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Interview

SP-Politiker Peter Küng (41) in der Bäckeranlage, die in seinem Wahlkreis 4 und 5 liegt: Der Sohn von Alt-Stadtrat Willy Küng wird heute voraussichtlich zum höchsten Zürcher für das kommende Politjahr gewählt. Bilder: Nicolas Y.Aebi

Der ausgewogene Sozialist

Von: Isabella Seemann

02. Mai 2017

Das Stadtparlament wählt Peter Küng heute voraussichtlich zum höchsten Zürcher. Während eines Jahres wird er als Präsident die Geschicke des Gemeinderats lenken. Der 41-jährige Germanist und Mittelschullehrer politisiert seit zehn Jahren für die SP im Gemeinderat, wo er die Kreise 4 und 5 vertritt.

Ihr Vater Willy Küng war 20 Jahre lang Zürcher Stadtrat. Entfachte er in Ihnen das Feuer für die Politik?

Peter Küng: Tatsächlich war Politik immer ein Thema am Mittagstisch. Schon früh fand ich insbesondere Lokalpolitik und Wahlen ungemein spannend und überlegte mir, selber in die Politik einzusteigen. Allerdings wollte ich nie Stadtrat werden wegen der 7-Tage-Woche, wie sie mein Vater in diesem Amt erlebte. Aber ich genoss es sehr, ihn an Anlässe zu begleiten, und erinnere mich gerne, wie ich als Kind mit dem damaligen SP-Stadtrat Jürg Kaufmann über Winnetou und Old Shatterhand philosophierte und SVP-Stadtrat Kurt Egloff das Gemüse aus meinem Teller entfernte, wenn Mutter gerade nicht schaute.

Was haben Sie von Ihrem Vater für die Politik mitbekommen?
Den Gerechtigkeitssinn. Er fragte sich immer, was ist gut für die Stadt und was dient vielen, nicht nur wenigen.

Als Ihr Vater aus der CVP ausgeschlossen wurde, weil er zu links politisierte, gründeten Sie als 18-Jähriger mit ihm und weiteren Personen die Freie Christlich-soziale Partei (CSP). War Ihnen diese wiederum zu wenig links, dass Sie schliesslich der SP beitraten?

Nein, das hatte andere Gründe. Die CSP, der zu Beginn viele CVP-Mitglieder folgten, schaffte es im Kanton Zürich nicht, den Wähleranteil auf Dauer zu erhöhen und viel zu bewirken. Und obgleich ich aus einem katholisch-sozialen Elternhaus komme und selbst in der Kirchenpflege aktiv war, wollte ich nicht unter dem Etikett «christlich» politisieren. Die SP ist meine Heimat.

Aber so richtig aufgebäumt haben Sie sich als Jugendlicher nie gegen Ihres Vaters Ideale?

Nein, nicht wirklich. Mein Vater verstand sich nie als bürgerlicher CVPler, sondern eben als sozialer Politiker. Und ich bin seit je sozialistisch. Da war wenig, wogegen ich mich aufzubäumen hatte.

In welchem SP-Flügel positionieren Sie sich?

Im linken Flügel. Ich stehe hinter unserem Parteiprogramm und der darin enthaltenen Forderung nach einer «Überwindung des Kapitalismus». Es ist nicht gerecht, wenn man mit Kapital mehr Geld verdient als mit Arbeit. Wir fordern ja keine Verstaatlichung des Privatbesitzes, sondern mehr Mitsprache und Gestaltungsmöglichkeiten für die Angestellten ebenso wie den Boden als Gemeingut zu sichern. Wir sind aber eine Partei mit einer grossen Meinungsvielfalt. Gerade diese Breite erachte ich als Stärke. 

Was treibt Sie an, sich politisch zu engagieren?

Das Interesse an der Politik, die Möglichkeit, mitzureden und mitzugestalten. Ich halte es für wichtig, auch den staatlichen Behörden auf die Finger zu schauen und Impulse zu geben. Nicht zuletzt der Polizei, Exekutivorgan des Gewaltmonopols. So verlangte ich beispielsweise vom Stadtrat eine Erklärung zur Wegweisungspraxis und zu Rayonverboten wie in der Bäckeranlage, die von der Polizei schliesslich angepasst wurde. Randständige haben ebenso das Recht, ihre Zeit im Park zu verbringen, wie alle anderen, die sich gesetzeskonform verhalten.

Sie wohnen selber im Grünen in der Nähe der Allmend. Da sind Sie von den Nöten der Bevölkerung in Ihrem Wahlkreis 4 und 5 doch recht weit entfernt.

