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Interview

Hoben im Rededuell die Nach- bzw. Vorteile der Steuervorlage 17 hervor: Die Gemeinderäte Marco Denoth (l., SP) und Urs Egger (FDP). Bild: SAG

Blindflug ohne Auffangnetz oder Umsetzung des Volkswillens?

Von: Sacha Beuth

13. August 2019

STREITGESPRÄCH Nach dem Ja im Frühling zur eidgenössischen Vorlage über Steuerreform (und AHV-Finanzierung) stimmt der Kanton Zürich nun am 1. September über deren Umsetzung – genannt Steuervorlage 17 – ab. FDP-Gemeinderat Urs Egger (63) begrüsst die Vorlage, da so grosse Steuerzahler im Kanton gehalten werden könnten. SP-Gemeinderat Marco Denoth (44) fürchtet höhere Belastungen für Arbeitnehmende.

Das Schweizervolk hat im Mai bereits Ja zur Steuerreform gesagt, wobei die Umsetzungsziele mehrheitlich bekannt waren. Warum ist es wichtig, nochmals auf kantonaler Ebene darüber abzustimmen?

Urs Egger: Im Mai wurde nur der Rahmen gesetzt. Die Steuerhoheit liegt bei den Kantonen. Mit der Abstimmung vom 1. September geht es nun darum, über die «Werkzeuge», die der Kanton Zürich aus der vom Bund zur Verfügung gestellten «Werkzeugkiste» gewählt hat, zu bestimmen (siehe Box rechts, die Red.).
Marco Denoth: Und hier haben wir genau das Problem. Der Kanton Zürich schöpft die Möglichkeiten, die diese «Werkzeugkiste» bietet, voll aus. Abzüge von 150 Prozent für Forschungs- und Entwicklungskosten, Abzug von 90 Prozent des Rein­gewinns, der auf Patentrechte fällt, 70 Prozent Gesamtrabatt und dazu noch die zinsbereinigte Gewinnsteuer – überall geht man ans Maximum. Eine massive Entlastung für die reichen Konzerne, die die Bevölkerung und die KMU hernach ausbaden müssen.
Egger: Dafür senkt der Kanton Zürich den Steuersatz für Unternehmensgewinne nur um 1 Prozent auf 7 Prozent, womit wir auf eine Unternehmenssteuer von total 19 Prozent kämen. Andere Kantone liegen da viel tiefer. So hat Zug seinen Steuersatz auf 12 Prozent gesenkt. Umso wichtiger ist darum im interkantonalen Steuerwettbewerb für Zürich, dass andere Instrumente eingesetzt werden können.

Herr Denoth, bei besagter Abstimmung im Frühling war Ihre Partei für Steuerreform und AHV-Finanzierung. Nun ist sie gegen die Vorlage. Warum?

Denoth: Unsere Haltung hat nicht gewechselt. Dass wir damals die Ja-Parole ausgaben, ist dem Kompromiss mit der AHV-Finanzierung zu verdanken. Ausserdem haben wir nicht erwartet, dass der Kanton gleich alle Mittel ausschöpft, und glauben auch nicht, dass dies so im Sinne des Stimmvolks ist.
Egger: Das Stimmvolk wusste um die angedachten «Werkzeuge», darum ist für mich klar, dass es auch diesen zugestimmt hat. Der Kanton hat nur den Volkswillen umgesetzt. Übrigens gibt es einige prominente SPler, die für die Vorlage sind, darunter Corine Mauch, Daniel Jositsch, Jacqueline Fehr und Jacqueline Badran.

Herr Egger, Zürich ist als Unternehmensstandort attraktiv. Ist die Warnung Ihrer Partei vor dem Abwandern solcher Firmen nicht übertrieben, zumal auch nach Abschaffung der Pauschalsteuer im Kanton Zürich 2009 kaum ein reicher Ausländer den Kanton verlassen hat?

Egger: Die Warnung ist keinesfalls übertrieben. Holdings – denn diese hat man mit der Vorlage im Fokus – sind in Sachen Umzug viel mobiler als Privatpersonen oder gar Unternehmen mit Produktionsstätten. Und ich weiss von Firmen, die Kantone mit besseren Steuerbedingungen im Auge haben und schon mal mögliche Umzugsszenarien durchspielen.
Denoth: Das ist Angstmacherei. Der Kanton Zürich bietet eine Wahnsinns-Qualität in Sachen Infrastruktur und Dienstleistung. Diese Qualität hochzuhalten, kostet natürlich. Bei einem Steuereinbruch wird etwa die Krankenkassenprämienverbilligung weiter gekürzt. Darunter zu leiden bzw. die Zeche zu zahlen hätte dann die arbeitende Bevölkerung.

Der Kanton will als Ausgleich für die Steuerausfälle der Gemeinden rund zwei Drittel der 180 Millionen Franken, die er vom Bund bekommt, an die Gemeinden weitergeben.

Denoth: Was vorne und hinten nicht reicht. Für den Kanton Zürich und seine Gemeinden kommt es zu Steuerausfällen von 500 Mio. Franken pro Jahr. Selbst mit dem Zuschuss durch den Bund sowie weiteren möglichen Zusatzeinnahmen rechnet der Kanton mit einem Minus von 180 Millionen für sich und Mindereinnahmen von total 66 Millionen pro Jahr allein für die Stadt Zürich.
Egger: Hier wird von veralteten Zahlen ausgegangen, bei denen die in den letzten Jahren steigenden Steuereinnahmen, gerade in der Stadt Zürich, nicht berücksichtigt wurden. Statt eines Minus von 500 Millionen dürfte es eher ein Minus von 250 Millionen sein. Zieht man davon noch den Bundeszuschuss ab, ist die Belastung tragbar.

