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Interview

Christoph Berger vom Universitäts-Kinderspital Zürich. Bild: PD

Aufgeschoben statt aufgehoben

Von: Sacha Beuth

31. August 2021

GESUNDHEIT Durch das Tragen einer Hygienemaske schützt man sich nicht nur vor Corona, sondern auch vor diversen anderen Infektionen. Andererseits hat dieser Umstand aber auch einen negativen Einfluss auf unser Immunsystem, das dadurch weniger trainiert wird. Wie stark der Effekt ist und was man dagegen tun kann, weiss Christoph Berger, Leiter Abteilung Infektiologie und Spitalhygiene am Universitäts-Kinderspital Zürich.

Wo in anderen Wintern sich Erkältungs- und Grippewellen die Hand gaben, blieben diese zuletzt aus. Die Hauptursachen hierfür sind in den Hygienemassnahmen des Bundes, namentlich der Maskenpflicht, zu suchen, schützen Hygienemasken doch nicht nur vor Corona, sondern auch vor diversen anderen Viren und Bakterien. Allerdings könnt dadurch auch ein negativer Effekt für das Immunsystem entstehen. Laut Christoph Berger, Leiter Abteilung Infektiologie und Spitalhygiene am Universitäts-Kinderspital Zürich, ist dieser Effekt aber für Erwachsene meist nicht so schlimm, selbst wenn die Krankheitswellen sich doch noch verspätet einstellen sollten. Bei Kleinkindern kann dies hingegen zu saisonal ungewohnt auftretenden Infektionen führen.

In den Medien war zuletzt öfters zu vernehmen, dass durch das Maskentragen und andere Hygienemassnahmen unser Immunsystem träge wurde. Wie ist das zu verstehen?

Christoph Berger: Unser Immunsystem ist tagtäglich damit beschäftigt, alle möglichen Krankheitserreger abzuwehren. Durch die Hygienemassnahmen wird ihm Arbeit abgenommen und es ist gegenüber dem Verpassten weniger fit. Bildlich gesprochen bedeutet dies: Die Immunantwort gegen einen bereits bekannten Erreger ist zwar immer noch vorhanden, nur ist das Gedächtnis nicht so alarmiert. Das Immunsystem muss den jeweiligen Abwehrmechanismus erst wieder aus den hinteren Reihen des «Abwehr-Ablagegestells» hervorkramen. Durch die Hygienemassnahmen im letzten Winter keine Grippe- oder RSV-Wellen gab. Allerdings wurden diese nur aufgeschoben und nicht aufgehoben und so trat die RSV-Welle dafür im Sommer auf, nachdem die Schutzmassnahmen wieder gelockert worden waren. Der RS-Virus ist eine bei Kleinkinder Bronchitis auslösende Krankheit, die bei Erwachsenen meist nur für Schnupfen oder einen rauen Hals sorgt. Diesen Sommer mussten sehr viele Kinder wegen RSV hospitalisiert werden, so dass wir an unsere Kapazitätsgrenzen kamen.

Ist es dann nicht eher kontraproduktiv, wenn etwa Schüler – wie es in einigen Kantonen der Fall ist – wieder eine Maske während des Unterrichts tragen müssen?

Das ist nicht die Frage. Der entscheidende Punkt in diesem Zusammenhang ist, dass übergeordnet alles getan werden muss, damit die Schulen offen bleiben – wenn nötig halt mit Maske.

Und dafür riskiert man, dass wie bei RSV der Nachholeffekt auch bei anderen Krankheitswellen einschlägt, wenn die Maskentragpflicht eines Tages komplett fallen sollte.

Das ist zwar möglich, aber nicht relevant gegenüber der Tatsache, die Masken los zu werden.

Inwieweit unterscheidet sich das Immunsystem eines Erwachsenen von dem eines Kindes?