Der Kreis 4 ist primär ein Wohn- und kein Ausgangsquartier, und ich nehme das Bedürfnis der Bevölkerung nach Ruhe und Sicherheit sehr ernst. Zu jener Zeit gab es jedoch eine Tendenz der Behörden, allzu vorschnell mit Verboten zu reagieren. Ich bin klar der Ansicht, dass Clubs, die sich nicht an die Anweisungen halten, sanktioniert werden müssten. Gleichzeitig müssen sich auch die Ordnungshüter bei ihrem Vorgehen an die rechtlichen Grundlagen halten.

Was verbindet Sie mit Ihrem Wahlkreis 4 und 5?

Aufgewachsen bin ich im Kreis 3, aber ich war als Jugendlicher aktiv in der Pfadi im Kreis 4, der wohl multikultu­rellsten Pfadi der Schweiz, später engagierte ich mich in der Kirchenpflege und im Quartierverein und wohnte zehn Jahre im Hard-Quartier. Mir gefällt es nach wie vor sehr hier, auch wenn ich jetzt wieder im Kreis 3 lebe. Was mir weniger gefällt ist die Europaallee, die meines Erachtens keine Bereicherung für den Kreis 4 darstellt.

Wo sehen Sie die grössten politischen Herausforderungen für Ihren Wahlkreis 4 und 5?

Vieles hat sich zum Besseren gewendet in den letzten Jahren, die Wohnqualität beispielsweise rund um den Hardplatz hat zugenommen. Negativ ist, dass die Mieten teils auch wegen dieser Verbesserungen gestiegen sind und viele alteingesessene Bewohner deswegen wegziehen mussten.

Welche Entwicklungen in Zürich bereiten Ihnen Sorgen?

Das Thema Chancengleichheit ist für mich sehr wichtig. Es ist zwar ein sehr hohes Ideal, aber als Ziel erstrebenswert. Dazu gehören Tagesschulen, frühes Erkennen von Defiziten, frühe Förderung. Nicht jeder muss eine Matur haben, aber es braucht bessere Chancen für weniger Privilegierte. Als Mittelschullehrer beschäftigt es mich, dass es im Kreis 4 nur circa ein oder zwei Kinder pro Klasse ans Gymnasium schaffen und am Zürichberg jedes zweite.

Diskutieren Sie als Gymnasiallehrer für Deutsch und Geschichte mit Ihren Schülern über Politik?

Beides sind hochpolitische Fächer, und beispielsweise Themen wie Gender Studies fliessen da mit ein, aber ich betreibe keine Parteipolitik im Schulzimmer. Es geht nicht darum, wie jemand abstimmt, sondern dass darüber debattiert und sachkundig argumentiert wird.  Ich erlebe die heutigen Schüler als sehr neugierig und interessiert am Weltgeschehen und an der Politik.

Was hat Sie der Beruf des Lehrers für die Politik gelehrt?

Wohl in erster Linie vor Leuten auftreten und reden, aber auch zuhören zu können.

Wie möchten Sie als SP-Gemeinderatspräsident dieses Amt prägen?

Effizienz ist nicht das höchste Gebot, wir müssen auch Zeit finden für die Themen, die uns wichtig sind, damit sie von allen Parteien diskutiert werden können. Und auf die Gefahr hin, dass ich schulmeisterlich wirke, aber es ist mir wichtig, mich für Anstand und Respekt im Gemeinderat einzusetzen. Damit spiele ich nicht auf Kraftausdrücke an. Aber ich werde das Diffamieren von politischen Gegnern, unabhängig davon, von welcher Seite sie kommen, nicht schweigend hinnehmen.

Mit welcher Persönlichkeit der Zürcher Geschichte hätten Sie gerne über Politik diskutiert?

Mit dem Dichter Georg Büchner, der die letzten Monate seines kurzen Lebens in Zürich verbrachte und zu dessen Grab auf dem Rigiblick ich als Jugendlicher oft hingepilgert bin. Mit ihm hätte ich gerne über seine Flugschrift «Der Hessische Landbote» diskutiert, die den berühmten Aufruf «Friede den Hütten! Krieg den Palästen!» enthält und in der es um die sozialen Missstände im 19. Jahrhundert geht. Der Text gehört für mich zum Ergreifendsten der deutschen Literatur.

Heute Mittwoch nach der Ratssitzung feiert Peter Küng seine Wahl zum Ratspräsidenten im Schulhaus Albisriederplatz, Norastrasse 20. Zum Apéro von 18 bis 19 Uhr sind alle Interessierten eingeladen. Die Schülergruppe La Tsiganotschka spielt Klezmer, Gypsi, Irish und Balkan.

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