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Gut zu wissen

Ausschnitt aus einer Neujahrskarte, 1915. Bild: Keystone

Prosit Neujahr! - Prosit Neujahr?

Von: Jan Strobel

29. Dezember 2015

Geschichte: So feierten die Zürcher Silvester und Neujahr vor hundert Jahren.

Wer in Zürich in jener Silvesternacht 1915 die Champagnerkorken knallen liess, der musste die Realität zwangsläufig ausblenden. Europa ging seinem dritten Kriegsjahr entgegen, gerade waren in der vierten Isonzoschlacht insgesamt 51 000 Österreicher und Italiener gefallen, an der Westfront, in der Champagne, liessen über 200 000 Franzosen und Deutsche ihr Leben, der Gaskrieg trat 1915 als neue Methode der Kriegsführung in die Welt­geschichte ein.

Angesichts dieser apokalyptischen Ausmasse fragte die NZZ: «Prosit Neujahr? Jetzt, in dieser ernsten Zeit, da kaum jemand an Becherfreudigkeit denkt, mit einem Prosit das Jahr 1915 verabschieden, das so viel Leid über die Welt gebracht hat und mit dem gleichen Ruf das neue Jahr begrüssen, von dem noch niemand weiss, was es der Menschheit bescheren wird?»

Die vom Krieg verschonten Zürcher liessen sich das Feiern gleichwohl nicht nehmen. Sie amüsierten sich an den zahlreichen Neujahrsbällen oder genehmigten sich ein üppiges Neujahrsmenü, zum Beispiel im Kaufleuten. Das Opernhaus gab am Neujahrstag Beethovens Oper «Fidelio», im Pfauen stand Franz Grillparzers Lustspiel «Weh dem, der lügt!» auf dem Programm. Auch Schnäppchenjäger kamen jetzt auf ihre Kosten: Hotels und Kurhäuser von Gstaad bis St. Moritz boten besonders günstige Konditionen an. Selbst ein Hotel in Paris bot Schweizer Gästen «bedeutend ermässigte Preise», nicht einmal 80 Kilometer von der Front entfernt. Die NZZ nahm den Zürchern doch noch ein allfälliges schlechtes Gewissen: «So ernst können die Zeiten nie werden, dass nicht auch ein bisschen Glück sie begleiten sollte.»

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