Je älter man ist, desto grösser ist die Erfahrung des Körpers mit verschiedenen Viren und Bakterien. Das bedeutet, dass das zuvor erwähnte «Abwehr-Ablagegestell» eines Erwachsenen schon ordentlich gefüllt ist, während ein Neugeborenes bei null anfängt. Ist also ein Erreger nicht komplett neu, sondern nur verändert und grassierte bereits in einer ähnlichen Variante, erkennt ihn ein erfahrenes Immunsystem als schädlich und bekämpft ihn mit bereits zuvor erfolgreichen Mitteln. Das bewirkt zwar meist keinen Komplett-, aber immer einen Teilschutz.

Zur Stärkung des Immunsystems werden immer wieder verschiedene Mittel empfohlen. Etwa Präparate, die auf Extrakten des Roten Sonnenhuts (Echinacea) basieren, und vor einiger Zeit zum Schutz von Corona einen Boom erlebten. Zu Recht?

Diese Präparate haben einen gewissen Einfluss, sind aber eher als Ergänzung zu betrachten. Jedenfalls darf man bei einer schwere Lungen- oder Blasenentzündung nicht alleine darauf vertrauen.

Was halten Sie von Pharma-Präparaten, die auf abgetöteten und aufgelösten Bakterien (sogenannten Bakterienlysaten) basieren?

Diese Präparate können vor oder nach einer Darm- oder Atemwegserkrankung durchaus von Nutzen sein. Wie gross der Effekt ist, kann ist schwierig zu beurteilen.

Auch Probiotika in Form von Lebendbakterien wie Laktobazillen werden angeboten. Wie ist hier der Nutzen?

Laktobazillen werden normalerweise zur Erhaltung einer guten Vaginal-Flora oder nach einer Antibiotika-Kur genutzt. Das durch sie geschaffene Milieu kann vor krank machenden Erregern schützen.

Was ist aus Ihrer Sicht der beste Weg, um das Immunsystem zu stärken?

Am besten gelingt dies, indem man sich viel bewegt und gesund ernährt.

Corona-News: Bundesrat will Zertifikatspflicht ausdehnen

Seit ein paar Wochen nehmen die Spitaleinweisungen von Corona-Patientinnen und -Patienten stark zu. Die Hauptursache für den Anstieg sieht der Bundesrat in der tiefen Durchimpfungsrate. So sind in der Schweiz nur 56 Prozent der Bevölkerung mindestens einmal geimpft, in der EU dagegen 63 Prozent. Am letzten Mittwoch legte der Bundesrat nach seiner Sitzung darum weitere Massnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie vor und konsul- tierte dazu die Kantone. Vorgesehen ist, die heute in Diskotheken und Tanzlokalen bestehende Zertifikatspflicht für Gäste und Besucher auf alle Innenbereiche von Restaurations-, Bar- und Clubbetrieben sowie für den Zugang zu Theater-, Konzert- und Sportveranstaltungen, Kinos, Museen, Zoos, Casinos und Indoor-Sportanlagen wie Hallenbäder oder Fitnesscenter zu erweitern. Aus Gründen des Grundrechtsschutzes ausgenommen sind etwa religiöse Veranstaltungen, Bestattungen sowie Anlässe zur politischen Meinungsbildung bis maximal 30 Personen. Andererseits wird in Diskotheken und Tanzlokalen zusätzlich eine obligatorische Kontaktdatenerhebung eingeführt. Ab dem 1. Oktober 2021 müssen zudem Personen ohne Symptome, die sich testen lassen, um ein Zertifikat zu erhalten, den Test selber bezahlen. Die Testkosten für Personen mit Symptomen werden weiterhin vom Bund übernommen. Allerdings er- halten diese dann kein Zertifikat. Für Angestellte von Gastrobetrieben und Tanzlokalen besteht keine Zertifikatspflicht, jedoch weiterhin eine Masken- tragpflicht – ausser alle Mitarbeitenden besitzen ein Zertifikat.

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