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Gut zu wissen

Politik statt Liebe: Rosa Luxemburg wusste, was sie wollte. Bild: PD

Wie Rosa Luxemburg an ihren deutschen Pass kam

Von: Jan Strobel

17. November 2010

Wie die Revolutionärin einen jungen Zürcher für ihre Ziele benutzte.

Olympia Lübeck wollte nur das Beste für ihren Sohn Gustav, als sie ihm an jenem Märztag des Jahres 1898 eine junge Untermieterin zur Heirat vorschlug. Er könne es sich, so die besorgte Mutter, zur Ehre anrechnen, wenn ein Fräulein Doktor ihn zum Ehemann nehme.

Das «Fräulein Doktor» war immerhin keine Geringere als Rosa Luxemburg. Die polnische Revolutionärin hatte sich der Verhaftung in ihrer Heimat durch die Flucht nach Zürich entzogen. Die Stadt galt Ende des 19. Jahrhunderts als der bedeutendste Sammelpunkt der polnischen und russischen Emigration. Darüber hinaus konnten hier Frauen und Männer an der Uni gleichberechtigt studieren, das war einmalig in Europa. Luxemburg belegte Mathematik und Philosophie, später Volkswirtschaft und Öffentliches Recht. Ihr Quartier bezog sie bei Lübecks an der Plattenstrasse 47.

In ihrem kleinen Zimmer trafen sich die jungen, studierten Marxisten – ein revolutionärer Elfenbeinturm. Simple Schreinermaschinisten wie Gustav Lübeck waren da eher Dekoration. Dabei war er selbst Sohn eines aktiven Sozialisten. Doch was Rosa Luxemburg an dem jungen Zürcher mehr interessierte, war dessen deutscher Pass. Sie hatte den Entschluss gefasst, Zürich zu verlassen, um in Deutschland aktiv zu werden. Wollte Luxemburg aber politisch etwas bewirken und öffentlich auftreten, brauchte sie die deutsche Staatsbürgerschaft. Gustav Lübeck willigte auf Druck seiner Mutter in den Deal ein, und bereits am 19. April 1898 kam es zur Hochzeit.

Drei Wochen später traf Rosa Luxemburg in Berlin ein. Ihr Mann Gustav blieb in Zürich. Er war für sie nur noch eine lästige Erinnerung. Sie dachte nicht daran, die Bindung bestehen zu lassen, und erwirkte nach fünf Jahren die Scheidung. Für Spott war diese Zürcher Anekdote natürlich immer gut. In privatem Rahmen soll Luxemburg den Ausspruch «echt Lübeck» verwendet haben, wenn sie sich über Unzulänglichkeiten in ihrem Freundeskreis lustig machte.

Das weitere Schicksal Gustav Lübecks liegt bis heute im Dunkeln. Rosa Luxemburg stieg zu einer der bedeutendsten Vorkämpferinnen des Marxismus in Europa auf. In den politischen Wirren nach Ende des Ersten Weltkriegs wurde sie am 15. Januar 1919 in Berlin ermordet.

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