Und wie sähe der Steuerausfall konkret für die Stadt Zürich aus?

Denoth: Das wollten wir auch wissen und haben darum eine dringliche schriftliche Anfrage beim Stadtrat eingereicht, die Anfang Juli beantwortet wurde. Daraus geht hervor, dass wegen der Komplexität der Angelegenheit über die Steuerausfälle nur gemutmasst werden kann. Unter dem Strich rechnet man aber mit rund 200 Mio. Franken für die nächsten drei Jahre, nach den Zuschüssen des Kantons.
Egger: Es ist richtig, dass über die Höhe der Ausfälle teilweise nur gemutmasst werden kann. Das bedeutet aber auch, dass die Ausfälle tiefer sein können als prognostiziert. Und die Erfahrung zeigt, dass bei attraktiven Steuerbedingungen am Schluss mehr Steuereinnahmen durch Firmen generiert werden können.

Die SP fürchtet, dass durch die neuen Steuerabzüge für die Unternehmen nur die Grosskonzerne profitieren, nicht aber KMU. Wieso?

Denoth: Weil es kaum KMU gibt, die überschüssiges Eigenkapital besitzen oder Geld für Patente bekommen. Profitieren werden nur die Grossen, wobei dann das meiste Geld in Form von Dividenden auch noch ins Ausland wandert. Laut Antwortschreiben von Stadtrat Leupi sind 60 Prozent des Aktienkapitals der (Gross-)Konzerne mit Sitz in Zürich in ausländischer Hand.
Egger: Alle Gewerbler profitieren zumindest von einem der «Werkzeuge», nämlich der Steuersatzsenkung von einem Prozent. Und es gibt durchaus KMU, die die anderen Tools nützen können, so etwa diverse Start-ups mit Abzügen für Forschungsaufwendungen.

Herr Egger, kurz zusammengefasst: Warum soll man die Vorlage unbedingt annehmen?

Egger: Weil sie den Standort Zürich stärkt und Arbeitsplätze sichert. Und weil wir, wenn wir sie ablehnen würden, mit deutlich höheren Steuerverlusten rechnen müssten.

Und warum sollte man, Herr ­Denoth, die Vorlage ablehnen?

Denoth: Weil sie zulasten der KMU und der Zürcher Bevölkerung geht, die die Löcher über höhere Steuern oder Leistungsabbau bezahlen müssten. Es wäre ein Blindflug ohne Auffangnetz wie bei der Unternehmensteuerreform II. Damals hat man auch nur ein Steuerloch von 130 Millionen Franken prognostiziert, und am Schluss waren es 15 Milliarden.

Steuervorlage 17

Ausgangslage: Auf Druck von aussen sah sich die Schweiz veranlasst, die Unternehmensbesteuerung zu reformieren, da gewisse Steuerprivilegien für – zumeist inter- national tätige und in der Schweiz ansässige – Firmen nicht mehr internationalen Anforderungen entsprechen (diese Privilegien fallen am 1. Januar 2020, unabhängig vom Resultat der Abstimmung über die Steuervorlage 17). Um ein mögliches Abwandern dieser Firmen in andere Kantone oder ins Ausland zu verhindern, schuf der Bund zur Abstimmung über Steuerreform und AHV-Finanzierung im Mai ein Reformpaket, in dem er den Kantonen Lösungen für andere, neue Steuerabzüge für die Firmen ermöglicht. Nachdem die Steuerreform mit 66,4 Prozent Ja-Stimmen angenommen wurde, obliegt es nun den Kantonen, die Vorgaben aus der Reform umzusetzen.

Umsetzung und (mögliche) Auswirkungen: Die Steuervorlage 17 des Kanton Zürich sieht vor, den kantonalen Steuersatz für Unternehmensgewinne von 8 auf 7 Prozent zu senken. Gleichzeitig will der Kanton den Abzug für Forschungs- und Entwicklungskosten, den Firmen geltend machen können, von 100 auf 150 Prozent erhöhen. Neu eingeführt soll ein Eigenkapitalzinsabzug, der vor allem Finanzierungsgesellschaften zugutekommen soll. Der durch die Abzüge mögliche Gesamtrabatt wird auf 70 Prozent der Summe beschränkt, die gemäss ordentlichem Steuersatz fällig wäre. Die Senkung der Gewinnsteuern führt beim Kanton und bei den Gemeinden zu Steuerausfällen von insgesamt rund einer halben Milliarde Franken pro Jahr. Um die Gemeinden für ihre Steuerausfälle zu entschädigen, gibt der Kanton Zürich einen grossen Teil der Einnahmen von rund 180 Millionen Franken weiter, die er ab nächstem Jahr zusätzlich aus der direkten Bundessteuer erhält. Für einige von der Reform besonders stark betroffenen Gemeinden – darunter die Stadt Zürich und Winterthur – ist vorgesehen, dass sie während einer Übergangsphase von vier Jahren einen Sonderausgleich vom Kanton erhalten.

Weitere Infos: www.steueramt.zh.ch -> Spezialsteuern -> Unternehmenssteuern -> Kantonale Volksabstimmung vom 1. September 2019

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