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Interview

Ehrenpreis für herausragendes Lebenswerk: der Zürcher Filmemacher Markus Imhoof. (Bild: Inge Zimmermann)

«Der Film muss über das Viereck der Leinwand hinausgehen»

Von: Isabella Seemann

07. Juli 2020

Der Zürcher Regisseur Markus Imhoof hat mit seinen Filmen «Das Boot ist voll» oder «More Than Honey» Schweizer Filmgeschichte geschrieben. Nun erhielt der 78-Jährige für sein herausragendes Lebenswerk und sein Engagement den Ehrenpreis des Schweizer Films. 

 

Herzliche Gratulation zum Ehrenpreis für Ihr Lebenswerk. Wie sehen Sie eigentlich selber auf Ihr Filmwerk?

Markus Imhoof: «Zufrieden» ist ein so passives Wort und suggeriert verschränkte Arme um einen dicken Bauch. Ich freue mich natürlich sehr und bin dankbar für die Anerkennung durch den Bund und die eigene Zunft, die Schweizer Filmakademie.

Betrachten Sie Ihr Lebenswerk als vollendet?

Ich hoffe natürlich, dass ich jetzt nicht brav stillsitzen muss und trotzdem an meinem neuen Projekt weitermachen darf. Dass ich als Dokumentarfilmer gelte, beruht ja vor allem auf meinen letzten beiden Filmen – und meinen ersten. Der Grossteil meiner Kinofilme sind Spielfilme und Schauspieler sind meine grosse Liebe. Aber es ist wahr, dass ich durch die Dokumentarfilme einen neuen Blick auf die Wirklichkeit bekommen habe. Im neuen Projekt probiere ich etwas Neues aus.

Was wissen Sie heute über das Filmemachen, das Sie gerne schon als junger Regisseur gewusst hätten?

Ich habe in den letzten zwei Jahren an zwei Filmhochschulen in Italien und in Zürich Seminare gehalten zum Thema «Alle meine Fehler». Zentral ist der Aufruf zum Mut, den eigenen persönlichen Kern in jedem eigenen Film zu finden und nicht auf Erfolg zu spekulieren. Aus dem Anliegen entsteht auch die Form und nicht umgekehrt.

Sie gelten Filmkritikern als politischer Autorenfilmer. Fühlen Sie sich richtig gesehen?

Vielleicht ist es die Unterscheidung zwischen E und U wie bei der Musik: Ernst oder Unterhaltung. Wenn politisch ein Synonym ist für «ein Film mit Inhalt», dann ist es mir sehr recht. Es gibt auch Leute, die unterscheiden zwischen Kunst oder Inhalt. Reine Art pour l’ Art, die Kunst um der Kunst willen, war nie mein Ding, aber Spielfreude spielt auch bei einem ernsten Thema eine wichtige Rolle. Dieses Wort hat mir ein ausländischer Produzent schon mal aus einer Subventions-Eingabe gestrichen.

Welchen Anspruch haben Sie an Ihre Filme?

Dass sie über meine Nasenspitze hinausgehen und auch über das Viereck der Leinwand hinaus ins wirkliche Leben.

Ihr Flüchtlingsdrama «Das Boot ist voll» über die Schweizerische Flüchtlingspolitik während des Zweiten Weltkriegs kam 1981 ins Kino und wurde für den Oscar nominiert. Fast 40 Jahre später drehten Sie «Eldorado», der die heutige Asylpolitik zum Thema hat. Was verbindet Sie persönlich damit?

Ich hatte gedacht, ich habe zu diesem Thema abschliessend meine Meinung gesagt – ich habe ja auch viel Zeit investiert in Diskussion in vielen Ländern. Aber als ich täglich im Fernsehen die «vollen Boote» sah, war es klar, dass ich nochmals losmuss und auch, dass es diesmal kein Spielfilm sein kann.

Ich hatte schon beim Mädchen in «Das Boot ist voll» an Giovanni gedacht, das Flüchtlingsmädchen, das während des Kriegs bei uns war. Insofern ist es der gleiche Film 40 Jahre später in anderer Form. Eigentlich grässlich, dass er noch einmal nötig war. Nützt es überhaupt etwas, wenn man Filme macht?

Welche äusseren Einflüsse erscheinen Ihnen für Ihr eigenes Werk im Rückblick am wichtigsten?

