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Interview

Brückenbauerin: Alexandra Heeb setzt sich für eine lebenswertere Langstrasse ein. Bild: Tom Kawara

"An der Langstrasse wurde schon immer Profit gemacht"

Von: Jan Strobel

05. Juli 2016

Seit fünf Jahren ist Alexandra Heeb (40) Delegierte Quartiersicherheit im Polizeidepartement. Wir sprachen mit ihr über ihr grösstes Anliegen: Eine Brücke zwischen Anwohnern und Nachtleben zu schlagen.

Alexandra Heeb, vor fünf Jahren traten Sie das Amt als Delegierte Quartiersicherheit an. Wie sieht Ihre Bilanz für die Langstrasse aus?
Als ich mich mit der Langstrasse und ihren Problemen zu beschäftigen begann, trieben die Anwohner eher noch die klassischen Kreis-4-Phänomene um: Drogenhandel und Prostitution. Dieser Fokus hat sich verlagert. Im Mittelpunkt steht das Nachtleben. Der Ausgang an der Langstrasse hat sich gewandelt, die Szene sich noch stärker etabliert. Schauen Sie nur, wie viele neue Bars und Clubs in den letzten fünf Jahren eröffnet haben. Das Nachtleben hat sich vom Escher-Wyss-Platz zur Langstrasse hin verschoben. 

Mit den bekannten Folgen. Die Langstrasse ist während der Wochenenden zum Ballermann verkommen.
Gewisse Leute wollen möglichst billig in den Ausgang. Viele gehen gar nicht in die Bars an der Langstrasse, sondern decken sich mit Alkohol ein und feiern auf der Strasse. Das ist in vielen Städten so und kein grundsätzliches Problem. Besonders bei Leuten, die nicht in der Stadt wohnen, stellen wir fest, dass sie die Langstrasse als einen Ort ausserhalb ihrer Alltagswelt sehen, an dem sie manchmal ihren Anstand verlieren. Leben in der Stadt funktioniert ­immer nur mit Respekt auf beiden Seiten. Wir wollen nicht die Party verbieten, aber es muss möglich sein, an der Langstrasse weiterhin zu wohnen.

Hippe Bar- und Clubbetreiber im Quartier beklagen einerseits die Kommerzialisierung der Langstrasse, möchten aber trotzdem Profit mit dem Partyvolk aus der Agglo machen. Ist das nicht scheinheilig?
Ich möchte nicht in diesen pessimistischen Singsang einstimmen. An der Langstrasse wurde schon immer Profit gemacht. Früher mit Drogen und Prostitution, heute eben im Nachtleben. Das gehört zur Geschichte dieser Strasse.

Es gibt auch Stimmen, die finden, niemand müsse ins Langstrassenquartier ziehen, wenn ihn das ­Partyvolk störe, Anwohner hätten Einbussen in Kauf zu nehmen. Was halten Sie davon?
Es gibt Menschen, die hier seit 40 Jahren verwurzelt sind. Und ich empfinde die Anwohner der Langstrasse als tolerant. Sie sind nicht gegen ein Nachtleben in ihrem Quartier und gehen ganz anders mit der Lärmthematik um als zum Beispiel Bewohner des Zürichbergs. 
 
Die Stadt will neue Spielregeln im Nachtleben erproben. Hinterhöfe werden als besonders empfindliche Zonen definiert, 24-Stunden-Shops sollen in die Pflicht genommen werden, für Sauberkeit zu sorgen, lärmgeplagte Anwohner können sich mit einem Beschwerdetelefon direkt an die Barbetreiber wenden, die Polizeipräsenz rund um die Piazza Cella bleibt an Wochenenden erhöht. Was versprechen Sie sich davon?
Lärm und Abfall stehen im Zentrum. Es sind Massnahmen, die wir zusammen mit Barbetreibern und den Anwohnern ausgearbeitet haben und jetzt erproben. Es gibt keine definitiven Rezepte, es ist vielmehr ein laufender Prozess der Stadtentwicklung. Viele haben sich an unseren beiden runden Tischen zum ersten Mal kennen gelernt, es kam zu einem wertvollen Austausch, der den Quartierzusammenhalt stärkt. Es sind Massnahmen, die wir laufend anpassen können. Im September ziehen wir am dritten runden Tisch eine erste Bilanz.   

Der Verein Pro Nachtleben allerdings findet, die Massnahmen ­verhinderten ein «freiheitliches Nachtleben» an der Langstrasse.
Dieses Nachtleben existiert bereits, sonst wäre eine Bar- und Clublandschaft wie heute ja nicht möglich. Ich verstehe allerdings das Bedürfnis nach günstigen Freiräumen, die nicht kommerzorientiert sind. Sie sind an der Langstrasse praktisch verschwunden, wie ja überhaupt in der ganzen Stadt.
 
Vor zwei Wochen lancierten die Bars und Clubs die Kampagne «Nachtleben und lassen», ein Aufruf mit Plakaten zu mehr Rücksicht und für die Koexistenz von Nachtleben und Wohnen. Bar- und Clubbetreiber hängen die Plakate an prominenter Stelle auf. Ein Motto lautet: «Diese Strasse ist uns nicht lang wie breit.» Wie kommt die Kampagne bei den Partybesuchern eigentlich an?
Das kann ich nicht beurteilen. Mir gefällt sie, und ich freue mich über das Engagement.

Verfolgt man die Diskussion um die heutige Langstrasse, entsteht mitunter der Eindruck, manche wünschten sich das «alte» Langstrassenflair à la Kurt Früh zurück. Gewissermassen vom Ballermann zum Ballenberg. Was sagen Sie ­diesen Leuten?
Es gibt vermutlich einige, die sich die alte Zeit zurückwünschen, am liebsten eine Langstrasse wie aus den 80er-Jahren. Das ist eine Romantisierung, die der Dynamik dieses Orts nicht gerecht wird.


Die Kampagne «Nachtleben und lassen» ist auf Facebook präsent:
www.facebook.com/nachtlebenundlassen

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