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Interview

Das Gegenüber entscheidet, was gutes Benehmen ist

Von: Isabella Seemann

29. März 2016

Für Christoph Stokar ist Höflichkeit eine Art Schmiermittel im gesellschaftlichen Miteinander. Gleichwohl nimmt der erfolgreiche Knigge-Autor Verstösse gegen die Etikette gelassen. Nur bei den Tischmanieren kennt er kein Pardon.

Herr Stokar, sind Zürcher angenehme Menschen?
Zürcher stehen im Ruf laut, besserwisserisch und arrogant zu sein. Im Vergleich zu den Bernern sind wir wohl nicht ganz so harmoniebedürftig. Generell sind die Schweizer aber sehr höflich. Das zeigt sich schon im häufig angewendeten Konjunktiv beim Bestellen. «Könnten Sie mir bitte noch einen Kaffee bringen?» sagen wir. Die Befehlsform wird als unhöflich empfunden. Auch durch flachere Hierarchien in der Geschäftswelt handeln wir kooperativer als in Ländern, wo es stärkere Standesunterschiede gibt.

Was sind die grössten Defizite der Zürcher?
Beim Verkehr geht es zuweilen sehr ruppig zu und her. Da vermisse ich eine gewisse Rücksichtnahme. Und auch der Ton an den politischen Rändern ist teils unangenehm aggressiv und verhöhnend.

Welche Unart Ihrer Mitmenschen stört Sie besonders?
Wenn sich einer nicht in die Schlange stellt. Kürzlich war ich im Schiffbau-Theater und konnte es kaum fassen, wie viele Leute dieses doch eher gebildeten Publikum drängelten und drückten. Jeder glaubt, sein Bedürfnis sei wichtiger als das der anderen.

Wer entscheidet eigentlich, was gutes Benehmen ist?
Das Gegenüber. Wenn Sie jemandem begegnen, werden Sie später denken «Das war aber ein freundlicher Mensch» oder «Was für ein unangehmer Typ». In meinen Knigge-Büchern gebe ich deshalb keine Regeln raus, sondern gebe zu bedenken, wie bestimmte Umgangsformen wirken. Bei der Tischetikette bin ich allerdings sehr streng. Tischmanieren sind eine mächtige Sprache, sie verraten unsere Erziehung. Da kann auch Charme und teuere Kleidung wenig kaschieren.

Der bockbeinige Schweizer hält Etikette oft für Snobismus und kokettiert damit, dass innere Werte wichtige wären als geschliffene Umgangsformen.
Zuerst muss man die Chance erhalten, seine inneren Werte zeigen zu können. Wenn man nun aber wirklich nachlässig gekleidet ist, dann hat der andere vielleicht gar keine Lust da weiter vorzudringen. Gerade schlechte Tischmanieren können beim Gegenüber einen schalen Nachgeschmack hinterlassen. Ich habe schon manche Dramen an den Nachbartischen im Restaurant erlebt. Nur merken viele nicht, dass sie die Hauptrolle darin spielen. 90 Prozent der Kommunikation ist nonverbal und ein beachtlicher Teil von Informationen nimmt der Mensch übers Auge war. Wer diese Fakten negiert oder ignoriert, handelt naiv.

Inwiefern ist korrekte Kleidung gutes Benehmen?
Korrekte Kleidung bedeutet in erster Linie der Situation angepasste Kleidung. Wer sich situationsgerecht zu kleiden weiss, festigt die Glaubwürdigkeit gleich zu Beginn. Wer auf Augenhöhe verhandeln möchte, sollte sich kleiden wie das Gegenüber, damit nichts mehr von der Kleidung ablenkt.

