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Interview

Für sie zählt das Morgen: Die Zukunftsforscherin Karin Frick arbeitet im anerkannten Gottlieb-Duttweiler-Institut. Bild: PD

"Das Klimaproblem ist kein momentaner Hype"

Von: Ginger Hebel

19. November 2019

Zukunft: Die Trend- und Zukunftsforscherin Karin Frick (58) ist Mitglied der Geschäftsleitung des renommierten Gottlieb-Duttweiler-Instituts (GDI) in Rüschlikon am Zürichsee. Sie kennt die neusten Entwicklungen und spricht über Roboter, das Einkaufsverhalten der Zukunft und neue Technologien.

Wir treffen uns heute zu einem persönlichen Gespräch. Wie kommunizieren wir in 15 Jahren?

Immer noch persönlich, es werden aber weitere Möglichkeiten hinzukommen. In Zukunft könnten sich auch unsere digitalen Datendoppelgänger miteinander treffen und unterhalten. Ein Fakten-Check-Programm würde dann auch automatisch die Aussagen überprüfen.

Die Technik verändert sich ­rasant, die Geschwindigkeit nimmt immer mehr zu. Kommen wir Menschen da überhaupt noch mit?

Der Wettbewerb geht weiter, der Schnellste gewinnt. Doch wir holen immer wieder auf. Die Menge an Neuheiten, die ein Mensch verdauen kann, ist endlich. Neue Technologien funktionieren nur, wenn es genügend Abnehmer gibt, die sie nutzen und kaufen.

Technische Geräte erleichtern unseren Alltag, dennoch sind immer mehr durch die Datenflut gestresst und sehnen sich nach Digital Detox – digitaler Entschleunigung. Was bringt die Zukunft?

Es kommt eine neue Generation smarter Apps auf den Markt, die uns unterstützt, den Medienkonsum besser zu dosieren. Das ist vergleichbar mit einer Diät: Wenn wir abnehmen wollen, verzichten wir auf gewisse Nahrungsmittel, obwohl wir theoretisch jederzeit und überall essen könnten, was wir wollen. Auch Informationen sind heute im Überfluss vorhanden. Es geht nicht darum, alles zu konsumieren, sondern auszuwählen, was einem persönlich wichtig ist und einen weiterbringt. Intelligente, digitale Assistenten werden immer mehr in der Lage sein, die Nahrung für das Gehirn auszuwählen. Auch Auszeiten lassen sich über gewisse Filter besser programmieren. Die Technik könnte uns sogar helfen, jeden Tag etwas Neues zu lernen.

Was passiert mit der guten alten Zeitung?

Die Art, wie wir uns Informationen beschaffen, hängt von unseren Gewohnheiten ab. Für viele Leute ist es ein schönes Ritual, eine Zeitung auf Papier zu lesen, sie mögen die Haptik. Andere wiederum lesen lieber online. Neue Möglichkeiten lösen die alten nicht automatisch ab, sie laufen parallel weiter, weil sich so verschiedene Bedürfnisse abdecken lassen. Alte Formen wachsen sich mit der Zeit aber tendenziell aus.

Viele Menschen sind süchtig nach Likes auf sozialen Plattformen. Wie sieht die Zukunft von Facebook, Instagram und Co. aus?

Die Konkurrenz unter den sozialen Netzwerken wird weiter wachsen, einige werden ganz verschwinden. Mein 17-jähriger Sohn hat erst gar nie mit Facebook angefangen, er verwendet Tik Tok. Doch Social Media wird es immer geben, weil es fundamentale Bedürfnisse des Menschen abdeckt: Anerkennung und Zugehörigkeit. Wir werden auch weiterhin den Wunsch haben, uns zu ­vernetzen.

Trotz Vernetzung: In den Städten beobachtet man den Trend zu Einzelhaushalten. Wie wohnen wir in Zukunft?

Das eine schliesst das andere nicht aus. Ein gewisses Mass an Intimsphäre wird immer wichtig bleiben. Die künftigen Wohnformen wie Co--Living werden private Bereiche mit Gemeinschaftszonen verbinden, sodass jederzeit ein sozialer Austausch stattfinden kann. In gewissen Neubauten sind solche Wohnkonzepte bereits vorhanden. Zürichs Stadtbild verändert sich.

Immer mehr Läden verschwinden. Wie kaufen wir künftig ein?

Kleine Fachhändler, die ihre Geschäfte nicht gerade an einer Top­lage haben, werden aus wirtschaftlicher Sicht nicht überleben können. An der Zürcher Bahnhofstrasse wird es aber immer Läden geben, sogenannte Flagshipstores, die sich wie ein Schaufenster präsentieren. Online können wir immer und überall einkaufen. Maschinen werden unsere Einkäufe automatisieren und uns direkt nach Hause liefern.

