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Interview

1. Mai: Gewaltorgie oder ­politische Kundgebung?

23. April 2013

Für die einen wie dem Komitee-Sprecher Luca Maggi ist der 1. Mai ein Anlass, um politische Zeichen für die Sozial­schwachen zu setzen. Für andere, wie SVP-Gemeinderat Mauro Tuena, gehört der Anlass wegen der Gewaltakte abgeschafft.

VON SACHA BEUTH

Schon seit Jahren ist der 1. Mai für Mauro Tuena ein rotes Tuch. Der 41-jährige SVP-Fraktionschef im Gemeinderat und Computertechniker möchte den Anlass in der gegenwärtigen Form am liebsten aus dem Kalender streichen.

«Tagblatt der Stadt Zürich»: Mauro Tuena, die 1.-Mai-Kundgebung im letzten Jahr verlief relativ friedlich. Warum ­wollen Sie den Anlass trotzdem ab­schaffen?

Mauro Tuena: Nur weil sich die Veranstaltung so entwickelt hat, wie sie jetzt ist. Sie verursacht immense Kosten und bringt fast immer Gewalt mit sich. Ich habe durchaus Verständnis für den ursprünglichen Grundgedanken des 1. Mai und für die Sorgen der Arbeiter. Sorgen, die einst auch meinen Grossvater bewegten, der im Kreis 4 wohnte und als Pöstler gearbeitet hat. Aber statt dass man einen Strassen­wischer oder Bauarbeiter sprechen lässt, holt man Kriminelle wie die Flugzeugentführerin Leila Khaled oder lädt den inhaftierten Kurdenführer Abdullah Öcalan ein. So wird das Ganze zweckentfremdet und lockt von überall her Chaoten an. Lieber bekäme jeder Arbeiter in Zürich einen Feiertag nach Belieben.

Aber mit der Abschaffung würden Sie Tausende bestrafen, die friedlich auf soziale Missstände aufmerksam machen.

Tuena: Wer trägt denn dafür die Verantwortung? Doch vorab das 1.-Mai-Komitee, das sich kaum dagegen wehrt, dass der Schwarze Block am offiziellen Umzug mitläuft. Ich habe wie gesagt Verständnis für die friedlich vorgetragenen Anliegen der Arbeiter, aber vor allem auch für die Gewerbe­treibenden. Und die sind alles andere als glücklich, wenn sie jedes Mal ihre Geschäfte verbarrikadieren müssen und dann nicht selten trotzdem vor zerstörten Schaufenstern stehen.

Es gilt, die Spreu vom Weizen zu ­trennen. Leider mischen sich die gewaltbereiten Linksautonomen immer wieder unter die friedlichen Demonstranten. Wie kann man dies verhindern?

Tuena: Wenn bis zur Unkenntlichkeit vermummte Leute an die Demo kommen, dann müssen alle anderen zusammenstehen und diese ausgrenzen. Zugleich ist auch die Polizei gefordert. Sie hat die Möglichkeit, Chaoten aus der Menge zu picken.

Dafür braucht die Polizei genügend Personal. Sie selbst haben sich aber zuletzt für Budgetkürzungen eingesetzt. Wie passt das zusammen?

Tuena: Halt. Bei der Stapo haben wir – abgesehen von den Radarkästen – keine Budgetkürzungen verlangt, sondern vorab bei kulturellen und sozialen Bereichen. Wir haben sogar zusätzliche Finanzmittel für mehr Polizeipersonal bewilligt. Ich möchte an dieser Stelle auch erwähnen, dass ich grössten Respekt für die Frauen und Männer der Stapo habe, die an diesem Tag draussen im Einsatz sind.

Immer öfter finden sich unter den Chaoten auch Minderjährige. Wieso?

Tuena: Lange Zeit wurden die Krawalle geduldet, und man hat einfach zugeschaut. Das hat dazu geführt, dass sogar über die Landesgrenzen hinaus viele glauben, hier könne man ungestraft die Sau rauslassen. Gerade junge Leute, die nach Action gieren, zieht so etwas natürlich an.

Was halten Sie von einem öffentlichen Pranger, sprich Fotos der Krawallmacher in den Medien?

