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Interview

Ein Rösslitram in den 1890er-Jahren unterwegs am Limmatquai, wo zu Spitzenzeiten der 3-Minuten-Takt galt.Bilder: Archiv VBZ, Archiv Tram-Museum, BAZ

«Das Rösslitram war für Zürich fast schon eine Sensation» (Verlosung ganz unten)

Von: Andy Fischer

11. September 2015

Von 1882 bis 1900 fuhr in Zürich ein Tram mit nur einem PS. Im Buch Rösslitram» geht es um diese Epoche. Der Autor und VBZ-Mitarbeiter Bruno Gisler über einen tierisch guten Taktfahrplan, charmante Regeln in der Passagierkabine und über Pferdemist, der zu Gold gemacht wurde.

Bruno Gisler, am 5. September 1882 nahm die Zürcher Strassenbahn-Aktiengesellschaft den Betrieb auf. Wie wurde das Rösslitram von der Bevölkerung aufgenommen?
Das war ein wirklich grosses Ereignis. Der Alltag war recht eintönig, darum war das Rösslitram fast schon eine Sensation. Nicht nur für die Erwachsenen, auch die Kinder hatten ihre helle Freude daran, rannten dem Tram nach und versuchten die Pferde zu necken.

Vorher gab’s in unserer Stadt ja eigentlich nichts, was den Namen ÖV verdient hätte.
Es gab nur einen beschränkten öffentlichen Verkehr. Ein Pferdeomnisbus bediente in unrgelmässigen Abständen die Strecke vom Bahnhof zum Tiefenbrunnen und auf der Limmat und dem Seebecken wollte man einen Schiffs-Nahverkehr aufbauen. Beide Projekte scheiterten

Wie muss man sich so eine Fahrt in einer Tramway, so wurde ja das Rösslitram damals offiziell genannt,  vorstellen?

Die Wagen waren natürlich im Vergleich zu heute massiv kleiner. Ein Rösslitramwagen hatte nur gerade 24 Plätze. Zum Vergleich: Ein Cobra-Tram kann 155 Passagiere aufnehmen. In jedem Rösslitram war ein Kondukteur zugegen. Er gab dem Kutscher Signal, wenn jemand aussteigen wollte und verkaufte Billetts. Im Innenraum hatten die Damen ein Vorsitzrecht, das wurde so auch in den Betriebsvorschriften festgehalten. Für die Männer war das kein Problem. Sie zogen die Aussenplattformen vor. Aus einem ganz einfachen Grund. Dort durfte man rauchen.  

Wer benutzte das Rösslitram?

Etwa Pendler, die in Riesbach wohnten und in der Stadt, die ja damals ausschliesslich aus dem heutigen Kreis 1 bestand, arbeiteten. In kleinerem Masse benutzen auch Schüler die Tramway; gut situierte Familien schickten ihre Dienstmädchen damit auf den Markt und reiche Damen fuhren an die Bahnhofstrasse zum Einkaufen.

Konnten sich nur Reiche das Tram leisten?

Nein, es war eigentlich für fast alle erschwinglich. Eine Fahrt innerhalb der Stadt kostete 10 Rappen. Soviel bezahlte man damals etwa für ein Bier im Restaurant. Fahrten über die Stadtgrenze hinaus, die damals beim Stadelhofen lag, schlugen mit 15 Rappen zu Buche.

Wie regelmässig fuhr das Rösslitram?
Erstaunlicherweise galt innerstädtisch der Sechsminutentakt, das ist besser als heute, wo überall der 7.5-Minutentakt gilt. In späteren Jahren galt auf gewissen Strecken sogar der 3-Minutentakt.

Noch ein Wort zu den den Rössli.

