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Interview

Steuergeschenk für Unternehmen oder ein Vorteil für alle? Bild: iStock

Alter Wein in neuen Schläuchen oder ein guter Kompromiss?

Von: Sacha Beuth

23. April 2019

Mit der Vorlage über die Steuerreform und AHV-Finanzierung, über die das Volk am 19. Mai entscheidet, sollen gleich zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen werden. Das «Tagblatt» lud dazu Martina Zürcher (32, FDP) und Katharina Prelicz-Huber (59, Grüne) zu einem Pro-und-Kontra-Gespräch ein. Während Erstere sich von der Vorlage mehr Jobs und langfristig mehr Steuereinnahmen verspricht, befürchtet Letztere massive Mindereinnahmen.

Bei Steuern und AHV handelt es sich um zwei eigenständige Themen. War es nötig, diese in eine gemeinsame Vorlage zu verpacken?

Katharina Prelicz-Huber: Nein. Generell sind derartige Vorlagen staatspolitisch fragwürdig. Wäre die AHV-Finanzierung einzeln zur Abstimmung gestanden, hätten wir dazu Ja gesagt. Der Steuerteil ist aber so gefährlich, dass wir Grünen die Vorlage als Ganzes ablehnen.
Martina Zürcher: Das Päckli ist unschön, aber nötig. Es gibt auch Gemeinsamkeiten. Beide Themen haben mit der Wirtschaft und dem Arbeitstandort Schweiz zu tun. Und beide scheiterten 2017 jeweils einzeln an der Urne, die Unternehmenssteuerreform III ebenso wie die Altersvorsorge 2020.

Beide Vorlagen beinhalteten teilweise die gleichen Lösungen wie die aktuelle. Warum sollten die Wähler nun ihre Meinung ändern?

Zürcher: Weil entscheidende Änderungen vorgenommen wurden. Es geht nicht auch noch um die Pensionskassenfinanzierung wie beim letzten Mal. Das höhere Pensionsalter für Frauen ist ebenfalls draussen. Und steuertechnisch profitieren Kantone und Gemeinden mehr als bei der letzten Vorgabe, weshalb sie die Vorlage nun mittragen. Sie ist ein guter Kompromiss.
Prelicz-Huber: Das ist ein Nullkompromiss. Der Steuerteil ist alter Wein in neuen Schläuchen: wie bei der USR III ein gigantischer Steuerausfall auf Kosten des Service public. Die AHV erhält eine nicht ausreichende Finanzspritze, die statt voll von den Konzernen von den Arbeitnehmenden mitfinanziert wird.

Die Kantone haben angekündigt, Steuern für Unternehmen zu senken. Wie soll das dadurch entstehende Loch gefüllt werden?

Prelicz-Huber: Das frage ich mich auch. Das kann eigentlich nur über einen weiteren Abbau des Service public erfolgen. Oder man erhöht die Steuern für Privatpersonen. Und dabei sagt man im Kanton schon seit Jahren, dass man kein Geld für Krankenkassenverbilligungen, für Fachhochschulen oder Flüchtlinge hat. Und nun stimmt man zu, Steuern zu senken.
Zürcher: Moment. Allein der Kanton Zürich verzeichnet pro Jahr Gesamtsteuereinnahmen von 7 Mia. Franken und wie zuletzt einen Überschuss von 500 Mio. Franken. Durch die angedachten Massnahmen der Steuerreform würde der Kanton Zürich aber nur rund 180 Mio. Franken weniger einnehmen. Insofern verstehe ich die Angst von Frau Prelicz nicht. Kommt hinzu, dass anders als heute mit der Reform alle Unternehmen – vom Grosskonzern bis zu den KMU – gleich behandelt würden.
Prelicz-Huber: Also gleich wenig oder sogar nichts versteuern. Schon heute bezahlen 80 Prozent der KMU im Kanton Zürich keine Gewinnsteuern. Hingegen stammen national über 50 Prozent der Gewinnsteuereinnahmen von Statusgesellschaften (= mehrheitlich international tätige Konzerne mit Firmensitz Schweiz, die Red.). Die Stadt Zürich hat errechnet, dass sie mit der Reform 100 Mio. Franken weniger einnehmen wird, wobei sie zwar vom Kanton wiederum 40 Mio. als Ausgleich erhält, unter dem Strich aber immer noch ein Minus von 60 Mio. herausschaut.
Zürcher: Für die internationalen Konzerne müssen wir konkurrenzfähig bleiben, sonst wandern sie – und Arbeitsplätze – ins Ausland ab.
Prelicz-Huber: Haben 2009 nicht auch reiche Ausländer gedroht, dass sie den Kanton Zürich verlassen, wenn das Volk Ja zur Abschaffung der Pauschalsteuer sagt? Und dann ist kaum einer weg-, aber viele zugezogen. Ausserdem: Wo sollen die Firmen denn hin? – In Deutschland, Österreich oder Frankreich sind die Unternehmenssteuern deutlich höher als bei uns.
Zürcher: Dafür in Irland und im Vereinigten Königreich mit den Kanalinseln teilweise deutlich niedriger.

Werden Bund, Kantone und Gemeinden bei Annahme der Vorlage mittel- und langfristig mehr oder weniger Steuern einnehmen?

