind waren. Gleichzeitig vollzog sich der Aufstieg von Gruppierungen, die mit dem Faschismus in Italien und dem deutschen Nationalsozialismus sympathisierten. Die wichtigste unter ihnen war die Nationale Front, die aus Studentenkreisen hervorgegangen war und im April 1933 im Zürcher Kaufleutensaal gegründet wurde. "Heute hat eine neue Schweizergeschichte begonnen!", postulierte Frontenführer Robert Tobler unbescheiden vor der versammelten Menge.

Vordergründig forderten die Frontisten, die Anhänger der Nationalen Front, eine Überwindung des Klassenkampfs in einer "Volksgemeinschaft". Diese Volksgemeinschaft war jedoch nicht jedem zugänglich: So durften nur „Schweizerbürger (...) arischer Abstammung“ Mitglieder der Nationalen Front werden, während „Juden und Abkömmlingen anderer schwer assimilierbarer Rassen“ der Eintritt verwehrt war. Die freie Marktwirtschaft lehnten sie ebenso ab wie die direkte Demokratie, die sie durch eine dominierende Exekutive in der Form eines mächtigen Landammans zu ersetzen suchten. „Autorität statt Majorität“ war die Losung.

Offene Sympathien aus dem Freisinn
Doch die bürgerlichen Parteien, mit Ausnahme der Demokratischen Partei,  zeigten sich erstaunlich blind gegenüber den Feinden der herrschenden Ordnung oder sympathisierten offen mit ihnen. Um der Ära des "Roten Zürichs" ein Ende zu setzen, schlossen sie im Hinblick auf die Zürcher Stadt- und Gemeinderatswahlen im Herbst 1933 ein Wahlbündnis mit der Nationalen Front. 

Dies führte zum Streit innerhalb des Freisinns: Die Zürcher Sektion der Jungfreisinnigen wurde prompt aus dem nationalen Verband ausgeschlossen. Auch die liberale Presse war gespalten: Während die NZZ das Bündnis entschieden verteidigte, kritisierte die Basler "National-Zeitung" die Zürcher Kollegen scharf: „Der Liberalismus verleugnet seine Ideen und paktiert mit dem hasserfüllten Gegner.“  

Die Hoffnung der Bürgerlichen auf einen Machtwechsel erfüllte sich nicht und die Linke erlangte erneut die Mehrheit in den Räten. Doch auch die  Nationale Front zog erstmals in den Gemeinderat ein. Die Niederlage zeigte eine heilende Wirkung auf die bürgerlichen Parteien und den Zürcher Freisinn, der von solchen fragwürdigen Pakten in der Zukunft absah und sich von der frontistischen Bewegung distanzierte. 

Für die Frontisten - wie generell für alle totalitären Bewegungen - war das Parlament jedoch nur einer der Wege, um an die Macht zu gelangen. Wie die NSDAP verstanden sie sich als Bewegung und nicht nur als Partei. Ihrem deutschen Vorbild gleich suchten sie durch gezielten Terror ihre echten und vermeintlichen Gegner einzuschüchtern und ein Klima der Angst zu verbreiten. 

Zu diesem Zweck richtete die Nationale Front nach dem Vorbild der deutschen SA eigens eine paramilitärische Truppe ein, den sogenannten „Harst“.  Bald schritt dieser zur Tat: Ein kleiner Sprengsatz beschädigte bereits im August 1933 das Redaktionsgebäude der sozialdemokratischen Zeitung Volksrecht. Ein ähnlicher Anschlag wurde im Januar 1934 verübt, diesmal auf die Wohnung eines Redaktors der Zeitung. Die Ermittlungen ergaben bald, dass eine Untergruppe des „Harsts“ für die Gewalttaten verantwortlich war. Der „Harst“ wurde in der Folge verboten, doch der Terror riss nicht ab.

Als das Kabarett Pfeffermühle von Erika Mann in Zürich gastierte, das dem Nationalsozialismus kritisch gegenüberstand und jüdische Schauspieler beschäftigte, inszenierte die Nationale Front einen mehrtägigen Krawall. Im Kurhaus-Saal zündeten die Frontisten Tränen- und Stinkbomben und prügelten sich mit den Zuschauern. Der Riss ging quer durch die Familien: Während James Schwarzenbach, ein Spross der berühmten Wille-Schwarzenbach-Familie, als Aufrührer an der Seite der Frontisten stand, pflegte seine Schwester Anne-Marie Schwarzenbach eine enge Freundschaft zu Erika Mann.

Anschläge auf Synagogen
Der Antisemitismus war ein Kernelement der Ideologie der Nationalen Front. Ihr Terror richtete sich deshalb gezielt gegen die Juden der Stadt Zürich: Jüdische Gotteshäuser wurden regelmässig Opfer von Hakenkreuz-Schmierereien und Vandalismus. Am 4. Dezember 1934 wurde die Synagoge an der Freigutstrasse durch einen Sprengkörper beschädigt. Mehrere Scheiben gingen zu Bruch. Die drei Urheber, jugendliche Mitglieder der nationalen Front im Alter von 15 bis 20 Jahren, konnten rasch dingfest gemacht werden. Am 8. Dezember 1936, um 22.25,  kam es erneut zu einem Sprengstoffanschlag auf eine Synagoge, diesmal auf jene an der Löwenstrasse. Die beiden Haupttäter klemmten eine Petarde, die sie im Spielwarengeschäft Franz Carl Weber erworben hatten, zwischen Fenstergitter und Sims und brachten sie anschliessend zur Explosion. Diese brachte mehr als zwei Dutzend Fensterscheiben zu Bruch. Eine Frau erlitt einen Schock. Nach umfangreichen polizeilichen Befragungen wurden die beiden Haupttäter verhaftet und in einem Prozess zu je zwei Monaten Haft bedingt verurteilt.

Der Höhepunkt der antisemitischen Gewalt wurde jedoch erst im Sommer 1937 während des Zionistenkongresses in Zürich erreicht. Schon Wochen zuvor hetzte das Parteiblatt der Nationalen Front gegen die jüdischen Gäste. Es blieb nicht bei den Worten: Ein amerikanischer Rabbiner und ein Brite wurden angegriffen, ein Mitglied der Jewish Agency verprügelt. In ein Lokal, in dem sich Kongressteilnehmer aufhielten, wurde Tränengas geworfen. Die Medien berichteten nur zurückhaltend über die Ereignisse. Doch der Terror vermochte der Nationalen Front letztlich nicht den Weg zur Macht zur bahnen. Ein Jahr später erlitt sie eine bittere Niederlage in den Kommunalwahlen und löste sich schliesslich im März 1940 selbst auf. 

Lesen auch:
Teil 1: Die Zürcher Bombenaffäre 1889
Teil 2: Tonhallekrawall und "Deutschenhass"

Die Führung «Krieg, Terror und Revolution» findet jeweils Sonntags um 14 Uhr auf Deutsch und um 17 Uhr auf Englisch statt. Der Treffpunkt befindet sich am Rennweg vor der Buchhandlung Orell Füssli. Preis: 25 Fr.

zurück zu Gut zu wissen

Artikel bewerten

Gefällt mir ·  
4.8 von 5

Leserkommentare

Keine Kommentare