Ein Tier legte damals zirka 20 Kilometer pro Tag zurück, dann wurde es ausgewechselt. Es war ein anstrengender Dienst. Zwischen den Haltestellen mussten die Pferde ja traben und das Nettogewicht der Wagen betrug doch immerhin stolze 1,7 Tonnen. Aber den Tieren ging es gut, sie wurden gehegt und gepflegt. Kein Wunder bei einem Preis von 1000 Franken pro Ross, damals war das eine horrende Investition. Zum Einsatz kamen ausschliesslich Ardenner, die alle beim selben Händler in Luxemburg gekauft wurden. Nach durchschnittlich sechs Jahren im Dienst der Tramgesellschaft wurden die Tiere verkauft und zwar zu wirklich sehr guten Preisen. An den speziell dafür abgehaltenen Ganten wurden bis zu 900 Franken für ein Ross bezahlt.


In Ihrem Buch gibt es zahlreiche schwarz-weiss Fotos vom Rösslitram. Welche Farbe hatten die Wagen?

Noch nicht blau-weiss wie heute. Die Wagen hatten unterschiedliche Farben – sie waren gelb, braun, grau oder grün, je nachdem, welche Strecken sie bedienten. Liniennummern wie heute gab es damals noch nicht.

Zu den besten Zeiten des Rösslitrams waren über 200 Pferde im Einsatz. Ich gehe davon aus, dass die Zürcher Strassenbahngesellschaft die Hinterlassenschaften wegräumte.
Vonwegen. Die Rossbollen wurden einfach liegengelassen. Das war damals normal.  Das Pferd als Vorbewegungsmittel war ja nichts Besonderes und es war Aufgabe der Stadt, die Strassen zu reinigen. Im Auftrag der Tramgesellschaft waren aber Schienenreiniger unterwegs, die die Geleise von den Hinterlassenschaften befreiten.  

Der Mist, der in den Stallungen entstand, war aber sehr begehrt.
Das kann man so sagen. Die Nachfrage war grösser als das Angebot. Grosskunde dafür war ein gewisser Hermann Müller-Thurgau. Der bekannte Rebforscher holte ganze Schiffsladungen davon ab. Er brauchte den Mist für seine Weinberge am rechten Seeufer.

 

Fakten zum Rösslitram: Das Rösslitram startete 1882 mit 20 Wagen und 81 Pferden. Zu seinen Blütezeiten standen doppelt so viele Wagen und 208 Pferde (Ardenner) im Einsatz. Zu einem richtigen Massenverkehrsmittel wurde das Rössli-Tram zwar nie, es beförderte aber doch immerhin bis zu jährlich 5,4 Millionen Personen oder knapp 14 000 pro Tag. Als das neue Ding in Zürich auftauchte, hatte man nicht einmal ein richtiges Wort dafür. Bald aber etablierte sich das aus dem Englischen übernommene Wort Tramway, ein Ausdruck, mit dem eigentlich ursprünglich Schienenbahnen in Bergwerken bezeichnet wurden. Das Rösslitram wurde mit Normalspur betrieben, das moderne Züritram ist eine Schmalspur-Strassenbahn.

 

 

 

 

 

 

Bücher zu gewinnen

Wir verlosen vier Exemplare des Buches «Rösslitram – Illustrierte Geschichte der Zürcher Pferdebahn». Ein Email mit Adressangabe an gewinn@tagblattzuerich.ch oder  eine Postkarte mit dem Stichwort «Rösslitram» an: Tagblatt der Stadt Zürich, Werdstrasse 21, 8021 Zürich. Einsendeschluss ist Montag, 28. September 2015.
Für alle, die kein Glück haben: Das Buch kostet Fr. 68.-. Beziehbar ist es direkt im Tram-Museum Burgwies oder online (Adresse am Schluss der Box). Das Tram-Museum zeigt noch bis 31. Oktober 2015 eine kleine Sonderausstellung zum Thema Rösslitram. Das Museum ist geöffnet am Mittwoch, Samstag und Sonntag, jeweils nachmittags. www.tram-museum.ch

 

 

 

 

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