Machen uns Roboter arbeitslos?

Roboter sind in der Lage, uns unangenehme, langweilige und gefährliche Arbeiten abzunehmen. Wenn ein Roboter jätet, müssen beispielsweise weniger Pestizide eingesetzt werden. Roboter werden immer stärker in der Lage sein, Maschinen zu bauen und auch auseinanderzunehmen. Das könnte das Recycling effizienter und bequemer machen und Zero-Waste-Modelle unterstützen. Ein Roboter ist ein Werkzeug. Wir Menschen müssen genügend intelligent sein, um ihn dort einzusetzen, wo er uns entlastet. Die Frage ist: Wo sind Roboter schneller, besser, billiger? Und wie nutzen wir die freien Ressourcen?

Stichwort Konsum: Braucht es noch Bargeld?

Bargeld wird im Alltag immer unbedeutender werden, weil wir es immer weniger brauchen. Wir werden mit anderen Mitteln einfacher bezahlen können und schneller. Irgendwann wird es uns seltsam vorkommen, Münz hervorzukramen. Auch Bancomaten werden eines Tages verschwinden, weil Geld abheben schlicht zu teuer wird. Ich war kürzlich in Schweden. Sogar den Kaugummi am Kiosk habe ich mit der Karte bezahlt. Bargeld sehen sie dort bereits heute nicht mehr gern.

Klimaschutz ist in aller Munde. Sind die Zeiten der Billigflieger vorbei?

Ja. Fliegen hat seine Unschuld verloren. Es ist wie Pelz tragen: Wer es tut, wird sich dafür rechtfertigen müssen. Der soziale Druck wird zunehmen. Das Klimaproblem ist kein momentaner Hype, die Klimaerwärmung ist überall auf der Welt spürbar. Die Frage ist, ob es einen technischen Ausweg gibt, einen alternativen Treibstoff, der das Klima nicht belastet. Wenn nicht, dann wird die Freiheit des Reisens eingeschränkt werden.

Verkehren weiterhin normale Autos auf den Strassen?

Definitiv nicht. Der Personenwagen, wie wir ihn kennen, ist eine Tech­nologie des letzten Jahrhunderts, und diese wird verschwinden. Die Zukunft sind selbstfahrende Fort­bewegungsmittel. Aktuell werden Systeme umgerüstet und Konzepte geplant.

Welche neue Technologie wird uns die nächsten Jahre am meisten ­beschäftigen?

Biotech wird immer relevanter. Crispr beispielsweise steht für ein neues Verfahren, um DNA-Bausteine im Erbgut gezielt zu verändern, was unter anderem zu neuen Möglichkeiten bei der Züchtung von Pflanzen und Tieren führt. Auch Fleischersatz-Produkte gewinnen an Bedeutung. Es wird bald möglich sein, ein Schnitzel im Labor zu produzieren, ganz ohne Tier. Die Herstellung wird billiger sein, die Qualität jedoch gleich gut. Der Markt braucht angesichts der Klimaer­wärmung neue Lösungen.

Gibt es eine Zukunft ohne Plastik?

Es wird mehr Plastikverbote geben, und das ist sinnvoll, denn wir können die Welt nicht einfach zumüllen. Investiert wird aktuell in bessere Verpackungskonzepte, es werden neue, bequeme Lösungen gesucht. Auch Mehrwegverpackungen könnten ein grosses Thema werden, gerade wenn wir uns vermehrt Produkte nach Hause liefern lassen.

Immer mehr Leute haben keinen Hausarzt mehr und gehen direkt ins Spital. Die Gesundheitskosten explodieren.Wie sieht die Zukunft im Gesundheitswesen aus?

Wenn sich an der momentanen ­Logik der Gesundheitsversorgung nichts ändert, werden die Kosten automatisch weiter steigen. Doch die Digitalisierung ermöglicht es, die Strukturen und Prozesse des Gesundheitswesens fundamental zu verändern. So könnten virtuelle Arztbesuche via Smartphone und Computer bald normal werden, und KI-Ärzte (künstliche Intelligenz) könnten immer öfter die primäre Behandlung und Betreuung von Patienten übernehmen. In der Folge wird es immer weniger stationäre Spitäler brauchen.

Müssen wir Angst haben vor der Zukunft?

Ungewissheit macht immer Angst. Denn ein verantwortungsbewusster Mensch sorgt sich. Angst darf jedoch nicht lähmend sein. Wenn aber die Angst vor dem Klimawandel oder Vorsicht bei technischen Entwicklungen dazu führt, dass wir uns Alternativen überlegen, dann hat sie durchaus etwas Gutes.

Was ist Ihre Meinung zum Thema? echo@tagblattzuerich.ch

 

 

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