Zürcher: Weil durch die Massnahmen der Wirtschaftsstandort Schweiz, insbesondere die Bereiche Forschung und Innovation, gestärkt wird, gibt es mittel- und langfristig mehr Start-ups, somit mehr Arbeitnehmer und somit wiederum mehr Steuereinnahmen. Ausserdem schaffen wir mit der Vorlage Rechts- und Planungssicherheit für einen attraktiven Wirtschaftsstandort.
Prelicz-Huber: Ich gehe zwar mit Frau Zürcher einig, dass die Schweiz als Standort für Innovation und Forschung stark bleiben darf. Jedoch nicht auf diese Weise. Übernehmen wir die Vorlage, ermöglichen wir den Unternehmen nur weitere Schlupflöcher. Laut Wirtschaftsexperten soll es möglich sein, dass Unternehmen bis zu 90 Prozent ihrer Gewinne von den Steuern abziehen könnten. Fakt ist jedenfalls, dass man die Ausfälle von rund 2 Milliarden (siehe Box unten, die Red.) erst mal reinholen muss.

Gehen wir zur AHV-Finanzierung über. Zu dieser soll der Bund, also der Steuerzahler, 800 Millionen beisteuern und Arbeitnehmer und Arbeitgeber zusammen 1,2 Milliarden. Warum müssen nicht die Unternehmen alles übernehmen, da doch sie es sind, die von der Steuerreform profitieren?

Prelicz-Huber: Fände ich richtig.
Zürcher: Indirekt profitiert ja auch der Arbeitnehmer respektive der private Steuerzahler von der Reform, da so wie gesagt Arbeitsplätze gesichert werden. Abgesehen davon sind 1.50 Franken zusätzlicher AHV-Beitrag pro 1000 Franken Lohn jetzt auch nicht so viel, dass ein Arbeitnehmer deswegen nicht mehr Ferien machen kann.

Immer mehr Personen beziehen eine AHV-Rente. Werden nun mit der neuen Finanzierung alle Probleme der Vorsorgeinstitution gelöst?

Zürcher: Nein. Es ist nur eine Übergangslösung für die nächsten paar Jahre. Anschliessend sind weitere Massnahmen nötig.
Prelicz-Huber: Hier sind wir einer Meinung.

Was sind die Konsequenzen, wenn die Vorlage abgelehnt wird? Gibt es keinen Plan B mehr?

Prelicz-Huber: Ein Nein würden wir begrüssen. Die AHV-Finanzierung könnte man nochmals für sich zur Abstimmung bringen. Auch bei der Steuerreform müsste wegen des Drucks der EU und der OECD schnell eine Lösung her. Aber ohne Steuerprivilegien. Am besten wäre, die bisher privilegierten Unternehmen mit ein paar Jahren Übergangsfrist in die Normalbesteuerung zu überführen.
Zürcher: Das ist schon der Plan B, darum bin ich zuversichtlich, dass er angenommen wird. Bei einem Nein müssten die Schweizer Unternehmen damit rechnen, dass sie im Ausland umgehend sanktioniert werden. Und der Kapitalschwund bei der AHV nimmt weiter zu.

Steuerreform und AHV-Fianzierung (Staf)

Darum geht es:
Die Reform der Unternehmensbesteuerung ist notwendig, weil gewisse Steuerprivilegien nicht mehr internationalen Anforderungen entsprechen. Die AHV wiederum gerät zunehmend in finanzielle Schieflage, weil immer mehr Menschen eine AHV-Rente beziehen. Mit der Vorlage soll ein international konformes, wettbewerbsfähiges Steuersystem für Unternehmen geschaffen und ein Beitrag zur Sicherung der AHV-Renten geleistet werden.

Auswirkung der Steuerreform:
Das Eidgenössische Finanzdepartement schreibt, dass bei einer Annahme der Vorlage künftig für alle Unternehmensformen die gleichen Besteuerungsregeln gelten würden, da bisherige Privilegen für überwiegend international tätige Firmen aufgehoben würden. Damit die Schweiz weiterhin ein attraktiver Wirtschaftsstandort bleibt, wird diese Massnahme durch die Einführung neuer steuerlicher Sonderregelungen zur Förderung von Forschung und Entwicklung (F&E) begleitet. So kann mittels Patentbox in den Kantonen ein Teil der Gewinne aus Erfindungen künftig ermässigt besteuert werden. Zudem haben die Kantone die Möglichkeit, einen zusätzlichen Abzug von höchstens 50 Prozent für F&E-Ausgaben vorzusehen. Darüber hinaus können Firmen fiktive Zinsen auf Eigenkapital (= zinsbereinigte Kapitalsteuer) abziehen – ähnlich wie sie bereits heute die Schuldzinsen ihrer Kredite beim Gewinn abziehen können. Allerdings zahlt man auf Eigenkapital keine Zinsen. Handkehrum sieht die Reform vor, dass Aktionäre höhere Steuern auf Dividenden bezahlen müssen. Insgesamt rechnet man kurzfristig auf bundes- und kantonsebene mit Steuerausfällen von total 2 Milliarden Franken pro Jahr.

Auswirkung der AHV-Anpassung:
Bei Annahme der Vorlage wird die Finanzierungslücke gemäss Eidgenössischem Finanzdepartement wesentlich verkleinert. Sie stelle sicher, dass der AHV bereits ab 2020 pro Jahr zusätzlich 2 Milliarden Franken zufliessen werden. Von den Mehreinnahmen steuert der Bund rund 800 Millionen Franken bei. Die restlichen 1,2 Milliarden Franken tragen die Unternehmen und die Versicherten. Erstmals seit über 40 Jahren werden die Beiträge für die AHV leicht angehoben. Die Erhöhung beträgt 0,3 Prozentpunkte. Der Beitragssatz von Arbeitgebenden und Arbeitnehmenden wird um je 0,15 Prozent erhöht, also um je Fr. 1.50 auf 1000 Franken Lohn.

Weitere Infos: www.efd.admin.ch -> Dokumentation -> Gesetzgebung -> Abstimmungen -> Volksabstimmung zum Bundesgesetz über die Steuerreform und die AHV-Finanzierung

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