Was ist Ihre Motivation, seit so vielen Jahren den Knigge zu verbreiten?
Neugier und Menschenliebe. Mich fasziniert der Mensch und sein Verhalten, seine Kleidung und seine Körpersprache. Seit ich mich mit dem Thema Knigge als Buchautor befasse, liebe ich es Bus und Tram zu benutzen. Man erfährt so viele Geschichten, wenn man hinschaut und sich nicht hinter dem Mobiledisplay versteckt. Dabei habe ich aber auch bemerkt, wieviele Menschen mitenander nicht klarkommen. Mütter, die ihre Kinder anschreien, Männer, die sich gegenüber Frauen rückslichtslos verhalten. Das tut mir weh. Vielleicht, dachte ich mir, kann ein Buch über den höflichen Umgang miteinander das Leben des einen oder anderen Menschen ein wenig verbessern. Denn darum geht es im Knigge: Die Haltung zu seinen Mitmenschen. Höflichkeit ist ein Schmiermittel der Gesellschaft.

Würden Sie sagen, dass wir heute ein besonderes Bedürfnis nach Etikette haben, dass junge Leute nicht mehr wissen, wie man sich richtig verhält?
Die Schweiz hat sich in den letzten Jahrzehnten enorm gewandelt. Die Menschen haben sich von den früheren rigiden Normen befreit. Das heisst aber noch lange nicht, dass nun alles erlaubt ist. Wir leben heute in einer Zeit, in der jeder Verantwortung für sein eigenes Verhalten tragen muss. Transparenz und Authentizität sind angesagt. Die Glaubwürdigkeit ist ein wichtiges Gut. Die Grundlagen für eine gute Zusammenarbeit im Team oder das Zusammenleben in einer Partnerschaft sind Anstand, Aufmerksamkeit und Grosszügigkeit.

Was haben Sie bei den Recherchen zu Ihren Büchern gelernt?
Die Augen offen zu halten, empathischer und achtsamer zu sein. Es ist nicht einfach mit seinem eigenen Analphabeten in sich drin zu leben und manch einer, mit dem ich zu tun hatte, der wird mich kritischer sehen, als ich mich selbst. Die Arbeit am Buch hat auch bei mir einen Prozess ausgelöst und er ist noch lange nicht zu Ende.

Gibt es Leute, die resistent sind gegen Knigge?
So wie es Modemuffel gibt, so gibt es auch Kniggemuffel. Aber auch der kommt vielleicht mal in eine Situation, in der er seine Eigenheiten überdenken möchte, wenn er sich beispielsweise bei der Partnersuche seine Chancen vergibt durch schlechtes Benehmen. Aber auch in der Ehe ist es förderlich, sich gut zu benehmen, aufmerksam zu sein, sich schön zu kleiden, Kaffee ans Bett zu bringen, anständig zu reden. Man kann seine sonnigeren Seiten zeigen, ohne sich deshalb verstellen zu müssen. Wir sollten uns alle immer wieder fragen, wie wir auf andere wirken. Das verbessert nicht nur die Chancen, sondern fördert das Miteinander.

In Ihrem «Schweizer Business-Knigge» betonen Sie, dass man nur weiter kommt, wenn man gute Manieren hat.
Viele Leute würden eher Karriere machen, wenn sie auch ihre Soft Skills, ihre Sozialkompetenz, stärken würden, und dazu gehören auch gute Manieren. Insbesondere Männer überschätzen die Bedeutung ihrer akademischen Fähigkeiten und glauben, weil sie dies und das können, müsse man sie halt nehmen wie sie sind. Diese Herrenmentalität kommt heute nicht gut an. Bei gleichen Fähigkeiten, hat der charmantere sicher bessere Chancen weiterzukommen.

Was ist Ihr Nummer 1 Tipp, um ein angenehmer Mensch zu werden?
Sich selbst nicht als Mittelpunkt der Welt sehen und offen sein für die Befindlichkeiten anderer Menschen.

Zur Person: Hotelfachmann und Werber Christoph Stokar (56) ist Autor des neuen Benimmführers «Der Schweizer Business-Knigge» (November 2015, Beobachter-Edition, 29.90 Fr.). Sein Bestseller «Der Schweizer Knigge» erscheint bereits in der 5. Auflage. Er absolvierte die Hotelfachschule Lausanne und arbeitet als Werbetexter; auf ihn gehen die viel beachteten Schaufenster der Stadelhofen-Apotheke zurück. Stokar hat zwei Töchter und lebt im Kreis 4.

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