Jeder meiner Filme hat einen sehr persönlichen Kern, nicht immer zeige ich das dem Publikum so deutlich wie im letzten. Dieses Persönliche spiegelt und reibt sich mit dem Allgemeinen, manchmal Globalen des Themas – und umgekehrt.

«More Than Honey» über das Bienensterben wurde zum erfolgreichsten Schweizer Dokumentarfilm aller Zeiten und errang viele Filmpreise. Was ist für Sie das bedeutendste Feedback auf Ihren Film?

Wie ich vorhin erwähnte: Der Film muss über das Viereck der Leinwand hinausgehen. Ich arbeite zum Beispiel in einer Bienen-Stiftung, die ich mitgegründet habe, deren Imker zurzeit vor dem Europäischen Gerichtshof gegen die rücksichtslose Agrarchemie kämpfen. Oder die Konzernverantwortungs-Initiative, welche in ihrer Wirkung auch Fluchtursachen bekämpft. Auch wir Schweizer sind Teil der Welt und müssen für dieses Geschenk auch Verantwortung übernehmen.

War es Ihnen bei der Inszenierung eines Films immer besonders wichtig, politisch etwas bewirken zu können?

Beim Dreh leitet mich die Empathie, das Mitfühlen mit den Menschen oder winzigen Tieren vor der Kamera. Das kriegt nachher das Etikett «politisch».

Glauben Sie, dass Filme und an Debatten teilnehmende Kulturschaffende tatsächlich Veränderungen bewirken können?

Wenn wir es nicht machen würden, wäre es viel schlimmer.

Legitimiert politisches Engagement den Anspruch auf staatliche Finanzhilfe für Filmschaffende?

In der Jury-Begründung wurde gesagt, ich sei nicht die Patisserie, sondern der Sauerteig. Ich habe dann nochmals nachgelesen bei Wikipedia: «Sauerteig wird als Triebmittel zur Lockerung von Backwerk zugefügt und macht Roggenteige überhaupt erst backfähig. Sauerteige verbessern Verdaulichkeit, Aroma, Geschmack, Haltbarkeit.» Wenn der Schweiz und den Zuschauern das Herz aufgeht, kann das also schon systemrelevant sein.

Sie sind seit gut 50 Jahren in der Filmbranche. Finden da nicht gerade grosse Umbrüche statt?

Als wir anfingen, war der Schweizer Film tot und wir mussten alles neu erfinden. Heute gibt es unzählige Filmhochschulen und entsprechend viele hoffnungsvolle und begabte Absolventen, die alle mit uns Alten für dasselbe Geld in der Reihe stehen. Aber in unserer Filmschule 1967/68 mussten wir mit einer 70 Kilo schweren Kamera arbeiten, heute könnte man sogar mit seinem Handy einen Film drehen – wenn man weiss, warum. Das ist die Kernfrage!

Haben Sie in Ihrem eigenen Werk einen Lieblingsfilm?

Keine Mutter oder Vater würde diese Frage zu seinen Kindern beantworten. Der Bezug zu den Filmen ist natürlich stark verbunden mit den Emotionen zu Schauspielern oder Mitarbeitern, die einem besonders lieb sind oder mit denen man Probleme hatte. Dazu das Wetter oder andere Katastrophen: Ich habe zwei Filme in Gefängnissen, zwei Filme im Gebirge im Winter gedreht, für einen Film war ich zwei Jahre in Indien, für den letzten vor Libyen auf dem Meer und im Libanon an der syrischen Grenze. Diese Erlebnisse sind grösser als der Preis!

 

 

Markus Imhoof (geboren 1941 in Winterthur) ist einer der bedeutendsten Regisseure und Drehbuchautoren der Schweiz. Nach dem Studium der Germanistik, Geschichte und Kunstgeschichte an der Universität Zürich besuchte er die Filmschule an der Kunstgewerbeschule Zürich. International bekannt wurde er mit seinem Flüchtlingsdrama «Das Boot ist voll» (1981), das eine Oscar-Nomination erhielt. Fast 40 Jahre später ging er mit «Eldorado» als Schweizer Kandidat für den Oscar ins Rennen. «More Than Honey» (2012) ist der erfolgreichste Schweizer Dokumentarfilm aller Zeiten. Nun erhielt er den Ehrenpreis des Schweizer Films 2020 für sein Lebenswerk.
Imhoof ist Vater zweier erwachsener Kinder und lebt in Berlin sowie im zürcherischen Aathal und in Mailand.


Weitere Informationen:
www.markus-imhoof.ch

 

 

 

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