Tuena: Grundsätzlich wäre das in ­dieser Situation eine gute Sache. Wenn einer randaliert und fremdes Eigentum zerstört, soll er auch öffentlich zur Rechen­schaft gezogen werden.

 

VON CLARISSA ROHRBACH

Am 1. Mai stehen engagierte Menschen für eine gerechtere Welt ein, und das wird noch lange nötig sein. Das denkt zumindest Luca Maggi, Sprecher des 1.-Mai-Komitees und Präsident der ­Jungen Grünen Stadt Zürich.

"Tagblatt der Stadt Zürich": Herr Maggi, das Komitee hat den inhaftierten Kurdenführer Abdullah Öcalan als Gastredner eingeladen. Eine Provokation?

Luca Maggi: Auf keinen Fall. Wir sind bekannt dafür, dass wir kontroverse Gäste einladen. Unter den 60 Organisationen, die im Komitee sind, machen kurdische Gruppen einen wesentlichen Teil aus. Nach den Umbrüchen im Nahen Osten ist im türkischen Kurdistan endlich Frieden in Sicht, da ist auch Öcalan von zentraler Bedeutung. Unser Publikum ist genug tolerant, dass sich niemand vor den Kopf gestossen fühlen wird.

Und doch bietet der 1. Mai immer wieder eine Plattform für Chaoten.

Maggi: Wir haben Gewalt nie gerechtfertigt. Am offiziellen Umzug und am Volksfest gab es in den letzten Jahren kein Gewaltproblem. Wir gehen davon aus, dass es dieses Jahr so bleibt.

Die Polizei rüstet aber gegen die Zerstörungswut der Linksautonomen auf.

Maggi: Es kann nicht sein, dass die Öffentlichkeit mehr über das Polizeiaufgebot als über die Botschaft des 1. Mai spricht. Der Repressionsapparat der Polizei ist unverhältnismässig. Jede Seitenstrasse ist mit einer Armee von Polizisten zugestopft, das muss heruntergeschraubt werden. Vor zwei Jahren wurden über 500 Personen kurzzeitig verhaftet und ein Grossteil davon für 24 Stunden weggewiesen. Auch letztes Jahr riegelte ein riesiges Polizeiaufgebot den Kreis 4 ab. Wo bleibt da die Bewegungsfreiheit?

Das klingt nicht nach einem entspannten Verhältnis mit den Behörden.

Maggi: Doch das Verhältnis ist gut. Es fanden gute Gespräche mit den Behörden statt. Wir möchten seit längerem den Umzug am Paradeplatz vorbeiführen. Weil dieser Finanzplatz für die soziale Ungleichheit steht. Die Polizei hat für dieses Jahr abgelehnt. Für nächstes Jahr haben wir aber eine mündliche Zusicherung. Auf so viel Verständnis zählen wir.

Bürgerliche wie Mauro Tuena möchten den 1. Mai am liebsten abschaffen. Was halten Sie davon?

Maggi: Wenn man den Arbeitnehmern am Tag der Arbeit nicht erlaubt, sich zu äussern, ist das undemokratisch. Wer die Diskussion über gerechtere Löhne und Arbeitsbedingungen nicht gewähren will, verunglimpft die Arbeitnehmer.

Das Proletariat gibt es gar nicht mehr. Für wen genau steht das Komitee ein?

Maggi: Es gibt immer noch Menschen, die viel arbeiten und dafür wenig bekommen. Doch unsere Organisationen beschäftigen sich auch mit Menschenrechten, Umwelt, Völker verbindenden Fragen. Gemeinsam haben sie den Kampf für eine gerechtere Welt, in der niemand aufgrund seines Lohnes oder seiner Herkunft diskriminiert wird. Deswegen auch unser Motto: «Todo para todos», alles für alle.

Das klingt wie ein Slogan aus den 70er-Jahren. Ist der 1. Mai noch zeitgemäss?

Maggi: Gerade jetzt sind diese Themen hochaktuell. Noch nie war die Schere zwischen Arm und Reich so gross. Auch brisante Themen wie die Revision des Asylgesetzes zeigen, dass wir noch einen langen Kampf vor uns haben. Es ist erschreckend, dass wir auf der anderen Seite der Welt Ferien machen und es doch noch so viel Angst vor Fremden gibt. Es braucht noch viel, bis der 1. Mai überflüssig sein wird.

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